In Wagners Puppenhaus

Das Bühnenbild ist hübsch. Doch sonst lebt wenig in Stefan Herheims Inszenierung von Wagners „Lohengrin“ an der Staatsoper. Der Gralsritter endet kläglich als Stoffpuppe, auch Daniel Barenboim kann ihn davor nicht retten

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

„Kinder, schafft Neues“ soll Richard Wagner zur Eröffnung seines Festspielhauses in Bayreuth gesagt haben. Danach war es jahrelang pleite und geschlossen. Und „Kinder, schafft Neues“ ist nun auch das letzte Wort von Stefan Herheims neuer Inszenierung des „Lohengrin“ an der Staatsoper. Es steht auf einem Transparent, das von jenem Bühnenhimmel herabschwebt, in den der Gralsritter nach der Enthüllung seines Namens an Seilen emporgezogen entschwindet. Es klingt nach Resignation und Überdruss, denn Neues hat Herheim zu diesem Wagner nicht zu sagen. Er mag ihn einfach nicht, so wenig, dass er den Wundermann, der für Wagner das Ideal der Kunst und der Nation verkörpert hatte, nach dem letzten Akkord als Stoffpuppe wieder auf die Bühne herunterkrachen lässt. Dort liegt er dann, zerfetzt und zerstört.

Daniel Barenboim dagegen liebt diese Musik bekanntlich über alles, und unter seinen Händen beginnt sie gelegentlich zu leuchten und zu strahlen, wie es sonst kaum je zu hören ist. Vielversprechend klingen denn auch die ersten Takte des Vorspiels, nicht ätherisch verhaucht, sondern erfüllt von innerer Anspannung, wie die Knospe einer kostbaren Blume, die sich nun über die vier Stunden Dauer dieses Werkes entfalten sollte. Aber dazu kommt es nicht. Spätestens mit den Einsatz des Chores zerfließen die Konturen in oft viel zu lauten Klangmassen, die sich ohne spürbaren inneren Zusammenhang in jene endlosen Zeiträume ausdehnen, die Wagner nun mal für nötig hielt, um seine Botschaft zu verkünden.

Welche Botschaft? „Kinder, schafft Neues“, das heißt bei Herheim: „Hört auf mit Wagner“. Es ist nichts dran an diesem Lohengrin, wahrscheinlich auch nichts am Tannhäuser, am Parsifal und den ganzen Nibelungen. Alles nur Märchen eines größenwahnsinnigen Autisten, der glaubt, die ganze Welt müsse nach den Regeln seiner heiligen Kunst tanzen wie die Puppen an den Fäden eines Marionettenspielers.

Ein Pantomime in der Maske Richard Wagners führt schon während des Vorspiels dieses Grundmotiv überdeutlich und endgültig vor: Ein grotesker Zwerg mit Hakennase und Hut zappelt selbst an den Seilen eines unsichtbaren Meisters im Himmel, lässt sich eine Feder reichen, mit der er zu Papier bringt, wie die Welt auszusehen hat, begeistert sich an seinem Werk, schwebt schließlich wild gestikulierend in eine Riesenblase aus durchsichtiger Gaze hinein – in jenen Gral, aus dem er bald als Lohengrin zurückkehren wird, ausstaffiert mit Federhut und Silberrüstung aus der Spielwarenabteilung eines Kaufhauses.

Nichts als ein einziges Puppenhaus ist danach die ganze Wagnerwelt der Ritter, Könige und Maiden. Solisten wie Chor halten Kreuze in der Hand, an denen sie selbst oder ein kleiner Wagner als Marionette hängen, Burg und Kirche von Brabant sind aus Pappe, und wenn’s den Zappelmännchen erotisch heiß wird, ziehen sie die Überkleider aus und laufen in Ganzkörperkondomen herum mit Feigenblättern an den heiklen Stellen.

Natürlich hat Wagners egomanisches Pseudomittelalter sexuelle Wurzeln, auch das ist keine neue Entdeckung. Es ist hübsch anzusehen, was Stefan Herheim mit Heike Scheele und Gesine Völlm als Bühnen- und Kostümbildnerinnen zeigen, aber es langweilt sehr bald, weil es dabei bleibt. Nichts kann sich in dieser geschlossen Spielwelt ereignen, auch nicht im Brautgemach des letzten Aktes. Dort wäre das bewundernswürdig auskomponierte Aufbegehren einer sehr wohl lebendigen Frau zu hören, die endlich wissen will, wer ihr fabelhafter Geliebter ist. Aber dieser dramatische Höhepunkt des Werkes bleibt ein Fremdkörper, weil so viel menschliche Wahrheit nicht ins Konzept passt.

Es nützt nichts, dass Barenboim seine Staatskapelle dazu in geradezu kammermusikalische Grenzen weist und Klaus Florian Vogt seine oft unangenehm scharf klingende Stimme mit großer Musikalität zu modulieren weiß: Die Tragödie dieses Liebespaares läuft ins Leere.

Schön gesungen wird in Wagners Puppenhaus trotz alledem. Kwangchoul Youn (König Heinrich) fehlt zwar die persönliche Ausstrahlung von René Pape, der wegen Krankheit absagen musste, aber seine Stimme ist so prachtvoll wie die von Dorothea Röschmann als Elsa. Michaela Schuster allerdings übertreibt ihre Rolle der Gegenspielerin Ortrud bis hin zum Geschrei – aber sie ist ja auch die Böse in dem Stück, das hier keines ist.

Seltsamerweise hat das Premierenpublikum überhaupt nicht dagegen protestiert, sondern auch dem Regisseur begeistert applaudiert. Daniel Barenboim strich ihn am Ende väterlich über das Haupthaar, um allen zu zeigen, dass er ihm nicht böse ist. Nun ja, ein wenig war er das vielleicht doch, es ist schließlich sein Wagner.

Nächste Aufführungen: 8., 12. 4. 2009