„Mensch, wie hast du das geschafft?“

Hans Wall beglückt seit 20 jahren mit seiner berliner firma städte mit öffentlichen toiletten und bushaltestellen – weltweit. Er schwärmt für die kunst seiner ingenieure, für mitarbeitermotivation durch privatisierung und die macht der ästhetik

INTERVIEW PHILIPP GESSLER

taz: Herr Wall, sie kamen, man hört es noch, aus Schwaben nach Berlin. Wie würden sie auf schwäbisch die tätigkeit ihres unternehmens beschreiben?

Hans Wall: Das ist eine gute frage! Ich kann es nicht sagen, sie würden bloß darüber lachen. Das bringt nichts.

Wenn sie mit schwäbischen zulieferern reden, sprechen sie doch schwäbisch.

Na klar. Ich bin unternehmer. Aber nicht raffgierig und kein spekulant. Mir ist es ja in einem beruf immer langweilig geworden früher oder später. Schon als maschinenschlosser war ich schnell gelangweilt, wenn ich etwas konnte. Da habe ich eben pausen gemacht aus langeweile. Ich habe gedacht, ich bin ein schlamper oder ein taugenichts. Bis ich dann gemerkt habe – ich mag das Wort nicht so gern: ich liebe herausforderungen. Ich liebe es, dinge zu machen, die eigentlich gar nicht machbar sind. Das ist das schöne, seit ich unternehmer bin, ist mir nicht mehr langweilig.

Seit 20 jahren sind sie jetzt in Berlin.

Ja, wir sind mit 39 mitarbeitern hierher gekommen, jetzt sind es knapp 600. Die ersten 100 habe ich noch selbst ausgesucht. Jetzt bin ich von meinen mitarbeitern abhängig. Zu sehen, wie gut die sind, das macht mir heute noch spaß. Nach der wende habe ich entwicklungsingenieure aus dem osten angestellt. Die haben richtig danach gebrannt, zu zeigen, was sie können. Die konnten sich in ihrem generalkombinat gar nicht richtig entwickeln. Das sind künstler! Was die für produkte machen, das ist weltweit einmalig.

Und die ostler verdienten bei ihnen 30 prozent weniger als westler?

Nein, den fehler, den viele westunternehmer im osten gemacht haben, habe ich nicht gemacht. Heute habe ich da stars, totale stars! Die sind leistungsfähig und flexibel. Meine leute müssen alle paar monate neue designs realisieren. Ich brauche leute, die das gern machen. Wenn mal weniger produktion da ist, gehen die in den wartungsdienst, und zwar gerne. Unser produktionswerk in Velten ist die perle der Wall AG. Manchmal frage ich mich: mensch, wie hast du das geschafft? Auch wenn die mitarbeiter bei mir alt werden, wissen sie: bei Wall fliegen sie nicht raus. Die brauchen keinen kündigungsschutz.

Haben sie keinen?

Doch, natürlich, aber die brauchen keinen. Wer die kündigt, der schneidet sich einen finger ab.

Sie kamen mit der vision in die stadt, dass man mit öffentlichen toiletten geld machen kann statt nur miese – pecunia non olet, geld stinkt nicht …?

… ach wissen sie: ans geldverdienen habe ich gar nicht so gedacht. Als unternehmer musst du geld verdienen, sonst bist du weg vom fenster. Aber die großen millionen zu machen, das hätte mich gar nicht so gereizt. Auch wenn sie es nicht glauben: mich hat viel mehr die aufgabe gereizt, die veränderung. Ich habe mir die toiletten alle angeschaut …

und gerochen …

… alle! Da hole ich meine motivation her. Etwa für Amerika, wo das geschäft wirklich ein kampf ist. Aber wenn man dann das sieht: mensch, du hast wirklich was zum positiven verändert, und zwar für die leute auf der straße, saubere klos, auch die, die noch mit der hand gereinigt werden, dann motiviert mich das. Wenn ich in manche öffentlichen toiletten runtergehe, dann werde ich da begrüßt wie ein heiliger. „Herr Wall, wir wissen, wie es früher war.“ Und das war wirklich eine beschissene geschichte.

Verletzt sie das, wenn man ihnen sagt, sie verdienten mit scheiße geld?

Das gehört dazu. Was soll’s? Im prinzip ist es ja auch wahr. Aber was mich halt ein bisschen dran stört, dass man dann nicht sieht, was dahinter steckt, dass es eben nicht so einfach ist. Die leistungen meiner mitarbeiter, in diesem bereich ein innovatives produkt auf die beine zu stellen, die ingenieurleistungen, gehen bei solchen sprüchen etwas unter. Wir haben eine kultur, und auf die bin ich stolz als mittelständischer unternehmer. In unserem werk in Velten steht ein großer spruch an der wand: „sauberkeit beginnt mit ästhetik“. Wenn der papierkorb nur ein kunststoffkübel mit loch ist, dann ist es mir doch egal, ob der müll da rausfliegt. Aber auf den schicken Ku’damm muss da doch was intelligenteres hin. Oder wenn ein haltestellenmast von der BVG aussieht wie ein DDR-wachturm, das ist so hausbacken.

Berlin ist eine arme stadt. Da ist es natürlich mit ästhetik schwer, weil …

… was?! Berlin soll eine arme stadt sein? Berlin ist steinreich! Hebt doch endlich mal die schätze, die Berlin gehören. Im naturkundemuseum liegt im panzerschrank, aus angst vor diebstahl, der urvogel archaeopteryx. Er ist bekannt in der ganzen welt. Jetzt habe ich 60.000 Euro gezahlt, damit sie eine einbruchsichere vitrine bauen können. Dann kann man den ausstellen, wir machen plakatwerbung in der ganzen welt. Der archaeopteryx ist jetzt zu sehen. Nicht in Paris oder London, sondern in Berlin! Da kommen bestimmt zehntausende. Das sind die schätze der stadt.

Die kultur ist der reichtum ?

Ja, hier können viele schätze gehoben werden. Es können hunderte, tausende arbeitsplätze entstehen. Deshalb kümmere ich mich auch um die KPM. Wenn bei Meißen pro jahr 400.000 besucher kommen, dann müssen wir doch bei der KPM … Als kind wollte ich mal zirkus- oder theaterdirektor werden. Die restaurierten KPM-manufakturen sind die schönsten bühnen Berlins. Ohne programm. Da wäre ich gern programmdirektor! Da können eine million besucher pro jahr hineingeführt werden. Das bringt doch geld.

Warum hat Berlin so viele probleme mit visionen?

Man müsste viel mehr privatisieren. Es wird zu wenig auf wettbewerb gesetzt. Ob BVG oder BSR – die müssten beide schon längst ausgeschrieben sein. Da müssen unternehmer ran. Wettbewerb und privatisierung bedeutet, wie Erhard das schon gesagt hat, mehr wohlstand für alle. Das geht bis zum busfahrer runter. Nach einer privatisierung ist der begeistert von seiner arbeit. Weil die gut sind, die leute. Ich habe noch nie einen schlamper bei der BVG gesehen. Ich bewundere, wie die jeden tag acht stunden hinter dem lenker eines so großen brummers sitzen.

Sie sind einer der pioniere der privatisierung öffentlicher dienstleistungen. Wo wäre für sie die grenze? Könnten sie sich etwa vorstellen, ein gefängnis privat zu führen?

Warum nicht? Es geht um menschen. Ich glaube, es würde auch privat besser gemacht. Ein gefängnis darf nicht nur nach dem motto gesehen werden: die sollen brummen bei wasser und brot bis zum letzten tag. Sondern es muss ihnen geholfen werden. Das wäre eine tolle unternehmerische aufgabe: von den insassen meines gefängnisses sind nur 30 prozent rückfällig geworden. Das muss im vordergrund stehen. Natürlich darf es kein fideles gefängnis werden. Aber menschen nach der strafe eine perspektive zu geben. Das wäre es.

Ebnen sie nicht mit ihren stadtmöbeln, die überall auf der welt stehen, die vielfalt ein?

Nein, im gegenteil! Wir liefern maßgeschneiderte lösungen in den verschiedenen städten. Diese öffentlichen einrichtungen wie wartehäuschen, die man braucht, möchte ich auf ein höheres ästhetisches niveau bringen. Ich habe nicht fünf, ich habe zwanzig produktlinien. Bei den großen metropolen machen wir sogar für eine einzelne attraktive straße extra noch mal eine produktlinie.

Josef Paul Kleihues, einer der großen architekten, hat unter anderem ein öffentliches klo für sie entworfen – was ist reizvoll an dieser aufgabe?

Hier haben wir zwei koffer mit den modellen von zwei produktlinien. Wenn ich mit denen mal einen termin bei einem OB habe, freue ich mich tierisch darauf. Vor einem jahr war ich beispielsweise in der historischen city hall von New York, wo George Washington schon saß. Da dachte ich mir: „Jetzt kommt wieder ein wunderschönes erlebnis.“ Selbst der mayor von New York hat solche augen bekommen. Diese zauberkiste habe ich immer dabei. Die hat ein modellbauer aus Kreuzberg gemacht. Eine von denen kostet 40.000 Euro. Wenn ich dem mayor sage, dass er alles aus einem guss bekommt, vom wartehäuschen bis zur city toilette, extra für seine stadt, dann ist das natürlich für einen architekten eine richtige herausforderung. Außerdem müssen stadtmöbel zurückhaltend sein. Sie dürfen nicht zu dominant sein.

Und so etwas reizt stararchitekten?

Kleihues hat auch die stromlinienform bei den stadtmöbeln erfunden, damit man in einer fußgängerzone nicht zuerst gegen eine wand knallt. Ich habe als erster in Kreuzberg meine stadtmöbel aufgestellt. Da sagte jeder: dann ist der erledigt, die möbel werden ständig zusammengeschlagen. Da haben wir die erfahrung gemacht, dass ästhetik viel dazu beiträgt, dass weniger gesprüht, zerkratzt oder zerschlagen wird. Wir haben bei unseren einrichtungen nur 50 Prozent des vandalismus, den man bei der BVG und BSR hat.

Sie sponsern vieles: brunnen, das Jüdische Museum, mahnorte, streetbasketballturniere, die stadtmission – wofür würden sie nicht geld geben?

Ich finde vor allem die geschichte der jüdischen unternehmer der stadt faszinierend. Der Ernst Litfaß etwa. In der ns-zeit durfte man nicht mehr litfaßsäule sagen, weil er jude war. Das ist doch wahnsinn! Das bewegt mich. Und als berliner bin ich schnell konfrontiert worden mit der geschichte, als ich die möblierung einer ersten US-stadt im freien wettbewerb gewonnen habe. Da gab es die vorwürfe in der presse: wie kann das ein deutscher kriegen, das ist doch ein nazi! Ich habe mir einen berühmten satz eines rabbiners aus dem 18. jahrhundert eingeprägt: „das geheimnis der erlösung liegt in der erinnerung.“ Deshalb habe ich, wenn es um die erinnerung an die nazizeit ging, immer mitgemacht. In der Kurfürstenstraße etwa gibt es die weltweit einzige wartehalle, die gleichzeitig ein gedenkort ist. Dort hatte Adolf Eichmann sein judenreferat. Ich möchte ein freund Israels und ein freund der juden sein. Ich fühle mich da hingezogen. Das tue ich nicht, um mich anzubiedern, sondern aus überzeugung, dass das geheimnis der erlösung in der erinnerung liegt.

Warum engagieren sich hier viel weniger unternehmer als sponsoren als in den USA?

Weil alles noch überreguliert ist. Wir alle müssen mehr verantwortung übernehmen. Warum etwa kümmern sich nicht nachbarschaften um spielplätze? Wir können nicht warten, bis der staat alles regelt. Wir müssen selber mit guten beispiel vorangehen – das macht übrigens auch verdammt viel spaß.

Die geschichte von „geld stinkt nicht“ stammt vom römischen kaiser Vespasian, der die öffentlichen finanzen mit einer latrinensteuer sanierte und neun jahre friede im reich sicherte. Ein vorbild?

Na, das ist doch mein vorbild! Wie heißt der: Vespasian?