Bauernprotest gegen Subventionskürzungen: Giervorwürfe und Galgendrohungen

Zum Beginn der bundesweiten Aktionswoche des Bauernverbandes blockieren Landwirte viele Straßen. Auf beiden Seiten gibt es Aggressionspotenzial.

Silhouetten von Traktoren vor Windrädern

Bauernprotest in Vehlefanz, Brandenburg, 08.01.2024: Traktoren blockieren die Autobahn A10 Foto: Fabrizio Bensch/reuters

Sorge vor Kaperung durch Rechte

Die Proteste der Landwirte gegen Subventionskürzungen haben am Montag bundesweit zu großen Verkehrsbehinderungen geführt. Am Brandenburger Tor in Berlin nahmen rund 550 Demonstranten mit ähnlich vielen Fahrzeugen am Protest teil, darunter zahlreiche Traktoren. In Erfurt zählte die Polizei etwa 1600 Fahrzeuge. An vielen Orten gab es Traktorkolonnen sowie zeitweilige Blockaden von Autobahnauffahrten, allein in Brandenburg wurden 100 Autobahnauffahrten blockiert.

Im VW-Werk Emden wurde die Produktion gestoppt. Es sei für die Beschäftigten nicht möglich gewesen, zur Arbeit zu kommen, sagte eine VW-Sprecherin. Die Bauern erhielten in einigen Städten Unterstützung, etwa von Lastwagenfahrern und Handwerkern.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnte vor einer Kaperung der Bauernproteste durch extreme Kräfte. „Es kursieren Aufrufe mit Umsturzfantasien. Extremistische Gruppen formieren sich, völkisch nationalistische Symbole werden offen gezeigt. Es wird sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist, was den legitimen demokratischen Protest und die freie Meinungsäußerung entgrenzt“, sagte der Grünen-Politiker in einem auf sozialen Medien verbreiteten Video. Darin forderte er auch eine Debatte über einen Wandel der Landwirtschaft.

In vielen Orten Deutschlands müssen sich Autofahrer, Schüler und Busfahrgäste aufgrund der Proteste auf starke Behinderungen einstellen. Mehrere Kultusministerien der Länder kündigten an, dass Schüler entschuldigt werden, sollten sie es wegen der Aktionen nicht zum Unterricht schaffen. (dpa)

Proteste angelaufen

Die Proteste von Land­wir­t:in­nen gegen die Agrarpolitik sind am Montag angelaufen – und sie fallen teils harsch aus. Der rbb berichtete, ein Reporter und ein Techniker des Senders seien bei der Berichterstattung bedroht und beschimpft worden. Sie hatten zunächst nur mit Polizeiunterstützung die Autobahn A13 an der Abfahrt Ortrand (Oberspreewald-Lausitz) verlassen können. Danach wurden sie auf der Bundesstraße am Weiterfahren gehindert und bedrängt. Demonstranten stellten sich vor den Übertragungswagen und schlugen dagegen.

Wie die Sprecherin der Polizeidirektion Süd Ines Filohn sagte, wird im Falle einer Strafanzeige wegen Nötigung oder Beleidigung ermittelt. An vielen anderen Orten blockierten Landwirte mit Traktoren und anderen landwirtschaftlichen Maschinen zunächst friedlich Autobahnzufahrten, Bundes- und Landstraßen und behinderten so vielerorts den Autoverkehr. In manchen Städten kamen auch Linienbusse nicht mehr durch. Zu sehen waren immer wieder Transparente mit Aufschriften, wie „Gesetze nicht zu Ende gedacht, Bauern plattgemacht“, aber auch „Wer's Land verkauft und Bauern fängt, ist es wert, dass er am Galgen hängt.“ Aus Berlin und den ostdeutschen Ländern wurden auch AfD-Plakate gemeldet.

Aufgerufen zu den Aktionen, die eine bundesweite Protestwoche einläuten sollen, hat der Deutsche Bauernverband (DBV). Die Landwirte demonstrieren gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung. Ausgangspunkt waren von der Bundesregierung geplante Subventionskürzungen – die diese inzwischen teilweise wieder zurückgenommen hat. Den Bauern geht das aber nicht weit genug. Bauernpräsident Joachim Rukwied verlangte am Montag, völlig auf die Streichungen zu verzichten. „Das heißt ja am Ende Sterben auf Raten“, sagte Rudwied bei der Klausurtagung der CSU-Bundestagsabgeordneten im Kloster Seeon zu den Zugeständnissen der Bundesregierung. „Das ist inakzeptabel. Das muss zurückgenommen werden.“

Konkret will die Regierung den Steuernachlass für Bauern beim Diesel schrittweise innerhalb von drei Jahren abbauen. Die Vergünstigung soll 2024 um zunächst 40 Prozent und in den Jahren 2025 und 2026 um jeweils 30 Prozent verringert werden. Ab 2027 gäbe es dann keine Diesel-Beihilfe mehr. Dies ist Teil des Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetzes, das am Montag vom Kabinett auf den Weg gebracht werden sollte. Ursprünglich sollten Diesel-Beihilfe und zudem auch die Kfz-Steuerbefreiung auf einen Schlag gestrichen werden, um für den Etat 2024 knapp eine Milliarde Euro einzusparen.

Bauern im Allzeithoch

Die wegfallende Entlastung ist je nach Betriebsgröße und Spritverbrauch ganz unterschiedlich. Ein Durchschnittsbetrieb büßt laut Bundesagrarministerium 2024 gut 1.000 Euro an staatlicher Diesel-Hilfe ein. Die Absenkung des Steuernachlasses soll ab März 2024 greifen. Spürbar wird dies für Bauern überwiegend aber erst 2025, weil sie zunächst den vollen Steuersatz zahlen und die Erstattung erst im nächsten Jahr ausgezahlt wird. Derzeit und bis Ende Februar 2024 bekommen die Landwirte pro Liter Diesel 21,48 Cent Rückerstattung. Ab März 2024 wären es dann knapp 12,9 Cent. Ein Durchschnittsbetrieb tankt etwa 13.000 Liter Diesel im Jahr. Statt mit 2.780 Euro würden diese dann im Jahr nur noch mit 1.675 Euro subventioniert.

Im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2022/23 waren die Betriebsergebnisse der Bauern laut DBV auf ein Allzeithoch gestiegen. „Nach vielen schwachen Jahren hat sich die wirtschaftliche Situation der Betriebe in den letzten beiden Jahren erheblich verbessert“, hieß es im jährlichen Situationsbericht des Lobbyverbandes. Haupterwerbsbetriebe erzielten demnach ein Unternehmensergebnis von 115.400 Euro je Betrieb. Das sei ein Plus von 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Bauern profitierten vor allem von den hohen Preissteigerungen für Nahrungsmittel.

Bauernpräsident fürchtet Aus für Betriebe

Rukwied warf der Bundesregierung dessen ungeachtet nun vor, mit den Kürzungen ein „Abwicklungsszenario“ auf den Weg zu bringen. Die Kürzungen seien „ein Turbo für den Strukturwandel“, sagte er. Das werde dazu führen, dass weitere Betriebe aufhören müssten. Der Bauernpräsident betonte, dass die Landwirte „diszipliniert demonstrieren“. Nach seinen Rückmeldungen verlaufe der Protest friedlich.

Polizeiberichten zufolge kam es mitunter allerdings auch zu Streitereien zwischen Protestierern und Autofahrern. In Nordbrandenburg etwa versuchte ein Autofahrer, mit seinem Wagen durch die Absperrung zu kommen und Leute wegzuschieben. „Das sind aber Einzelfälle“, sagte ein Sprecher der Brandenburger Polizei. Rettungskräfte und Pflegedienste hätten die Sperrungen passieren können. Allerdings wurden auch Verletzte gemeldet.

Insgesamt waren in vielen Bundesländern jeweils hunderte Landwirte mit Traktoren unterwegs. In Mecklenburg-Vorpommern blockierten sie am frühen Morgen bereits 62 Auffahrten von Autobahnen. Unterstützt wurden sie von Speditionsunternehmen, die gegen die Erhöhung der Lkw-Maut protestierten. Für Hamburg wurden 2.000 Traktoren erwartet. Die anfahrenden Demonstranten blockierten hier – wie auch in Bremen und in Niedersachsen – auch etliche Linienbusse. Manche Gemeinden hatten deswegen den Präsenzunterricht in den Schulen bereits im Vorfeld abgesagt. In Sachsen waren laut Polizei etwa im Raum Dresden einige Autobahnauffahrten nicht nutzbar. Versammlungen gibt es demnach an den Autobahnen A4, A13, A14 und A17. Auf den mitgeführten Plakate ist immer wieder von „Gier“, Unwissenheit und Inkompetenz der Ampelkoalition die Rede.

Po­li­ti­ke­r:in­nen zeigten zum Teil Verständnis, riefen aber auch dazu auf, die demokratischen Regeln einzuhalten. „Protest ist erlaubt, aber der Versuch der Unterwanderung durch radikale und völlig irre Kräfte ist leider Realität“, sagte der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Lars Castellucci (SPD) der Augsburger Allgemeinen. „Dagegen hilft nur glasklare Distanzierung: eine rote Linie zwischen Protest und Radikalisierung, also Protest gerne laut und wahrnehmbar, aber keine Gewalt, keine Gewaltandrohung, keine Nötigung, Respekt vor Sicherheitsbehörden“, forderte der SPD-Politiker, der vorab über die Sicherheitslage unterrichtet war.

Auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich warnte vor Unterwanderung der Bauernproteste durch Extremisten von außen. „Wer wie die Querdenker versucht, diese Proteste zu unterwandern, der will nicht die Anliegen der Bauern vertreten, sondern der verfolgt eine Agenda der Polarisierung“, sagte er. „Konkrete Versuche vor allem via Telegram, Proteste zu unterwandern sehe ich mit Sorge.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert erklärte: „Demokratischer Protest lässt sich einfach erkennen: Er zeigt Respekt vor anderen Meinungen, verzichtet auf Gewalt oder deren Androhung und er ist bereit zum Kompromiss“, sagte Kühnert ebenfalls der Augsburger Allgemeinen. „Wer das beherzigt, der muss politisch angehört werden. Wer dazu nicht in der Lage ist, dem sollte im Interesse der Sache und unserer Demokratie keine Bühne geboten werden.“

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der die Anliegen der Bauern grundsätzlich unterstützt, kündigte ein konsequentes Vorgehen der Polizei gegen unangemeldete Verkehrsblockaden an. „Soweit einzelne Landwirte und Gruppierungen in den Sozialen Medien dazu aufrufen, ihre Versammlungen nicht anzuzeigen und Verkehrsknotenpunkte mit ihren Traktoren gezielt zu blockieren, werden wir dies nicht tolerieren“, sagte der CSU-Politiker. (dpa/afp/taz)

Update am 8. Januar um 15.15 Uhr

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.