Weil Fahrten nach Auschwitz wenig bringen

Das bundesweite Projekt „Fit machen – Für Demokratie und Toleranz“ bildet jugendliche Multiplikatoren darin aus, ihre Mitschüler über Antisemitismus aufzuklären – und gemeinsam etwas gegen Judenfeindschaft zu tun

Es gibt die Geschichte von den Berliner Jugendlichen, die vor drei Jahren von ihrem Lehrer in die Holocaust-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum geschleppt werden – und beim Anblick des Modells der Gaskammern von Auschwitz klatschen. Es gibt den Bericht eines Lehrers in der Hauptstadt, der seinen Schülern den Film „Schindlers Liste“ auf Video vorspielte – und geschockt feststellen musste, dass manche den KZ-Chef bei weitem toller fanden als die KZ-Insassen, die er abknallte. Und da ist schließlich das Erlebnis einer Pädagogin, die von einem rechten jugendlichen Berliner erzählt, der zur Gedenkstätte Auschwitz reisen durfte, intensiven Kontakt zu einem Holocaust-Überlebenden bekam – und dennoch weiter in seiner rechten Clique den Judenmord insgesamt für richtig erklärte und alle Juden bis auf den einen verachtete. Was bringt die so genannte Holocaust-Erziehung?

Offenbar manchmal wenig bis nichts – und gegen Antisemitismus, darin sind sich die Experten weitgehend einig, immunisiert sie oft nicht. Das ist einer der Gründe, weshalb nun ein bundesweites Projekt unter dem Titel „Fit machen – Für Demokratie und Toleranz“ gestartet wurde. Darin sollen sich Schülerinnen und Schüler als „Youth-Trainer“ mit Antisemitismus auseinander setzen. In bisher elf Schulen Berlins, Brandenburgs und Sachsens sollen in der Schülerschaft Meinungsführende eine Ausbildung zum Thema „Antisemitismus und seine Bekämpfung“ erhalten – gemäß der schlichten wie wahren Erkenntnis, dass sich Schüler am besten von Mitschülern überzeugen lassen.

Ins Leben gerufen wurde das auf zwei Jahre angelegte Projekt von einem Bündel an Institutionen: dem Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität, dem Landesinstitut für Schule und Medien (Lisum), der Senatsverwaltung für Bildung, dem Berliner Büro des American Jewish Committee (AJC) und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Die Kosten belaufen sich auf etwa 170.000 Euro, die vom Bundesfamilienministerium, der Zwangsarbeiter-Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ und dem „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ des Bundesinnenministeriums getragen werden.

An jeder der elf Schulen können oder konnten sich Schülerinnen und Schüler bewerben, an dem Programm teilzunehmen – das in ihrer Freizeit stattfinden wird. Diese Multiplikatoren sollen dann in ihrer Schule, aber auch in anderen Schulen über Antisemitismus aufklären und Projekte dagegen anregen. Nach zwei Jahren soll zudem eine CD-ROM erarbeitet worden sein, die der Erziehung gegen Antisemitismus dienen soll. Das Ziel sei es, „Nachhaltigkeit“ in dieser Bildungsarbeit zu erreichen, betonte etwa Michael Rump-Räuber von Lisum.

Unterstützt werden soll dieses Bestreben zudem durch die Ausbildung von bisher 50 Lehrerinnen und Lehrern, die sich ebenfalls zum Thema weiterbilden wollen. Das Interesse dabei sei enorm, versicherte Ursula Koch-Laugwitz von der FES.

Der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, Wolfgang Benz, unterstrich, dass mit diesem Projekt ein umfassenderer Ansatz versucht werde als der in der „Holocaust-Erziehung“: Diese könne junge Menschen zwar für das Thema Antisemitismus sensibilisieren, aber nicht gegen falsche Ideen schützen. Es fehle noch ein Bewusstsein für subtilere Formen des Antisemitismus, die bisher nicht als judenfeindlich auffielen – etwa wenn Antisemitismus sich hinter Israelkritik oder Antizionismus verstecke. Die Angst, dass dieses Programm nur die sowieso schon wohl gesonnen Schüler erreiche, konnte Rump-Räuber vertreiben: Auch einige Jugendliche mit rechtem Hintergrund würden als Multiplikatoren ausgebildet. PHILIPP GESSLER