Medienevent seit mehr als hundert Jahren

In Frankreich war die Tour stets ein Medienereignis. Schon vor hundert Jahren berichtete die Gazette L’Auto-Vélo Tag für Tag mit Sonderausgaben. Reporter Géo Lefèvre war damals gleichzeitig Cheforganisator der Rundfahrt. Bevor er abends seinen Telefonbericht nach Paris durchgab, musste er den Ablauf der Tour gewährleisten, die Einhaltung der Regeln überwachen und bei Orientierungsproblemen oder Täuschungsmanövern der Fahrer eingreifen.

Der Berichterstatter von heute ist anderen Strapazen ausgesetzt. „Bei mir zu Hause denken immer alle, ich verfolge die Tour bequem vom Auto oder Hubschrauber aus“, sagt Herbert Watterott, der erfahrenste deutsche Tourreporter. Im Auto sitzt er aber erst nach der Übertragung, wenn der Tross von über tausend Medienleuten zum nächsten Zielort aufbricht.

Kommentiert wird auf der Tribüne, viereinhalb Stunden lang, live. Auf einem Ohr hat Watterott den Originalkommentar des französischen Fernsehens, auf dem anderen den Tourfunk. Vor sich das Fernsehbild und seine Karteikarten, neben sich die Kollegen Hagen Boßdorf und Jürgen Emig.

Als Kind verfolgte Watterott die Radsportreportagen von Rudi Michel und Günter Isenbügel am elterlichen Radio. Als der Deutsche Hans Junkermann 1960 nach einem begeisternden Rennen bei der Tour de France Vierter wird, ist Herbert Watterott nicht mehr aufzuhalten: „Ich wollte es wissen und habe mich bei allen Rundfunkanstalten schriftlich beworben.“

Seine TV-Karriere begann 1962 beim WDR als Assistent in der Aufnahmeleitung. Unter der Woche arbeitet er bei Radioproduktionen, an den Wochenenden hilft er beim Sport aus: „Ich habe den Job von der Pike auf gelernt. Fernschreiben abreißen und sortieren, Nachrichten schreiben, recherchieren.“

1965 hat er sein Ziel fast erreicht. Watterott erlebt seinen ersten Toureinsatz als Sportredakteur vor der eigenen Haustür: Der Prolog fand in Köln statt. 1969 kommentiert er sein erstes Rennen – das Zeitfahren der 56. Tour in Roubaix, das mit dem Sieg von Rudi Altig endet.

Die Zeiten, in denen die ARD erst anderthalb Stunden vor Ende der Etappen mit ihrer Sendung begann und die Reporter dem Feld noch im eigenen Wagen folgten, sind vorbei. Seit Jan Ullrich mit seinem zweiten Platz im Jahr 1996 Deutschland in eine radrennverrückte Nation verwandelte, wurde die Tour auch hierzulande zum TV-Event.

Seitdem sorgt ein fast hundertköpfiges ARD-Team täglich für eine mehrstündige Liveberichterstattung, seit 2000 im Wechsel mit dem ZDF. Die Bilder des französischen Fernsehens werden um Material von eigenen Teams erweitert.

Seine persönliche Sternstunde erlebte Herbert Watterott im Jahr 2000. Für 35 Jahre Berichterstattung über die Tour wurde er von Bernard Hinault, der mit fünf Siegen zu den Rekordhaltern der Rundfahrt zählt, und Tourchef Jean-Marie Leblanc ausgezeichnet. REIMAR PAUL