Krieg und Nachkrieg

Die Vereinigten Staaten haben soeben zwei Kriege gegen Feinde geführt, die als schwer besiegbar galten, und beide eindeutig, rasch und mit minimalen Verlusten gewonnen. Beide Male beeindruckte die militärische Leistung. Doch zeigten die USA sich in beiden Fällen weit weniger erfolgreich dabei, den Frieden zu gewinnen als den Krieg.

Warum? Der Errichtung stabiler politischer Gebilde in Kabul und Bagdad standen immer beträchtliche Hindernisse im Wege. Aber der Charakter der amerikanischen Militäreinsätze hat in beiden Ländern die Zahl jener Hinder- nisse vervielfacht, statt sie zu verringern, und die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht, dass die angestrebten politischen Ziele verfehlt werden. Der Grund hierfür liegt teilweise in der Vision vom Kriege, die Präsident Bush und seine Administration mit ins Amt gebracht haben. Diese konzentriert sich darauf, die bewaffneten Kräfte des Feindes und seine Fähigkeit, diese zu befehligen und zu kontrollieren, zu zerstören. Ihr Schwerpunkt liegt nicht darauf, wie politische Ziele erreicht werden können. Die Verfechter eines „new American way of war“, an ihrer Spitze Verteidigungsminister Rumsfeld und Präsident Bush, haben versucht, Krieg in eine simple Zielübung umzuwandeln. Sie betrachten den Feind als einen Satz Ziele und glauben, wenn alle oder fast alle dieser Ziele getroffen sind, wird er unweigerlich kapitulieren und Amerika seine Vorstellungen durchsetzen können.

Aber Krieg ist nicht so simpel. Im Hinblick auf die Schaffung eines brauchbaren Friedenszustands hängt eine Menge von der konkreten Art und Weise ab, in der man den Feind besiegt, und davon, wie dessen Land aussieht, wenn das Schießen aufhört. Die USA haben eine Kriegsführungsmethode entwickelt und praktiziert, die verblüffende militärische Siege hervorzubringen vermag, aber nicht notwendigerweise die politischen Ziele erreicht, um derentwillen der Krieg geführt wurde.

Als George W. Bush sich um die Präsidentschaft bewarb, verfügte er über eine klare Vorstellung davon, was die Streitkräfte sein und tun sollen. Der Zweck der Streitkräfte bestehe darin, sagte er, Kriege durch Abschreckung zu verhindern, sie auszufechten und zu gewinnen. Peacekeeping und Nationbuilding schloss er gänzlich aus.

Die Entschlossenheit des Kandidaten Bush, den Einsatz der Truppe für andere Aufgaben als den Krieg („operations other than war“, OOTW) zu vermeiden, ging einher mit dem ebenso entschiedenen Willen, das Militär grundlegend umzugestalten. Bush kündigte an, mit ihm werde eine neue Ära beginnen. Seine Reformvision basierte auf der Informationstechnologie und den Präzisionsschlägen über große Entfernungen hinweg, die diese mittlerweile gestattet.

Selbst im Verlauf des Afghanistankrieges und danach änderte Bush seine Ansichten zu militärischen Fragen nicht: „Ich wehre mich gegen den Einsatz des Militärs zum Nationbuilding. Wenn sie ihren Job getan haben, werden unsere Streitkräfte sich nicht als Peacekeeper betätigen. Wir sollten eine UN-Schutztruppe etablieren und abziehen.“ Doch diese Verfahrensweise erwies sich als undurchführbar. Noch immer befinden sich Tausende amerikanischer Soldaten in Afghanistan, um eine schwache, instabile Regierung zu stützen. Einer der Gründe für die Schwäche dieser Regierung liegt darin, dass unsere Truppen erst ins Land kamen, als der Schaden bereits angerichtet war, und obendrein in viel zu geringen Zahlen, um das politische Ziel erreichen zu können. Aber für Bush erhärtete der Feldzug seine Vision vom Krieg der Zukunft: „Die vergangenen beiden Monate haben gezeigt, dass eine innovative Doktrin und Hightech-Waffen einen unkonventionellen Konflikt strukturieren und schließlich beherrschen können. […] Der Krieg in Afghanistan hat uns mehr über die Zukunft unseres Militärs gelehrt als ein ganzes Jahrzehnt hochrangiger Expertenkommissionen und -symposien.“

Rumsfeld machte sich mit Enthusiasmus daran, Bushs Reformvision umzusetzen. Im Oktober 2001 schuf er das Office of Force Transformation. Dessen Auftrag besteht in der Synchronisierung aller Reformanstrengungen der Teilstreitkräfte unter den Auspizien einer bestimmten Vision künftiger Kriegführung, die man Network-Centric Warfare (NCW) nennt. Am klarsten und detailliertesten haben die Autoren David S. Alberts, John J. Gartska und Frederick P. Stein 1999 die Idee entwickelt: „Ihrem Wesen nach übersetzt NCW informationelle Überlegenheit in Kampfkraft, indem sie intelligente Funktionseinheiten auf dem Schlachtfeld effektiv miteinander verbindet.“

Die netzwerkzentrierte Kriegführung werde eine Revolution bewirken, heißt es. Erstmals werde sie uns befähigen, von einer Strategie der Zermürbung überzugehen zu einer „shock and awe“-basierten Strategie. „Shock and awe“ ist ein kompliziertes Konzept. Es wurde Mitte der 90er-Jahre entwickelt und basiert auf einer Position „beherrschender Gefechtsfeldübersicht“, das heißt auf präzedenzloser informationeller Überlegenheit über den Feind. „Shock and awe“ soll diese bemerkenswerte Aufklärungskapazität dazu nutzen, das Vermögen des Feindes, Befehle zu erteilen, für Nachschub zu sorgen, seine Gesellschaft zu organisieren, zu neutralisieren. Als die Bush-Administration versprach, im irakischen Fall ebendiese Strategie anzuwenden, zogen die Autoren Harlan K. Ullman und James P. Wade (Verfasser des Buches „Shock and awe“, 1996) einen Vergleich, der internationale Beobachter entsetzte. Das Land des Feindes „stillzulegen“, erklärten die beiden, „würde sowohl die physische Zerstörung einer funktionsfähigen Infrastruktur als auch die Unterbindung oder Kontrolle aller lebenswichtigen Nachrichten- und Handelsbewegungen bedeuten, und zwar so schnell, dass damit ein nationaler Schock von vergleichbarem Ausmaß bewirkt würde wie in Japan durch die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki.“

Präsident Bush hat die amerikanische Sicherheitspolitik nicht allein durch die Verkündung einer Doktrin präemptiven (oder präventiven) Handelns grundlegend verändert. Das Gleiche gilt für die erklärte Absicht des Regimewechsels. Seit 9/11 haben die Vereinigten Staaten bereits zwei solcher Kriege geführt, und Bush hat wiederholt klar gemacht, dass er weitere in Betracht zieht. Regimewechsel ist ein kompliziertes Geschäft. Wie die Historiker des revolutionären Kriegs sehr wohl wissen, ist es viel leichter, ein bestehendes Regime zu zerstören, als ein legitimes und stabiles neu zu installieren. Die Zyklen der Gewalt in Lateinamerika und Afrika und das sowjetische Scheitern in Afghanistan: Sie zeigen, wie leicht selbst eine relativ stabile und sichere Regierung von innen oder von außen zu stürzen ist – und wie schwierig es sein kann, dem Chaos und der Gewalttätigkeit, die normalerweise folgen, ein Ende zu bereiten. Das wirkliche Gravitationszentrum eines Regimewechselkrieges liegt nicht in der Zerstörung des alten Systems, sondern in der Erschaffung des neuen. Über diese allerwichtigste Aufgabe schweigen NCW und „shock and awe“ sich aus.

In beiden Konzepten besteht das wichtigste Mittel darin, Sachen zu zerstören und Menschen zu töten. Die kecke Frage, ob Krieg sich denn nicht genau darum dreht, geht leicht über die Lippen. Aber die Antwort lautet: Nein. Menschen zu töten und Dinge zu zerstören, das charakterisiert die Schlacht; im Krieg geht es um weit mehr. Wenn die schwierigste Aufgabe für einen Staat, der das Regime eines anderen Staates auszuwechseln wünscht, darin besteht, die Unterstützung der besiegten Bevölkerung für die neue Regierung sicherzustellen, dann müssen die Streitkräfte des betreffenden Staates auch die wesentlichen Bevölkerungszentren und staatlichen Infrastrukturen sichern. Sie haben die Aufgabe, die Ordnung aufrechtzuerhalten und die Entstehung humanitärer Katastrophen zu verhüten, die Amerikas Bemühungen um die Errichtung eines stabilen neuen Regimes untergraben könnten. Wenn die Verfechter von „shock and awe“ sagen, wir sollten die Infrastruktur des feindlichen Landes zerstören, so widerspiegelt eine solche Formulierung, in welchem Ausmaß sie das Problem verkennen.

Die Bush-Administration verwendet die Mittel für die Verteidigung entsprechend ihrer Vision des Zukunftskrieges. Alle wesentlichen Reformen in den Teilstreitkräften und bei den wichtigsten militärischen Systemen, die sich in der Erforschung, Entwicklung oder im Bau befinden, konzentrieren sich auf die Verbesserung der Fähigkeit, feindliche Ziele präzise, schnell und aus der Entfernung von Hunderten (oder Tausenden) von Meilen zu zerstören. Ein Vertreter der Air Force behauptete sogar, es sei möglich, „dass wir noch zu unseren Lebzeiten die Fähigkeit erlangen, einen Konflikt auszufechten, ohne dabei die Vereinigten Staaten jemals zu verlassen.“

Deshalb hängt die Einsatzfähigkeit der Zukunftstruppe auch weniger davon ab, feindliche Angriffe überleben zu können, als von der Fähigkeit, den Feind vernichten zu können, bevor dieser angreifen kann. Überlebensfähigkeit ist zu einer Offensivfunktion geworden.

Die Verfechter von „shock and awe“ glauben, ihre Vorstellung vom Kriege lasse sich auch auf nichtkriegerische Einsätze übertragen. Aber Peacekeeper können nicht auf jeden schießen, der ihnen möglicherweise Schaden zuzufügen vermöchte. Es gibt viele Situationen, selbst im Krieg, in denen es nicht wünschenswert ist, jeden feindlichen Panzer und jedes Militärfahrzeug, das in die Reichweite unserer Waffensysteme geraten könnte, zu zerstören.

Der Erfolg der Peacekeeper hängt gerade von der Fähigkeit ab, Risiken einzugehen – die für amerikanische Soldaten dadurch gemildert werden, dass sie selbst dann, wenn der Feind zuerst das Feuer eröffnet, eine faire Überlebenschance besitzen. In vielen Fällen ist es hochgradig wünschenswert, den Feind den ersten Schuss abgeben zu lassen. Ansonsten riskiert die Peacekeeping-Streitmacht, eine vermeidbare Krise auszulösen und damit den Erfolg ihrer eigenen Mission zu gefährden.

Aber Streitkräfte in leicht gepanzerten Fahrzeugen, deren Überleben von ihrer Fähigkeit abhängt, zu töten, können es sich nicht leisten, den ersten Schuss dem Feind zu überlassen. Sie können bestenfalls darauf hoffen, dass ihre Aufklärungssysteme sie jedes Mal alarmieren, sobald irgendjemand möglicherweise auf sie schießen möchte – damit sie als Erste töten können. Aber wie wird das auf dem CNN-Bildschirm aussehen? Die ganze Welt und nicht zuletzt die Leute vor Ort werden nichts anderes sehen als eine Abfolge „unprovozierter“ amerikanischer Angriffe auf „unschuldige Dörfler“. Die ganze Doktrin ist jeglichem Konzept, das eine Chance zur Erreichung politischer Erfolge bieten soll, ganz unangemessen.

Die Operation „Iraqi Freedom“ hat nichts dazu beigetragen, diese Trends zu verlangsamen. Kaum war der Krieg vorbei, erhob sich ein Chor zum Lobpreis der militärischen Transformation, die er demonstriert habe. Vizepräsident Cheney behauptete, der Krieg habe „den Erfolg unserer Militärreform“ positiv belegt. Aber ist das die richtige Lektion? Hat „Iraqi Freedom“ tatsächlich bewiesen, dass NCW den Weg zu einem glänzenden neuen Zeitalter eröffnet, in dem Bodentruppen überflüssig sein werden? Die Antwort auf diese Fragen wird dadurch erschwert, dass die irakischen Streitkräfte schlecht gerüstet waren. Die USA und ihre Alliierten hatten das irakische Militär 1991 gründlich zerstört.

Natürlich spielten die Luftüberlegenheit und die Präzisionswaffen eine entscheidende Rolle für den Sieg. Aber der Luftkrieg allein hätte diesen Krieg nicht so schnell und gründlich gewinnen können, wie es der kombinierte Luft- und Landangriff tat. Die „shock and awe“-Kampagne verfehlte das von ihr angestrebte Ziel, Saddam oder seine Befehlshaber zur Kapitulation zu zwingen.

Saddam Hussein ließ sich durch die Androhung eines amerikanischen Angriffs nicht einschüchtern, obwohl er wusste, dass seine Streitkräfte denen der Koalition nicht würden standhalten können. Ebenso wenig konnte die Androhung eines „shock and awe“-Feldzuges, selbst in ihrer übertriebenen Form, ihn in die Knie zwingen. Als diese Strategie dann tatsächlich angewandt wurde, konnte auch dies ihn nicht dazu bewegen, seine zusehends geschwächte Macht aufzugeben. Was immer „shock and awe“ in der Zukunft möglicherweise erreichen kann, die Operation „Iraqi Freedom“ hat eindeutig nicht den Triumph dieser Strategie, sondern ihre derzeitigen Grenzen demonstriert.

Die Vorstellung, die USA sollten „einen Krieg führen können, ohne dabei die Vereinigten Staaten jemals zu verlassen“, hat in den Plänen der Bush-Administration tiefe Wurzeln geschlagen. Rumsfeld versucht seit mehr als einem Jahr, den Umfang des Berufsheeres und der Reserveeinheiten um 20 Prozent zu reduzieren. Desgleichen unterstützt er eine Reihe von Vorschlägen, die auf den Rückzug amerikanischer Streitkräfte aus ihren europäischen Stützpunkten und aus Korea hinauslaufen. Die Rechtfertigung solcher Vorschläge besteht im Grundsatz darin, dass unsere Präzisionswaffen großer Reichweite eine solche vorgeschobene Truppenstationierung überflüssig machen. Tatsächlich haben Vertreter des Verteidigungsministeriums kürzlich behauptet, wenn wir die Nordkoreaner ganz einfach wissen ließen, dass wir militärisch in der Lage sind, ihre Führung im Konfliktfall zum Ziel des ersten Schlages zu machen, könnte dies genügen, sie abzuschrecken – und eine nennenswerte US-Militärpräsenz in Südkorea überflüssig machen.

So wie die Kriegsvorstellungen der gegenwärtigen Reformprogramme das Problem des Übergangs vom militärischen Sieg zur Realisierung politischer Ziele außer Acht lassen, so ignorieren diese Vorschläge einer drastischen Verringerung der Präsenz in Übersee die politischen Aspekte vorgeschobener Stationierung. In Übersee stationierte amerikanische Streitkräfte verkörpern eine nachdrückliche Verpflichtung der USA gegenüber der betreffenden Region. Sie verleihen den Vereinigten Staaten eine starke Stimme bei den Entwicklungen vor Ort und helfen ihnen dabei, den Rahmen politischer Diskussionen in lebenswichtigen Regionen zu definieren. Natürlich erleichtern sie gleichzeitig die rasche Verlegung von Streitkräften in potenzielle Kriegsgebiete.

Es geht also um die Frage: Werden die Vereinigten Staaten ihre Verpflichtungen einhalten? Die Präsenz amerikanischer Streitkräfte auf möglichen Kriegsschauplätzen hat es der amerikanischen Führung stets erheblich erleichtert, furchtsame Alliierte davon zu überzeugen, dass man sie verteidigen würde. Der Rückzug dieser Streitkräfte könnte, mit gleicher Deutlichkeit, die gegenteilige Botschaft vermitteln. Und die vorgeschlagene drastische Verkleinerung der Army könnte eben diese Botschaft noch nachdrücklicher aussenden.

Wenn die Vereinigten Staaten in der Lage sein sollen, Regimewechselkriege zu führen und zugleich ihre heutige entscheidende Stellung bei der Kontrolle und Leitung der internationalen Angelegenheiten aufrechtzuerhalten, müssen sie ihre Vorstellungen vom Krieg grundlegend verändern. Es reicht nicht aus, sich damit zu beschäftigen, wie man den Feind mit Abstandswaffen zur Unterwerfung bringt. Wer den Feind als bloßen Satz Ziele ansieht, begeht einen fundamentalen Fehler. Im Krieg ist der Feind eine Gruppe von Menschen. Einige von ihnen wird man töten müssen. Andere gefangen nehmen oder in die Flucht schlagen müssen. Doch die überwältigende Mehrzahl wird man überzeugen müssen. Und sie müssen nicht lediglich von der schockierenden Zerstörungskraft der amerikanischen Macht überzeugt werden, sondern auch davon, dass es für sie wünschenswert ist, sich politisch so zu verhalten, wie die USA es wünschen. Es darf nicht sein, dass ein von unseren Präzisionswaffen geschaffenes chaotisches und rechtloses Vakuum diese Mehrheit davon abschreckt, die von uns gewünschte Politik zu verfolgen. Die Durchführung eines Regimewechsels erfordert, dass die US-Streitkräfte das feindliche Territorium und seine Bevölkerung so schnell wie möglich unter ihre Kontrolle bringen können. Eine solche Kontrolle lässt sich nicht durch Maschinen erreichen, erst recht nicht durch Bomben. Das können nur Menschen, die mit anderen Menschen interagieren. Jene Fortsetzung der Politik, die der Krieg darstellt, kann künftig nur auf Erfolg hoffen, wenn es gelingt, dem gegenwärtigen Reformkonzept das menschliche Element wieder einzufügen.

Der Text ist die gekürzte Fassung eines Aufsatzes Kagans, der in der November-Ausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ erscheint (www.blaetter.de)