Wahlen in Taiwan: Präsident ohne eigene Mehrheit

Taiwans künftiger Präsident William Lai steht für Kontinuität im Umgang mit China. Doch seine Partei hat Unterstützung verloren.

Mehrere Menschen jubeln mit verschiedenen Fähnchen, im Hintergrund ein großer Bildschirm auf einem Platz

An­hän­ge­r*in­nen des gewählten Präsidenten William Lai jubeln am Samstag abend in Taipeh Foto: Ann Wang/rtr

TAIPEH taz | Der nächste Präsident Taiwans heißt William Lai. Als Kandidat der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) setzte sich Lai bei den Wahlen am Samstag gegen Hou Yu-ih von der chinafreundlicheren Kuomintang und Ko Wen-je von der Taiwanischen Volkspartei (TPP) durch.

Aus Lais Miene sprach nach dem Wahlsieg am Abend eher Erleichterung als Enthusiasmus. Der aktuelle Vizepräsident und DPP-Vorsitzende kam auf 40 Prozent der Stimmen. Hou Yu-ih erzielte 33,5, Ko Wen-je 26,5 Prozent. Im taiwanischen Wahlsystem gewinnt bei nur einer Abstimmungsrunde der Kandidat mit den meisten Stimmen.

Die chinesische Regierung kritisierte wie erwartet den Ausgang der Wahlen. Ein Sprecher des Amts für Taiwan-Angelegenheiten erklärte, die Vereinigung Chinas und Taiwans sei unausweichlich. Die Führung in Peking hatte Lai schon in den Monaten zuvor als „gefährlichen Separatisten“ bezeichnet.

Aller Voraussicht nach wird China wie während der Präsidentschaft Tsa Ing-wens den Dialog mit der künftigen Regierung unter William Lai ablehnen. Eine umfassende militärische Reaktion Chinas auf die Wahlen in Taiwan halten die meisten Be­ob­ach­te­r*in­nen derzeit für unwahrscheinlich.

Verhaltene Gratulationen aus dem Ausland

US-Außenminister Antony Blinken gratulierte Lai kurz nach Bekanntgabe des Ergebnisses zu seinem Sieg und beglückwünschte das taiwanische Volk „zur Teilnahme an freien und fairen Wahlen“. Präsident Joe Biden bemerkte dagegen nur: „Die US-Regierung unterstützt nicht die Unabhängigkeit Taiwans.“ Die US-Regierung lehnt wie die EU jede gewaltvolle Änderung der aktuellen politischen Verhältnisse zwischen Taiwan und China ab, gibt Taiwan jedoch auch keine explizite Garantie, das Land militärisch gegen einen Angriff Chinas zu verteidigen.

Das Auswärtige Amt gratulierte am Sonntagvormittag „allen Wählerinnen und Wählern, den Kandidatinnen und Kandidaten, die an diesen Wahlen teilgenommen haben, sowie den Gewählten“.

Der diplomatische Dienst der Europäischen Union erklärte, die EU und Taiwan teilten „ein gemeinsames Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und den Menschenrechten“, nannte William Lai aber nicht beim Namen.

Der Wahlkampf in Taiwan wurde dominiert vom Umgang mit der Bedrohung durch China, war aber stärker als bei früheren Wahlen auch geprägt von sozialen Themen wie der Lohnentwicklung und steigenden Wohnungspreisen sowie von gegenseitigen Korruptionsvorwürfen der Parteien. William Lai büßte im Vergleich zu Tsai Ing-wen bei den Präsidentschaftswahlen 2020 rund 17 Prozentpunkte an Unterstützung ein. Bei den zeitgleich stattfindenden Parlamentswahlen verlor die DPP zudem ihre absolute Mehrheit.

Künftige interne Machtteilung könnte Partner verunsichern

Chinas Amt für Taiwan-Angelegenheiten spielte in seiner Erklärung auch darauf an: „Die DPP repräsentiert nicht die Mehrheitsmeinung der taiwanischen Bevölkerung.“ Tatsächlich waren sich die Parteien jedoch in ihrem Vorgehen gegenüber China weitgehend einig. Alle befürworteten eine Anhebung des Verteidigungsbudgets von aktuell 2,5 auf mindestens 3 Prozent der Wirtschaftsleistung und eine stärkere Zusammenarbeit mit demokratischen Partnerländern, insbesondere den USA. Die Kuomintang trat jedoch zugleich für stärkeren wirtschaftlichen und politischen Dialog mit China ein. Die Taiwanische Volkspartei warb für einen pragmatischen Umgang mit China, ohne eine klare Strategie darzulegen.

Nathan Batto, Wahlforscher an der National Chengchi Universität in Taiwans Hauptstadt Taipeh, sieht in der Bevölkerung einen überwältigenden Konsens, „dass Taiwan nicht Teil der Volksrepublik China sein möchte, dass Taiwan sein demokratisches System und seinen unabhängigen Status beibehalten möchte“. Die Wahlverluste der DPP seien Ausdruck der Unzufriedenheit über interne ökonomische Stagnation und einer lähmenden Sorge wegen der Bedrohung durch China.

Die Taiwanische Volkspartei stellte mit dem ehemaligen Taipeher Bürgermeister Ko Wen-je zum ersten Mal einen Präsidentschaftskandidaten. Er fuhr ein für viele überraschend starkes Ergebnis ein. Die Partei hält nun mit acht Sitzen das Machtgleichgewicht im Parlament. Die Kuomintang kommt auf 52, die DPP auf 51 Sitze. Das Parlament kann in Taiwan unabhängig vom Präsidenten und seinem Kabinett Gesetze erlassen.

Unter Präsidentin Tsai Ing-wen hatte sich Taiwan in den letzten Jahren mit breitem Rückhalt in der Bevölkerung eine größere Unterstützung unter demokratischen Staaten erkämpft. Die künftige Regierung könnte jedoch durch die interne Machtteilung teilweise handlungsunfähig werden und so auch bei ihren Partnern Unsicherheit erzeugen. Die DPP hatte bereits vor den Wahlen gewarnt, dass die Kuomintang wie in der Vergangenheit Rüstungskäufe blockieren könnte.

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