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: Reim auf Reim

Neulich hat es mich mal wieder gepackt. Ich ging durch die Stadt und dachte, was für ein blödes Wort „Stadt“ doch ist, da reimt sich ja gar nichts drauf, außer „platt“ natürlich, aber das ergibt keinen Sinn. Straße ist auch ziemlich blöd, aber Haus ist gut (Klaus, raus, Schmaus) oder laufen (saufen, raufen, schnaufen) oder Fußgängerampel (Beingehampel). Der Reim ist fein und muss eben sein, ein Schnösel, wer sich gleich geniert und distanziert. Na also, klappt doch. Mit den Inhalten ist das allerdings so eine Sache. Blöd darf gerne sein, aber nicht blöd blöd. Blöd blöd ist natürlich laufen auf saufen oder Reim auf sein, gut blöd ist das, was Robert Gernhard manchmal macht. Ein Robert Gernhard der Kinderliteratur, ach, wäre das schön!

 Aber witzig sind die Kinderbuchmeister der kleinen Form doch eher selten. Hin und wieder sind trotzdem Perlen versteckt: „Jedes Ding hat Sinn und Zweck. / Immer wenn ich Spritzgebäck / in den Kaffee fallen lasse, / spritzt der Kaffee aus der Tasse.“ Das ist von einem gewissen Frantz Wittkamp (muss man den kennen?). Auch ein Gedicht von Branko Copic – nein, nie gehört, den Namen – sticht heraus. „Der dreistöckige Kranke“ heißt es und erzählt von Doktor Bingelt, bei dem das Telefon klingelt, weil ein Gast an Halsweh stirbt, aber nur fast: „Ich komm. Doch sagen Sie vorher: / In welchem Stock ist’s, bitte sehr? / In welchem Stockwerk? Je, oje, / Ich glaub, im dritten tut’s ihm weh.“ Und die Giraffe, jaaaah, stammt natürlich aus Afrikaaaah.

 Ein Buch voller Fundstücke, wobei die Reimfraktion viel zu selten zum Zuge kommt. Die meisten Erfinder knapper Wortgebilde wollen immer noch einen obendrauf: einen Sinn. Man soll schon irgendwie schlauer werden beim Lesen, das ist ja auch nicht verkehrt, aber leider selten lustig. Erstaunlich oft laufen die kurzen Texte auf eine Pointe hinaus, aus der man irgendetwas lernen kann, wenn man denn will. Aber will man? Zumindest nicht dauernd. Ein bisschen mehr Nonsens hätte dieser netten Sammlung von Geschichten und Gedichten, die sich, welch Glück, keineswegs nur ums erste Schuljahr ranken, wie der Titel behauptet, gut getan.

 Noch mehr Sinn für Luftigkeit und Albernheit, für eine kindergemäße Gernhard’sche Ironie, wünscht man auch Peter Maiwald, einem gestandenen Altmeister der kurzen Form. Hundert Geschichten, jede nur zwei, drei Seiten lang – ein schönes Vorhaben. Was aber am Ende hängen bleibt, sind doch eher die verspielten Ideen. Wie etwa Millemillewackwackwack die lange Langstraße entlanghüpft und den großen Mahuni trifft, das vergisst man nicht.

 Schwer zu sagen, wie das funktioniert: dass etwas witzig ist, dass es zu Herzen geht, dass man nur eines will – mehr davon. Der französische Schriftsteller Erik Orsenna, im Brotberuf Professor für Wirtschaft und früher mal kultureller Berater Mitterrands, hat genau diese Frage zum Thema einer Geschichte gemacht: „Die Grammatik ist ein sanftes Lied“, was für ein Titel. Da kann man neue Wörter kaufen, um abgedroschene auszutauschen. „Ich liebe dich“ ist so ein Satz, der krank ist, weil die Menschen ihn zu sehr strapaziert haben. Bemerkenswert, wie Orsenna weit in die Grammatik hineinkriecht, um ihre Regeln zu erforschen und ihre Schönheit sichtbar zu machen. Die Schönheit der Grammatik! Da muss man sich ganz schön anstrengen, damit die Schönheit der Reime mithalten kann.

ANGELIKA OHLAND

Hedwig von Bülow (Hg.): „Es war einmal ein Zweihorn“. Geschichten und Gedichte ums erste Schuljahr. Mit Bildern von Sybille Hein. Sauerländer Verlag, Düsseldorf 2004, 144 Seiten, 16,90 EuroPeter Maiwald: „100 Geschichten“. Mit Bildern von Leonard Erlbruch. Hanser Verlag, München 2004, 246 Seiten, 14,90 Euro Erik Orsenna: „Die Grammatik ist ein sanftes Lied“. Aus dem Französischen von Caroline Vollmann. Illustrationen von Wolf Erlbruch. Hanser Verlag, München 2004, 136 Seiten, 13,90 Euro