Aiwanger bei Bauerntreff in Brandenburg: Buhlen um den Mittelstand

Auf der Jahresversammlung der „Freien Bauern“ Brandenburg waren auch die Freien Wähler und das Bündnis Sahra Wagenknecht. Ein Ortsbesuch.

Ein gut gelaunter Hubert Aiwanger macht ein Selfie mit protestierenden Bauern

Hubert Aiwanger fühlt sich wohl unter Bauern, wie hier in München Anfang Janaur 2024 Foto: Wolfgang Maria Weber/imago

SCHÖNWALDE-GLIEN taz | Die Gaststätte Schwanenkrug ist klassisch geschmückt. Weiße Tischdecken, samtene Schleifen am behängten Gewölbe. Das braun-grüne Banner der Freien Bauern hängt über der Bühne, auf der das Ketziner Orchester die Brandenburger Hymne spielt. „Märkische Heide, märkischer Sand“ singen etwa 150 Landwirtinnen und Landwirte, die hier im Nordwesten Berlins zur Jahresversammlung der „Freien Bauern“ Brandenburg zusammengekommen sind. Es sind einige karierte Hemden, Funktionsjacken und viel Tweed zu sehen. Alles im Raum ist ordentlich, jede Tasse hat hier ihre Untertasse.

Über dem Pumpkaffee hinten im Saal haben ein paar der Landwirte ihre Cowboy-Hüte auf der Fensterbank geparkt. Nur ganz vorne hat einer seinen Hut noch auf: „Wir mussten den Tisch noch ein bisschen rumrücken. Wir stehen hier in der Mitte und wir sind die Mitte der Gesellschaft“, eröffnet der Brandenburger Landwirt Marco Hintze die Veranstaltung.

Die Programmpunkte: Hubert Aiwanger, Vorsitzender der Freien Wähler und Vize-Ministerpräsident in Bayern, und Amira Mohamed Ali, neue Vorsitzende vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), sollen gleich sprechen, der Rest: „nur Formalien“. Eine interessante Rednerliste. Beide Parteien zielen im Hinblick auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg auf den frustrierten Mittelstand im Osten. Beide mit strammen Parolen, einmal stramm rechts, einmal ziemlich links der Mitte.

Die Lage in Brandenburg ist durcheinander: In Wahlumfragen liegt gerade die AfD vorne, BSW und Linke stehen zwischen 6 und 13 Prozent, während die Freien Wähler in Brandenburg es bei der letzten Wahl gerade so in den Landtag geschafft haben. Trotzdem inszeniert sich Aiwanger bei den Freien Bauern als einer von ihnen.

Neue Mitglieder durch Traktor-Proteste

„Das war kein Ausländer für uns, sondern jemand, der unsere Sprache spricht!“, wird der Bayer in Brandenburg verabschiedet werden. Der als GmbH organisierte Verband der „Freien Bauern“ ist in Nord- und Ostdeutschland besonders stark. Knapp ein Drittel seiner etwa 1.500 Mitglieder kommen laut eigenen Angaben aus Brandenburg. Durch die Traktor-Proteste in Berlin, die die „Freien Bauern“ teilweise mitorganisiert hatten, hätten sie nochmal einige Mitglieder hinzugewonnen.

Dementsprechend gut ist die Stimmung im Saal, fast versöhnlich. Sogar die gute Zusammenarbeit mit Landesumweltminister Axel Vogel (Grüne) bei der Wiedervernässung der Moore lobt ein Sprecher. Das „Bekenntnis zum Familienbetrieb“ und zur „unternehmerischen Verantwortung“ gebe in der Region zwar die Richtung vor. Die Mitglieder seien aber auch bereit, „sich anzupassen, an alles, was der Natur und den Betrieben dient“.

Die einzige Bedingung sei „keine Verbindung zu Parteien, Industrie oder NGOs“, welche der Lobbyverband immer wieder den anderen Vertretungen der Landwirtinnen und Landwirte vorwirft. Diese behauptete Parteiferne versucht Aiwanger, selbst Waldbesitzer und Sohn von Landwirten, zu durchbrechen. „Die Bundesregierung versteht die Bauern nicht!“, eröffnet er seine Rede.

Damit meint er auch sich selbst: Überall werde „uns in die Kniekehlen geschlagen.“ Immer wieder betont Aiwanger, wen er außerdem mit „uns“ meint: nicht nur die Landwirte, sondern das ganze „mittelständisch-eigentumsgetriebene“ Milieu. Dieses dürfe sich von der Regierung „zwischen Groß und Klein“ nicht teilen lassen, damit „das Thema Eigentum, Mittelstand, Landwirtschaft, Handwerk wieder wichtig wird“.

Das Geld sei da, werde aber „im Bürgergeld versenkt“ oder „damit die Bahn streiken kann“. Mit dem Parteiprogramm und seinen Geschichten vom Hof stößt er bei den Brandenburgern auf offene Ohren.

Linke hat es schwieriger als Aiwanger

Amira Mohamed Ali hat es da schwieriger: Obwohl die Linke im Osten traditionell stark war, hat sie wie BSW gerade bei den Landwirten kein optimales Standing. Sie habe zu sehr auf die Agrargenossenschaften als Nachfolgeorganisationen der Landwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaften (LPGs) gesetzt, sagt ein älterer Landwirt, der sich als Interessierter vorstellt, als „wertkonservativ und links der Mitte“. Hier im Saal habe deswegen fast niemand je sein Kreuz links gemacht, sagt ein anderer.

Ali schießt scharf gegen die fehlgeleitete Agrarpolitik der EU, das „Bürokratiemonster“, mit dem der Mittelstand immer wieder konfrontiert sei. Sie greift Freihandelsabkommen an, die „Lebensmittelindustrie“ und das „Marktdiktat des Einzelhandels“. Aber vor allem versucht sie, auf einer anderen Ebene einen Kontakt herzustellen – und übt damit schon mal für die bevorstehenden Landtagswahlen.

So präsentiert Mohamed Ali sich als Kämpferin gegen „die sogenannte Cancel Culture“: Es habe Methode, dass die Proteste von Medien und Politik in die rechte Ecke gerückt worden seien, sagt die Weggefährtin von Sahra Wagenknecht. Damit kann sie punkten. Die Stimmung ist nicht abgeneigt, aber bei Detailfragen wird es eng. Da bitte sie um Verständnis für die noch junge Partei. Die Landesprogramme seien noch nicht fertig. Und wann man endlich in die Partei eintreten könne, fragt ein anderer. Auch das ist: noch ungewiss.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.