Meduza-Auswahl 4. – 10. Januar: Widerstand gegen die Zensur

Russische Bibliothekare trotzen dem Verbot kremlkritischer Bücher. Anderer Pass, anderes Schicksal? Texte aus dem Exil.

Bücher mit Titeln in russischer Schrift

Bücher des Schriftstellers Boris Akunin in einem Buchladen in Russland Foto: Alexander Ryumin/ITAR-TASS/imago

Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.

In der Woche vom 4. bis zum 10. Januar 2024 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:

Bibliothekare in St. Petersburg sprechen über Bücherverbote

Den Bibliotheken in Russland ist es offiziell zwar nicht verboten, Bücher des zeitgenössischen russischen Schriftstellers Boris Akunin in ihrem Bestand zu haben. Doch im Dezember hatte der russische Finanzüberwachungsdienst Akunin auf seine Liste der „Terroristen und Extremisten“ gesetzt. Aus den meisten Online-Shops verschwanden daraufhin seine Werke. Viele Bibliotheken zogen sie ebenfalls aus dem Verkehr, doch dass sie seine Bücher vorhalten, ist weiterhin nicht verboten.

Das unabhängige russische Medienportal Bumaga hat mit St. Petersburger Bibliotheken gesprochen, die gegen die Kreml-Zensur Widerstand leisten. „Man kann viel mehr machen, als man zunächst denkt“, sagt etwa eine anonyme Bibliothekarin.

Eine Zusammenfassung aus dem Bumaga-Text hat nun Meduza veröffentlicht (englischer Text). „Ich arbeite seit drei Jahren im Bibliothekssystem, und in all den Jahren haben wir völlig unvernünftige Anweisungen erhalten“, sagt eine andere Bibliothekarin. Seit Februar 2022 wurden Mitarbeiter etwa angewiesen, in den Bibliothekssälen Pro-Kriegs-Plakate aufzuhängen und Videos zu zeigen, die für den Angriffskrieg gegen die Ukraine werben.

Wie der Reisepass das Leben vorbestimmt

Der Forscher Patrick Bixby, Professor an der Universität von Arizona und Autor des Buches „Licence to Travel: A Cultural History of the Passport“, ist davon überzeugt, dass der Reisepass eines der eindrucksvollsten Beispiele für die „Lebenslotterie“ ist. Im Gespräch mit Meduza erklärt Bixby, warum (russischer Text).

Die Bewohner von Staaten mit „schwachen“ Pässen – etwa Afghanistan oder Irak – sind immer wieder mit den Folgen historischer Ereignisse, mit denen sie nichts zu tun hatten, konfrontiert.

Der Aufhänger des Gesprächs mit Bixby ist der Ukraine-Krieg und seine Folgen für die kremlkritische Russ*innen, die heute im Exil leben. Bixby schreibt und spricht über die Geschichte des Reisepasses und hat in seiner Privatsammlung etwa 30 abgelaufene Reisepässe aus fast allen europäischen Ländern und einen US-amerikanischen Pass aus den 1920er Jahren.

Auf die Frage, warum das Prinzip des Nansen-Passes – ähnlich wie der nach dem Ersten Weltkrieg – heute kaum mehr Beachtung findet, erklärt er: „Die meisten Länder wollen sich heute nicht mit dem Problem der Migranten befassen. Sie können höchstens einen Flüchtlingspass ausstellen, der dem Inhaber aber keine Bewegungsfreiheit gewährt.“ Der Nansen-Pass ermöglichte es staatenlosen Menschen zu reisen.

Wird Russlands Wirtschaft zusammenbrechen?

Im Jahr 2023 ist die russische Wirtschaft Wachstum gewachsen, obwohl unmittelbar nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine und wegen der zahlreichen Sanktionen gegen Russland ein erheblicher Rückgang oder sogar ein Zusammenbruch erwartet wurde. In dieser neuen Meduza-Podcastfolge von „Was ist passiert?“ weist die Expertin für russische Wirtschaftspolitik, Alexandra Prokopenko, darauf hin, dass der Anstieg im Jahr 2023 auf eine „Überhitzung“ aufgrund der hohen Militärausgaben zurückzuführen ist (russischer Text). Andrei Perstev moderiert den Podcast, der die Zukunftsfrage stellt, wie eine Wirtschaftskrise in Russland aussehen könnte und wie man sich darauf vorbereiten könnte.

Weinproduktion in Armenien – lange Tradition

Unterbelichtete oder unberichtete Geschichten sind der Fokus der Reportagen, die Meduza unter der Rubrik The Beet veröffentlicht. Diese Woche schreibt die Journalistin Sona Hovsepyan über Armenien und die Schicksale armenischer Winzer. Im 19. Jahrhundert produzierte so gut wie jede Familie in Nork-Marasch, einem Distrikt der Hauptstadt Jerewan, Wein. Nur ganz wenige haben es geschafft, diesen Brauch bis heute zu erhalten. Hovsepyan begleitet die Derdzakyans, die 2019 einen von der Familie geerbten Weinkeller aus dem 19. Jahrhundert in ein Boutique-Weingut umgewandelt hat, um ihre Familiengeschichte zu bewahren (englischer Text).

Der Mitbegründer Artsrun Petrosyan erzählt, dass früher nur Männer die Trauben presste. „Frauen durften dem nicht mal nahekommen.“ Selbst während der Sowjetzeit, als der Staat die Weinberge der Familie Derdzakyan enteignete, arbeitete sein Großvater eifrig daran, die lokale Tradition des Weinbaus und der Weinherstellung zu bewahren, und verkaufte seinen Wein „auf nicht ganz legale Weise fort“, so sei Enkelkind. „Ursprünglich war der Weinbau in der Sowjetunion nicht verboten, aber die Produktionsmengen gingen drastisch zurück“, erklärt Petrosyan. Michail Gorbatschows Anti-Alkohol-Kampagne machte die Sache nur noch schlimmer. Im Jahr 1985 begannen sowjetische Beamte mit der Zerstörung von Weinbergen in Armenien, wodurch die Weinproduktion halbiert wurde. Auch nach der Unabhängigkeit Armeniens im Jahr 1991 litt die Weinproduktion weiter. Erst in den späten 1990er Jahren erholte sich die Weinindustrie dank Investitionen in neue Technologien langsam wieder.

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