Der Hofnarr der Geheimdienste

Udo Ulfkotte, „FAZ“-Redakteur und Terrorismusexperte mit guten Kontakten zu Geheimdiensten, warnt in seinem neuesten Buch vor der Unterwanderung des Staats durch gewaltbereite Islamisten. Viel Stoff für Verschwörungstheoretiker

„Der Krieg in unseren Städten“ ist eine ärgerliche Mogelpackung

von EBERHARD SEIDEL

Deutschland ist unterwandert. Gewaltbereite Islamisten tarnen sich als friedliche Muslime, und die Politik schläft. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die islamistische Internationale ihren Generalangriff auf die Fundamente unseres Rechtsstaats startet. So ist es in dem jüngst im Frankfurter Eichborn Verlag veröffentlichten Buch „Der Krieg in unsere Städten. Wie radikale Islamisten Deutschland unterwandern“ nachzulesen.

Udo Ulfkotte, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), hat dieses Schreckensszenario entworfen. Der Autor hat sich in den letzten Jahren den Status eines Terrorismusexperten erworben und unterrichtet in einem seiner vielen Nebenjobs an der Universität Lüneburg Spionage- und Terrorabwehr. Durch ihn hatte die FAZ in den Wochen nach den Attentaten vom 11. September 2001 stets die Nase vorn. Wer etwas über al Qaida und ihre Verbindungen zur islamistischen Szene in Deutschland erfahren wollte, kam an den Namen Ulfkotte nicht vorbei. Im Fernsehen, im Radio, in der FAZ – überall erklärte er das islamistische Terrornetzwerk. Und so mancher Kollege fragte sich angesichts Ulfkottes Insiderwissen: „Wo hat der Mann all diese Informationen nur her?“

Dank seines jüngsten Buchs wissen wir es: Ulfkotte arbeitet nach eigenen Angaben aufs engste mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz, den Landesämtern für Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst, dem israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad, amerikanischen und französischen Nachrichtendiensten zusammen. Und im Nachwort dankt er dem bayrischen Innenminister Günther Beckstein für vertrauliche Gespräche und dem GSG-9-Gründer General Ulrich Wegener für Anregungen.

Was für Journalistenkollegen eine berufsethische Bankrotterklärung ist, soll bei unbedarften LeserInnen den Eindruck zweifelsfreier Kompetenz und exklusiven Quellenzugangs erzeugen. So behauptet der Verlag denn auch: „Erstmals wird dieses Netzwerk der Islamisten in Deutschland mithilfe exklusiver und brisanter Informationen enttarnt.“ Nichts davon ist wahr, und „Der Krieg in unseren Städten“ ist nichts weiter als eine ärgerliche Mogelpackung. Im Wesentlichen referiert Ulfkotte die seit Jahren bekannten und in der Presse bereits häufig beschriebenen Strukturen islamistischer Organisationen wie Milli Görüs, Kalifatsstaat, Hisb ut-Tahrir und Al Aqsa e. V. Nach einer Beschreibung gefährlicher neuer Gruppen und Akteure, die es ja durchaus gibt, sucht man ihn Ulfkottes Buch vergebens. Dafür versetzt der Autor die Fachwelt in Erstaunen, wenn er statt neuer Erkenntnisse die gemäßigte Islamistengruppe Milli Görüs als derzeit größte innenpolitische Gefahr darstellt. Milli Görüs, so suggeriert Ulfkotte, sei eng mit al Qaida verbandelt und organisiere den drohenden „Krieg in unseren Städten“. Das ist ein schlechter Witz, der seit Monaten aus dem Umfeld des bayrischen Innenministeriums verbreitet wird.

Man kann den Funktionären von Milli Görüs vieles vorwerfen. Zum Beispiel dass sie in dubiose Geschäfte verwickelt sind, es mit der Wahrheit nicht immer sehr genau nehmen, möglicherweise sogar Kontakte zu Radikalislamisten haben. Die Organisation aber pauschal in die Nähe des Terrorismus zu rücken, ist schon mehr als gewagt. Ulfkotte versucht trotzdem das Unmögliche. Wortreich konstruiert er einen Zusammenhang zwischen Milli Görüs und islamistischen Terroristen. Den Beweis bleibt er allerdings schuldig.

Stattdessen unterlaufen dem Autor peinliche Fehler, die ihm mit Sicherheit noch mehr als die bisherigen Unterlassungsklagen einbringen werden. Und er verwirrt selbst den kundigen Leser mit unlogischen Indizienketten, die er auf vermeintliche Geheimdienstinformationen aufbaut. Da diese Informationen selbstredend supergeheim sind, entziehen sich Ulfkottes Behauptungen der Überprüfung. Für Verschwörungstheoretiker bietet Ulfkotte jede Menge Stoff, für die Analyse bietet er nichts.

Wüsste man nicht, dass Ulfkotte sein Geld als FAZ-Redakteur verdient, könnte man ihn für einen Lohnschreiber des bayrischen Innenministers Beckstein halten. Ulfkottes Fixierung auf die vermeintliche Terrorismusnähe von Milli Görüs folgt exakt Becksteins großem politischem Projekt.

Auch die von Ulfkotte vorgeschlagen Maßnahmen zur Eindämmung der islamistischen Gefahr klingen wie ein Diktat aus der bayrischen Staatskanzlei. Einige Kostproben aus seiner Giftküche: Milli Görüs muss verboten werden; damit Islamisten nicht die deutschen Sozialsysteme missbrauchen, müssen die Daten der Sozialämter in die Rasterfahndung einbezogen werden; Organisationen, die Islamisten zu Podiumsdiskussionen einladen, müssen aufgelöst, ihr Vereinsvermögen muss vom Staat eingezogen werden. Damit verlangt Ulfkotte nichts weniger als die Auflösung der Heinrich-Böll-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung und diverser katholischer und evangelischer Akademien. Dümmer geht’s nimmer.

Ist Ulfkotte nun ein Agent der Geheimdienste und Lohnschreiber des bayrischen Innenministeriums? Nein. Der Fall dürfte viel einfacher liegen. Ulfkotte ersparte sich zumindest für dieses Buch schlicht den mühsamen Weg eigener Recherche im islamistischen Milieu. Stattdessen plündert er die Arbeitsergebnisse von Kollegen, ohne die Quellen hinreichend zu nennen, bauscht diese wichtigtuerisch auf. Das Ganze vermischt er mit zweifelhaften, da nicht nachprüfbaren Informationen von Mitarbeitern aus Nachrichtendiensten. Nicht nur einmal drängt sich bei der Lektüre der Eindruck auf, dass da ein naiver Journalist der Desinformationspolitik der Nachrichtendienste auf den Leim gegangen ist.

„Der Krieg in unseren Städten“ ist nicht das große Enthüllungsbuch über den radikalen Islamismus, wie der Verlag behauptet. Das Buch ist vor allem ein Lehrstück darüber, wie Journalisten bei ihrer Suche nach der großen Geschichte jegliches Berufsethos über Bord werfen und sich zum Hofnarren der Geheimdienste machen können.

Udo Ulfkotte: „Der Krieg in unseren Städten. Wie radikale Islamisten Deutschland unterwandern“. Eichborn, Frankfurt a. M. 2003, 272 S., 19,90 €