Die Piraten entern Europa

EU-WAHL Dem Streit über PirateBay folgt der Erfolg der Piratenpartei: Für Schweden zieht sie ins Europaparlament ein. Auch in Deutschland gab es einen Achtungserfolg

„Bei der Bundestagswahl wollen wir die Parteienlandschaft aufmischen“

DIRK HILLBRECHT, PIRATENPARTEI

VON GORDON REPINSKI
UND REINHARD WOLFF

Freier Wissensaustausch und Kampf gegen Internetüberwachung: Das sind Themen, die müde Wähler in die Wahllokale locken und damit sogar ein Mandat im Europaparlament bringen. Das bewies am Sonntag in Schweden die Piratenpartei, hervorgegangen aus der Internetplattform PirateBay. Auch in Deutschland gab es immerhin 0,9 Prozent der Stimmen – und ein „sehr schönes“ Ergebnis in Kreuzberg, wie Dirk Hillbrecht, der Bundesvorsitzende der Partei, die 3,4 Prozent im Berliner Stadtteil bejubelt.

Der europäische Durchbruch wurde allerdings jenseits der Ostsee geschafft: In Schweden kam die Partei auf 7,1 Prozent der Stimmen und zieht mit ihrem Spitzenkandidaten Christian Engström ins Parlament ein. Das Antreten der Piratenpartei war ein Grund dafür, dass in Schweden die Wahlbeteiligung gegen den Trend um 6 Prozent anstieg – mit 43 Prozent war sie in diesem Jahr so hoch wie noch nie bei einer EU-Wahl.

Es waren vor allem Männer, die für die Piratenpartei stimmten: ganze 12 Prozent der schwedischen Wähler. Und in der Gruppe der 18- bis 30-Jährigen ist sie mit 19 Prozent sogar die stärkste aller Parteien. „Die Altparteien haben offenbar keine Ahnung, was die junge Generation beschäftigt“, kommentiert das der schwedische Parteivorsitzende Rick Falkvinge. Das sind demnach offenbar die Themen Internetkontrolle und Filesharing. Von den schwedischen Volksparteien wurden diese Themen unterschätzt. Auch hektisches Zurückrudern kurz vor der Wahl half da nichts mehr.

„Wir haben Geschichte geschrieben, wir haben ein Zeichen gesetzt – auch für Europa“, triumphiert Piratenpartei-Vorsitzender Falkvinge. „Ein Parlamentarier macht natürlich nicht den großen Unterschied“, versucht der neue Europaabgeordnete Engström hohe Erwartungen gleich etwas zu dämpfen: „Aber ich werde mit den Netzaktivisten aus allen Fraktionen zusammenarbeiten, und ich glaube, dass sind nicht zu wenige.“ Und er hoffe und glaube natürlich, dass ihm künftig auch „Piraten“ aus anderen Ländern Gesellschaft leisten werden.

In Deutschland ist es noch nicht so weit. Den Sprung ins EU-Parlament haben die deutschen Piraten nicht geschafft. Doch auch hier erhielt die Piratenpartei bereits mehr als 200.000 Stimmen – und konnte damit 0,9 Prozent der Wähler für sich gewinnen.

Die Stimmung nach der Entscheidung war entsprechend „super“, sagt Bundesvorsitzender Hillbrecht. Schon vor den Wahlen habe er gemerkt, dass das „Interesse an den Piraten auch in Deutschland groß ist“.

Ein rasanter Zulauf an Anhängern bestätigt dies: 1.300 Mitglieder zählt die erst vor knapp drei Jahren gegründete Partei mittlerweile. Und nach dem Wahlerfolg in Europa „brennen die Server der Homepage wie blöde“, sagt Hillbrecht.

Dass so überragende Ergebnisse wie in Schweden nicht in Deutschland erreicht werden konnten, liegt nach Meinung des Bundesvorsitzenden vor allem an der noch jungen Geschichte der Partei: „Die Schweden gibt es einfach länger“, sagt er, „aber auch das Interesse an dem Thema Datenschutz ist in Skandinavien noch mehr in der Öffentlichkeit als bei uns.“

Den in manchen Internetforen diskutierten Verdacht, die Piratenpartei werde in Deutschland von Rechtsextremen unterwandert, findet Hillbrecht unverständlich. Man könne zwar „nicht für jedes einzelne Mitglied sprechen“, sagt er, „aber die Partei habe niemals Aussagen in dieser Richtung gemacht“ und zweifelhaften Stimmen in Foren werde „sofort energisch widersprochen“. Oder kurz gefasst: „Unser Programm passt doch gar nicht zu den Rechten!“

Dass die beiden einzigen Themen, Datenschutz und freie Software, dagegen zu großen bundespolitischen Ambitionen passen, bezweifelt Hillbrecht nicht: „Es sind diese Themen, die uns interessieren“, sagt er, „und der Zeitpunkt für Positionierung in anderen Bereichen ist noch nicht gekommen.“

Für eine Kandidatur zur Bundestagswahl hingegen schon. 70 Prozent der dafür nötigen Unterschriften sind schon gesammelt, das verrät der Zähler auf der Internetseite der Partei. Ganz oben auf der Seite ist er platziert, unübersehbar und professionell angelegt – wie auf einer etablierten Parteiseite. Daneben das triumphale Wahlergebnis vom Sonntag. Wir wollen hoch hinaus, ist die Message.

Und Dirk Hillbrecht bestätigt dies. „Unsere Themen sollen von anderen Parteien aufgenommen werden“, sagt er diplomatisch und ergänzt nach kurzer Atempause: „Aber bei der Bundestagswahl wollen wir die Parteienlandschaft aufmischen.“