Für immer Punk

In Kassel wird ab heute der Punk diskutiert. Beziehungsweise das, was von ihm noch übrig ist. Hochoffiziell, gefördert von der Bundeskulturstiftung – und wahrscheinlich gar nicht so langweilig, wie sich das anhört. Paradox: Die „No Future“-Jugendkultur scheint tatsächlich Zukunft zu haben

VON JENNI ZYLKA

Punk's not dead. So steht es geschrieben auf der schmuddeligen Lederjacke des polnischen Autoscheibenwischers an einer Berliner Kreuzung, dessen mit Metallstiften zugetackertes Gesicht freundlich durch das Heckfenster grinst, wenn er versucht, einem seine Dienste aufzudrücken. So steht es auch an den Wänden diverser ungastlicher Toiletten in speziellen Musikclubs, die niemals mit Lounges verwechselt werden würden. Außerdem natürlich auf der Exploited-Platte, von der der Song stammt.

Zugegeben, das sind nicht unbedingt die prominentesten Plätze für eine derart wichtige Aussage. Woher soll also jemand, der sich seine Autoscheiben nicht von den polnischen Import-Punks wischen lässt, nicht in dunklen Musiklöchern herumschwankt und nicht alte Platten von Exploited hört, wissen, dass Punk noch lebt? Wo Punk doch verstärkt mit seinen Protagonisten auszusterben scheint: Der Tod von Johnny Ramone hat die aktuelle Ramones-Anzahl vor einer Woche auf ein einziges Original-Mitglied herunterdezimiert. Der Punk-Prototyp Sid Vicious ist ohnehin schon lange und spektakulär gestorben. Von den New York Dolls, den wie Mütter angezogenen Vätern der Punkbewegung, gingen in den letzten dreißig Jahren vier Mitglieder hops, der letzte in diesem Sommer: Bassist Arthur „Killer“ Kane starb mit 55 im Juli an Leukämie, nachdem der erste Schlagzeuger der Dolls bereits in den 70ern besoffen in einer Badewanne ertrunken, der Gitarrist Johnny Thunders 1991 an schlechten Drogen gestorben und deren zweiter Schlagzeuger 1992 von einem Herzinfarkt hinweggerafft worden war. Stiv Bators, der Sänger der Dead Boys, wurde 1990 in Frankreich von einem Auto überfahren, die Sängerin der Plasmatics hat sich vor fünf Jahren erschossen.

Aber gut. Mit toten Jazzern und Rock-'n'-Rollern könnte man ebenfalls Seiten füllen. Es muss auch noch eine Menge lebendiger Punks geben. Möchte zum Beispiel Schorsch Kamerun, Kopf der Hamburger Goldenen Zitronen, noch immer mit seiner fünfzehn Jahre alten „Forever Young“-Coverversion „Für immer Punk“ zitiert werden? Kamerun macht zwischenzeitlich Theater, unter anderem am Schauspielhaus Zürich. Und die Düsseldorfer Toten Hosen oder Die Ärzte aus Berlin – waren/sind das Punks?

Warum nicht. Es gibt schließlich auch (erfolg)reiche Buddhisten. Einer, der Punk erstmalig gewinnbringend ausverkauft hat und seine ehemaligen Kollegen und betreuten Künstler anscheinend alle überleben will, ist Malcolm McLaren, Ex-New-York-Dolls-Manager, Sex-Pistols-Erfinder und -Manager, Autor des ersten kommerziell erfolgreichen HipHop-Songs „Buffalo Gals“, Imagekünstler und Selbstdarsteller. McLaren wird sich an diesem Wochenende in Kassel aufhalten, um dort auf einem Panel zu erklären, was Punk ist, was Punk war und was Punk sein kann. Im beschaulichen Kassel, das bis dahin höchstens als documenta-Standpunkt auffiel, findet von heute bis Sonntag eine von der Kulturstiftung des Bundes mit 140.000 Euro geförderte Veranstaltung statt: Der erste internationale „Punk! Kongress“ (www.punk2004.de), mit Konzerten, unter anderem dem exklusiven Deutschland-Gig der „Buzzcocks“, Panels mit den Themen „Ostpunk“ oder „Rock'n'Roll Writing“, Vorträgen über die Wurzeln des Punkrocks und „Punk vs. Hippie“, einer Filmreihe und einer Ausstellung. Weder Dosenbiersponsoren noch Sicherheitsnadel-Eintrittspreise findet man auf der Homepage, sondern eine ernsthafte Annäherung an ein Phänomen. „Wir machen nicht nur Staatskunst“, erklärte Friederike Tappe-Hornbostel, die Repräsentantin der Kulturstiftung, bei der Pressekonferenz zum Kongress letzte Woche in Berlin fast entrüstet. Sie stehe voll hinter dem Programm, sagt sie weiterhin, und Punk habe schließlich einen enormen Einfluss auf die Kulturgeschichte gehabt.

Für die Berliner Organisatorin Ricarda Eggs, die das Festival gemeinsam mit Matthias Eder erdacht und geplant hat, steht das ohnehin außer Frage: Es gehe darum, „den kulturellen Aspekt eines klassischen Genres der Popkultur, denn das ist Punk ja unbestritten, in den Vordergrund zu stellen und darum, Pop mal nicht nur zu konsumieren, sondern sich etwas intensiver damit zu beschäftigen“. Über die Popkomm lacht schließlich auch niemand, und wenn, dann höchstens schadenfroh, weil sie sich in Berlin vermutlich schlecht machen wird. Ricarda Eggs findet Punk angesichts der momentanen gesellschaftlichen Situation sogar brandaktuell: „Schau dir die Mode an oder die Musik: Punk beeinflusst die Popkulturproduktion bis heute. Die Ich-AG ist ja sozusagen eine Erfindung des Punk. Nur dass das damals noch ‚do it yourself‘ hieß“, referiert sie.

Gibt es Punk also wirklich noch? Mal abgesehen von der Vereinnahmung der Punk-Insignien durch Modelabels (Sicherheitsnadeln an Schottenröcken, zerrissene, bedruckte T-Shirts), Fußballer und Popstars (zerwühlte Möchtegern-Iros), US-amerikanische Teenie-Bands („Green Day“) und die U-Bahnhof-Schnorrerpunks, die außer dem konsequenten Hinarbeiten auf „No Future“ kaum etwas in die Gegenwart gerettet haben, ist die Haltung Punk tatsächlich noch zu finden: Bei jungen und alten Menschen, bei KünstlerInnen, MusikerInnen, AussteigerInnen. Nicht allein als destruktive, anarchistische No-Future-Kein-Bock-Attitüde. Sondern als ironische Beschäftigung mit der, abgelutscht, aber wahr, Konsumgesellschaft. Als gelebte und ausgesprochene Rebellion, obwohl man weiß, dass alles beim Alten bleiben wird – besonders optimistisch war Punk noch nie, Punk wollte nicht primär verändern, sondern eher dem Ärger Luft machen. Punk ist ein Teil des kollektiven Gedächtnisses sämtlicher Generationen unter 50 – Jürgen Teipels Erfahrungsberichtsammlung über Punk und New Wave in Deutschland „Verschwende Deine Jugend“ war ein Bestseller.

Punk und Kunst passen und passten immer gut zusammen. Auf dem Kongress werden unter anderem rare Super-8-Filme aus den 70ern und 80ern laufen, die nicht nur von städtechronologischer Bedeutung, sondern auch künstlerisch interessant und beeindruckend sind. Etwa die Collagen des Schweizer Filmemachers René Uhlmann, die die Punk-Explosion in dem kleinen Alpenländchen zeigen, und im Gegensatz dazu charmant-dilettantische Dokumente aus der Westberliner Punkszene. In einem gibt sogar der noch ganz junge Ben Becker ein bisschen an und kreiert dabei quasi unbemerkt das verpönte Genre „Funpunk“. Und von der längst renommierten Berliner Künstlergruppe „Die tödliche Doris“ wird das fantastische Kinderpunkdrama „Sid und Nancy“ zu sehen sein.

Vielleicht haben die meisten Leute keine Punks in ihrem Bekanntenkreis. Doch Ex-Punks kennen sie bestimmt. Punk war da, war groß und hallt bis heute nach, Punk hatte, genau wie die von Punks verpönte Hippie-Bewegung und im Gegensatz zur Rave- und Technoszene, sogar eine klare politische Ebene: Macht kaputt, was Euch kaputt macht, search and destroy, sind politische Slogans, plakativ zwar, aber nicht mehr oder weniger als die Aussagen auf den Plakaten bei jeder politischen Demonstration, ob montags oder an sonstigen Tagen.

Der Kasselaner Punk! Kongress könnte also wirklich eine seriöse, kulturhistorische und auch noch amüsante Auseinandersetzung mit einem Jugend- und Kulturphänomen werden, die – 30 Jahre nach Entstehen der Bewegung – erstmals versucht, sie im wörtlichen Sinne nüchtern zu betrachten. Wenn genug Leute kommen. Denn den Schnorrerpunks vom U-Bahnhof wird der Kongress gegen das letzte bisschen Strich gehen und die Finanzen übersteigen, und die unauffälligen „inneren“ Punks leben ihre Haltung ja ohnehin schon, ob mit oder ohne Kongress-Analyse. Wer jedoch kommen könnte, sind Musikfans, Popkultur-BeobachterInnen und DiskutiererInnen. Sie könnten endlich mal ungestraft Punk mit Hedonismus verbinden und vier Tage lang über eine Bewegung reden, die immerhin die modemäßig eindeutigste aller Jugendbewegungen war. Die den Kongress begleitende Ausstellung über Punk im internationalen Pressespiegel zeigt das noch einmal deutlich: Punk ist eines der beliebtesten Karnevalskostüme.