Philosoph über die Seele von Pflanzen: „Eine schöne Eiche, die ich berühre“

Berge und Flüsse haben eine Seele, sagt der Philosoph Andreas Weber. Er erklärt, wie unsere eigene Essbarkeit demütig macht und warum er Bäume umarmt.

Portrait von Andreas Weber mit einem Hund im Arm

Hunde umarmen okay, aber lässt sich so auch der Planet spüren? Der Philosoph Andreas Weber sagt: „Die Atmosphäre – das sind wir!“ Foto: Isabella De Maddalena/opale/laif

wochentaz: Herr Weber, Ihr Lebensthema ist, die Gefühle in die Ökologie zurückzuholen. Gerade protestieren Landwirte mit Plakaten wie „Bauern for Future“ erregt gegen einen Klimaminister. Umweltschutz war selten so ein emotionales Thema wie in diesen Tagen.

Andreas Weber: Dabei ist eigentlich schon das Wort Umweltschutz Teil des Problems.

Wie bitte?

Der Begriff Umwelt stellt uns Menschen in einen Gegensatz zu etwas anderem, genannt Natur. Die Natur wird so zu einem Objekt. Selbst bei der Umweltbewegung ist das so, nur dass die Natur bei ihr eben nicht ausgebeutet, sondern geschützt werden soll.

studierte Biologie und Philosophie und ist promovierter Philosoph. Er arbeitet als Autor von Büchern wie „Alles lebt“ in Berlin. Zuletzt erschien Ende Dezember: „Essbar sein. Versuch einer biologischen Mystik“.

Sie sehen sogar die Umweltbewegung kritisch?

Generell ist mein Herz mit allen, die sich für die Verbesserung des Lebens auf diesem Planeten einsetzen. Aber wir können die ökologische Krise nicht mit derselben Art des Denkens lösen, die maßgeblich zu ihrem Entstehen beigetragen hat. Es ist wichtig zu begreifen, dass das moderne Denken zu einer Verdinglichung der Welt geführt hat. Alles außerhalb des Menschen wird nicht mehr als Subjekt mit eigener Erfahrung wahrgenommen. Pflanzen, Tieren, aber auch Flüssen, Seen, Wäldern und Bergen haben wir die Beseeltheit aberkannt. Das ist auch eine Strategie, um es für uns erträglicher zu machen, dass wir sie im immer größeren Stil als Ressourcen ausbeuten.

Sie sagen, dass auch Flüsse und Berge eine Seele haben. Diese Annahme stammt aus dem sogenannten Animismus indigener Kulturen. Aber Bewusstsein braucht doch zumindest ein Nervensystem, oder?

Bewusstsein kann gar nicht nachgewiesen werden. Wir wissen, dass wir es selbst haben – bei anderen nehmen wir es an, wenn wir mit ihnen kommunizieren können. Wir wissen heute, dass auch Pflanzen kommunizieren, ja sich sogar gegenseitig helfen. Aber Pflanzen haben kein Nervensystem. Wir sollten also lieber nicht „neurozentrisch“ denken. Wir Menschen sind nicht die einzigen Subjekte. Diese Arroganz sollten wir schleunigst aufgeben. Erst wenn wir alle anderen Mitspieler in dieser Welt wirklich als Subjekte wahrnehmen, können wir mit ihnen in einer gleichberechtigten Gemeinschaft auf Augenhöhe zusammenleben.

Das klingt wie Gedanken eines entrückten Einsiedlers aus einer Waldhütte. Werden Sie damit in der Philosophie ernst genommen?

Im Wald bin ich nie entrückt, sondern immer verbunden. Die Idee, die ich beschreibe, heißt Panpsychismus. Dieser Standpunkt hatte es in der Philosophie der letzten 50 Jahre in der Tat schwer. Aber seit ein paar Jahren ist das wieder eine starke Strömung, die auch schon konkrete Auswirkungen hat.

Und die wären?

Zum Beispiel gibt es immer mehr Bestrebungen, Flüsse, Moore, Wälder und Tiere als eigene Rechtssubjekte anzuerkennen, damit gerichtlich wirkungsvoller gegen ihre Zerstörung vorgegangen werden kann. Einige Gewässer – wie der Whanganui, ein Fluss in Neuseeland, haben bereits den Status als Rechtssubjekt.

Trotzdem klingen Begriffe wie „Weltlebewesengemeinschaft“ utopisch. Wie könnte eine solche Gesellschaft konkret aussehen?

Ich glaube gar nicht, dass das so utopisch ist. Die meisten indigenen Kulturen, sofern sie noch existieren, leben das ganz praktisch: Sie teilen die Welt mit anderen lebenden, fühlenden und kommunizierenden Wesen und pflegen gemeinsam die Fruchtbarkeit des ganzen Ökosystems.

Halten Sie solche indigenen Kulturen für einen Optimalzustand?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ich sage nicht, dass diese Gesellschaften in jeder Hinsicht toll sind. Sie sind natürlich auch sehr verschieden. Aber sie haben erstaunliche intellektuelle Leistungen hervorgebracht – man führe sich nur vor Augen, wie manche pazifischen Völker tagelang ohne technische Hilfsmittel über den offenen Ozean navigieren konnten. Vor allem aber haben sie dieses Bewusstsein: Es geht nicht zuallererst um mich.

Also zurück zur Natur und technische Errungenschaften opfern?

Ein Zurück funktioniert nie. Zentrale Errungenschaften, etwa die moderne Wissenschaft, sollten unbedingt bewahrt werden.

Aber Ihre Fundamentalkritik am modernen Denken müsste doch konsequenterweise auch die moderne Wissenschaft mit einschließen.

Ich bin Biologe und weiß um die Kostbarkeit der wissenschaftlichen Beobachtungspraxis. Die ist ein urdemokratisches Verfahren: Jeder kann selbst nachforschen und das aktuelle Wissen bestätigen oder falsifizieren. Was ich kritisiere, ist der übersteigerte philosophische Anspruch der modernen Naturwissenschaft, der besagt: Es gibt nur das, was wir mit unseren Instrumenten messen können, alles andere existiert nicht. Das hat mit zu dieser entseelten Welt geführt.

Sind Sie mit Ihrer Weltanschauung im Biologiestudium angeeckt?

Ich weiß noch, wie wir mal einen Topf voller toter Fliegen vorgesetzt bekamen, die mit Äther umgebracht worden waren. Ich wies darauf hin, dass das auch Lebewesen sind und statt 1000 auch 30 toter Fliegen gereicht hätten. Da hieß es: Das sind doch eh nur so kleine Biomaschinen, wenn du denen mit Gefühlen begegnest, dann ist es eine Illusion! Das ist exakt das Dogma, das uns heute bedroht.

Auch in der Tierwelt gibt es viel Hauen und Stechen. Da erscheint Ihr Bild einer Gemeinschaft romantisierend.

Gemeinschaft heißt nicht, dass es nur harmonisch zugeht. Im Leben wird auch gestorben. Wir existieren sozusagen in beständiger Essbarkeit und das ist natürlich auch grausam. Aber Hauen und Stechen sind menschliche Begriffe mit einer starken Wertung. Mir geht es um Demut.

Kritik am Rationalismus kann auch in Irrationalismus umschlagen. Ähnliche Gedanken finden sich in der Rechtsesoterik und bei den Nazis, die sich auf Naturprinzipien berufen haben – etwa ein angebliches Recht des Stärkeren, „Schädlinge“ auszumerzen.

Die Nazis haben sich auf eine bestimmte Sichtweise der Natur als einem brutalen Überlebenskampf gestützt. Sie haben ein paar Begriffe aufgeschnappt und mit ihrer Propaganda so getan, als wäre das objektive Wissen. Das neue aufgeklärte Bild ist genau das Gegenteil von Faschismus. Es geht darum, in Demut anderen Wesen den Vortritt zu lassen. So zu denken, ist auch völlig esoterikresistent. Esoterik soll ja ein Geheimwissen sein, zu dem nur Eingeweihte Zugang haben. Ein notorisches Besserwissen sozusagen. Also das Gegenteil von Demut.

Sie leben den modernen Animismus selbst vor. Mit einem bestimmten Baum im Grunewald in Berlin sollen Sie eine Art Freundschaft pflegen. Wie muss man sich das vorstellen, umarmen Sie den oft?

Da ist eine sehr schöne alte Eiche, die ich manchmal auch berühre, ja. Aber meist stehe ich einfach nur in ihrem Schatten und mache bewusst, dass wir einander atmen: Ich atme aus, was die Eiche einatmet und umgekehrt. Ich bin besorgt darum, dass es diesem Wesen gut geht, und tanke dafür neue Kraft. Diesen Gegenseitigkeitsprozess kann jeder leicht wieder in sich reaktivieren. Zum Beispiel im liebevollen Kümmern um die Pflanzen im eigenen Garten.

Sie glauben wirklich, dass der Baum ein Bewusstsein hat?

Auf jeden Fall! Seine Innenwahrnehmung ist natürlich ganz anders als unsere. Trotzdem gibt es Ähnlichkeiten: Auch er lebt im Wechsel von Werden und Vergehen und auch seine seelische Verfassung ist äußerlich sichtbar: der Lebensüberschwang des Frühjahrs, die Schwere des Absterbens im Herbst.

Viele werden sagen: Das ist sentimentale Naturromantik.

Mit diesen Begriffen wird in Deutschland gerne ein emotionaleres Naturverhältnis diskreditiert. Dabei war das philosophische Programm der Romantiker ab Ende des 18. Jahrhundert sehr anspruchsvoll. Auch sie wollten schon die Subjektivität in der Natur und die Welt in ihrer Lebendigkeit wiederentdecken. Genau das ist heute gefordert.

Ein emotionales Verhältnis zu konkreten einzelnen Tieren und Bäumen ist das eine. Aber mit Blick auf den Klimawandel: Ist ein solches, enges Verhältnis zur Welt als Ganzes überhaupt fühlbar?

Es hilft, die Klimakrise als Krise des geteilten Atems zu beschreiben. Die Atmosphäre ist gefüllt mit den Gasen, die die Menschen, Tiere und Pflanzen hervorbringen. Sie ist im Grunde eine Art gasförmige Ausweitung von uns allen – die Atmosphäre, das sind wir! Insofern ist diese Krise keine technische Notlage, die wir beheben können, indem wir jetzt nur am CO2-Regler drehen. Sie ist unser ureigenstes Problem: ein Beziehungsdrama der Weltlebewesengemeinschaft. Das müssten die Klima-AktivistInnen mehr herausstellen. Aber so emotionale Problembeschreibungen sind heikel, wenn man von der heutigen Politik ernst genommen werden will.

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