Der Leser in der Wüste

Allen Unkenrufen zum Trotz: Die arabische Welt rauft sich zur Frankfurter Buchmesse zusammen

Seit Nagib Mahfus 1988 den Nobelpreis gewann, ist das Angebot an arabischer Literatur hierzulande langsam, aber stetig gewachsen

VON DANIEL BAX

Die Planungen hatten noch gar nicht recht begonnen, da wurden sie schon allenthalben in Frage gestellt: Macht es überhaupt Sinn, alle arabischen Länder auf einmal einzuladen, von Marokko bis zum Irak, von Syrien bis Saudi-Arabien – wo diese Staaten doch, spätestens nach dem Scheitern aller panarabischen Träume in den Sechzigerjahren, nur noch wenig mehr als Sprache und Religion verbindet? Genauso gut könnte man ja alle Staaten des britischen Commonwealth einladen!

Hätte es den 11. September 2001 nicht gegeben, sicher wäre der Schwerpunkt der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt anders ausgefallen. Aber aus dem Willen heraus, in einen Dialog mit der arabischen Welt zu treten, sahen sich die Veranstalter gefordert, dem flächendeckenden „Krieg gegen den Terror“ eine ebenso flächendeckende Alternative entgegenzustellen. So entstand die Idee, alle 22 Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga auf einmal einzuladen.

Das Konzept war von Anfang an umstritten. Ein anderer, häufig wiederkehrender Kritikpunkt lautete: War es wirklich eine gute Idee, ausgerechnet die Arabische Liga mit dem Programm zu betrauen – einen Verband, der lauter undemokratische Regimes vereint, die sich untereinander auch noch allesamt spinnefeind sind? Dass Marokko, Algerien, Libyen, Kuwait und der Irak inzwischen aus der gemeinsamen Präsentation ausgeschert sind, bestätigte den Verdacht, dass da zusammengezwängt werden sollte, was nicht zusammengehört. Allerdings hatte dieser Ausstieg wohl eher mit der traditionellen Ägypten-Orientierung zu tun, die aus der Einladungspolitik des arabischen Verlegerverbands sprach. Denn dieser, nicht die Arabische Liga, hat am Ende die inhaltliche Federführung bei der Ausrichtung des Buchmessen-Schwerpunkts übernommen.

Das führt zum dritten Vorbehalt, der allenthalben laut wurde: Würden die arabischen Staaten, deren Regimes ja allesamt wenig demokratisch sind, nicht lediglich ihre Hofdichter schicken und kritische Stimmen aus der Region außer Acht lassen? „Man stelle sich vor, in den Jahren zwischen 1960 und 1980 hätte die Frankfurter Buchmesse die Ostblockstaaten zum Schwerpunkt gemacht. Es wären auch nur offizielle Literaten und staatsgenehme Dichter aufgetaucht“, zog der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun vergangene Woche in der Zeit einen finsteren Vergleich.

Da aber war die Liste der eingeladenen Schriftsteller längst offiziell – und die gibt den pessimistischen Prognosen kaum Recht: Denn da stehen etablierte Namen wie Elias Khoury und Mahmoud Darwish neben jüngeren Autoren wie Ibrahim Abdelmajid oder Miral al-Tahawi und kritischen Intellektuellen wie Hassan Dawud oder Abbas Beydoun. Damit zeigte sich der arabische Verlegerverband weit liberaler, flexibler und um Unabhängigkeit bemüht, als allgemein angenommen worden war. Trotzdem wird Buchmessen-Chef Volker Neumann nicht müde zu betonen, dass kritische Autoren in Frankfurt ab dem 6. Oktober nicht außen vor bleiben müssen und auch das Exil angemessen vertreten sein wird.

Natürlich ist es fast unmöglich, eine repräsentative Auswahl der gesamten arabischen Literatur zu treffen – genauso schwer wie es wäre, ein repräsentatives Abbild der afrikanischen oder angelsächsischen Literatur zu zeichnen. Und natürlich wird jeder Literat von Rang, der selbst nicht berücksichtigt wurde, diese Auswahl in Zweifel ziehen.

Das gilt insbesondere für den arabischen Raum, der von großer Unübersichtlichkeit geprägt ist: Wo es „weder ein Verzeichnis lieferbarer Bücher noch eine zuverlässige Literaturkritik gibt“, wie der Islamwissenschaftler und Publizist Stefan Weidner beklagt, wo in jedem Land nach anderen Maßstäben Zensur ausgeübt wird und nicht nur geringe Auflagen, sondern auch der blühende Schwarzmarkt mit Raubkopien den Verlegern zu schaffen macht, da trifft der Ausdruck „Leseland“ ganz sicher auf keinen der 22 arabischen Staaten zu: Eher stellt sich die arabische Welt auch auf literarischem Gebiet als eine Wüstenlandschaft dar, die hier und da mal etwas üppigere Blüten treibt.

Zudem ist der arabischen Literatur das Zentrum verloren gegangen: Früher einmal war es Ägypten, später der Libanon. Doch seit die kulturelle Strahlkraft von Beirut als Verlagsmetropole in Folge des Bürgerkriegs nachgelassen hat, gibt es keinen zusammenhängenden Buchmarkt mehr. Stattdessen haben sich überall nationale Märkte herausgebildet, und der Radius eines Buches bleibt seitdem oft auf ein einzelnes Land beschränkt.

Dafür hat die Bedeutung des Exils zugenommen: Städte wie Paris oder London, die für viele Schriftsteller und Intellektuelle zum Zufluchtsort vor Krieg und Zensur wurden, entwickelten sich zu neuen Zentren. Wichtige arabischsprachige Zeitungen und Buchverlage sind heute in Europa ansässig und bilden von dort eine Brücke in die Region. Noch immer spielt Beirut dort eine besondere Rolle, aber es hält eben nicht mehr die Alleinstellung. Insbesondere im Maghreb, in Marokko, hat sich eine florierende und unabhängige Verlagsszene herausgebildet. Die Bücher, die dort erscheinen, erreichen aber oft keine Leser im arabischen Osten, in Damaskus oder Kairo – und wenn, dann nur auf dem Umweg über Paris.

Das macht es für die Buchmesse so schwierig, allen Seiten gerecht zu werden. Doch für ein Urteil über den Auftritt der arabischen Staaten ist es noch zu früh. Kritisch dürfte sich wohl auswirken, dass die Planung erst spät begann und nur zäh anlief: Zu spät etwa für viele arabische Verlage, um eigens für den Anlass noch Übersetzungen in Angriff zu nehmen. Dass viele Autoren erst sehr spät benachrichtigt wurden, könnte auch manche Absage zur Folge und die mangelnde Transparenz der Veranstalter manche Missstimmung begünstigt haben. Aber schließlich lädt ja nicht nur der arabische Verlegerverband nach Frankfurt ein, sondern auch die deutschen Verlage ihre Autoren. Und auch die haben, in Vorbereitung auf die Buchmesse, ihre Hausaufgaben gemacht.

Denn seit der ägyptische Romancier Nagib Mahfus 1988 den Nobelpreis für Literatur gewann, hat sich das Angebot an arabischer Literatur in Deutschland langsam, aber stetig vergrößert. Besonders hervorgetan haben sich dabei Verlage aus der Schweiz: So wie der Unionsverlag, der Autoren wie Assia Djebar vertritt und der schon ein gutes Stück auf seinem Weg, das Gesamtwerk von Nagib Mahfus herauszubringen, vorangekommen ist. Dann gibt es den rührigen Lenos-Verlag, der große ägyptische Namen wie Edwar al-Charrat und Yusuf Idris, aber auch jüngere Autorinnen wie Hannan al-Sheikh, Emily Nasrallah (Libanon) oder Salwa Bakr (Ägypten) verlegt. Und dann gibt es noch den Amman Verlag, der sich besonders um Lyrik-Übersetzungen arabischer Star-Poeten wie den palästinensischen Dichter Mahmoud Darwish und seinen syrischen Kollegen Adonis verdient gemacht hat.

Die Lyrik hält in der arabischen Welt auch heute oft noch einen höheren Stellenwert als andere Genres. Dem trägt auch der Berliner Kleinverlag Hans Schiler Rechnung, der in diesem Herbst etwa die Gedichte von Saadi Yusuf herausbringt, dem wohl einflussreichsten Dichter des Iraks.

Während sich die meisten deutsche Verlage auf zeitgenössische Literatur konzentrieren, hat sich C.H. Beck mit seiner Reihe „Neue Orientalische Bibliothek“ indes auf die Klassiker der arabischen Poesie spezialisiert: Mit seiner neuen Übersetzung von „Tausendundeine Nacht“ will er bei der Buchmesse brillieren. Nur die großen Verlage halten sich weiterhin eher zurück: Eine Ausnahme macht Klett-Cotta, das den Roman „Das Sonnentor“ des libanesischen Schriftstellers Elias Khoury über den ersten arabisch-israelischen Krieg von 1948 veröffentlicht.

Traditionell dominieren auf dem deutschen Markt die Schriftsteller, die aus dem Französischen übersetzt werden: Autoren wie der Libanese Amin Maalouf, der Marokkaner Tahar Ben Jelloun und die Algerierin Assia Djebar wurden in Frankreich schon mit den höchsten Literaturpreisen des Landes bedacht und sind auf diesem Weg auch hierzulande bekannt geworden. Für die große Zahl an Autoren, die auf Arabisch schreiben, scheint insgesamt immer noch ein Mangel an guten deutschen Übersetzern zu herrschen. Auch wenn sich die Situation mit der Zeit gebessert hat: Von deren Engagement und Auswahl aber hängt es häufig ab, welche Werke überhaupt den Weg zum deutschen Publikum finden.

Das Interesse eines breiten Publikums an der arabischen Welt ist seit dem 11. September 2001 zwar sprunghaft angestiegen: Allerdings nicht unbedingt an Literatur aus der Region, sondern eher an Literatur über sie. Davon künden die Stapel von Sachbuch-Reißern zu al-Qaida und Co., die in der Folge von 9/11 ff. die Buchläden füllen. Das spiegelt sich aber auch in den Veröffentlichungs-Schwerpunkten vieler Buchverlage, die auf das große Interesse an Themen wie islamischer Fundamentalismus, Palästina-Konflikt und die Situation der Frauen reagieren.

Kriege, Krisen, Terroristen: Das Bild der arabischen Welt wird von schlechten Nachrichten dominiert. Wenn es der Buchmesse vor diesem Hintergrund gelingt, die Aufmerksamkeit des Publikums sowie die Sensibilität des Feuilletons für andere Seiten der arabischen Gegenwart zu erhöhen, dann wäre allein das ja schon ein Erfolg.