Giganten im Kampf um die Hauptstadt

Wer wird „Hauptstadtzeitung“, wer geht ein? Das Rennen um den Titel läuft schon lange, entschieden ist es nicht

BERLIN taz ■ Geht es um den Zeitungsmarkt der deutschen Hauptstadt, wird von „Vorherrschaft“, „Sterben“, „Krieg“ gesprochen. Das hat viel mit Politik zu tun. Und mit der noch geteilten Stadt.

Die „Frontstadt“ Westberlin nämlich wies 1989 mit sechs Tageszeitungen die größte Printvielfalt der alten Bundesrepublik auf. Ostberlin hatte eine noch wesentlich größere Zeitungsdichte. Weil jede Massenorganisation, jede Blockpartei eine eigene Tageszeitung vererbte, summierten sich hier 10 Redaktionen. Dazu kam die Aufbruchstimmung: „Kultur-Stalinist regiert die Hauptstadt“, so die Schlagzeile der ersten Neugründung, der Ost-taz. „Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen“ – der Burda-Verlag folgte mit dem Revolverblatt Super! Die BZ am Abend – umgetauft in Berliner Kurier – gab sogar eine Morgen- und eine Mittagsausgabe heraus.

Die Treuhand schürte den Wettbewerb. Im Herbst 1990 erhielt Gruner + Jahr den Zuschlag für den Berliner Verlag (Berliner Zeitung, Kurier). Erich Böhme – einst Spiegel-Chef, später an der Spitze der Berliner Zeitung – formulierte als Anspruch, aus dem einstigen SED-Bezirksorgan eine „Washington Post für Deutschland“ zu machen. Springer – den Westberliner Markt beherrschend – sah sich ernsthafter Konkurrenz ausgesetzt. „Der Kampf der Giganten“ begann.

Ein Kampf um Abonnenten: Mit der Zeit der Werbe- und Dumpingangebote begann auch das Berliner Zeitungssterben. Deutsches Sportecho, Tribüne, der mit viel Lorbeeren bedachte Morgen wurden 1991 eingestellt. Super!, das Deutsche Landblatt folgten 1992, zwei Jahre später das Westberliner Volksblatt und die auf hellblauem Papier gedruckte Neue Zeit.

Marktbereinigung nannte man das, und die schien Mitte der 90er-Jahre abgeschlossen. Euphorie kam erst wieder auf, als die deutsche Hauptstadt auch Regierungssitz wurde. Jetzt – so die verlegerische Strategie – würde die „Berliner Washington Post“ endlich möglich sein. Ins Rennen um diesen Qualitätsanspruch war auch der Stuttgarter Verleger Holtzbrinck gegangen, der 1992 den Tagesspiegel kaufte. Und natürlich Springer: 1993 wurde das Flaggschiff Welt von Hamburg an die Spree verlegt. Die überregionalen Zeitungen steuerten mit Regionalia gegen: Die FAZ gründete ihre „Berliner Seiten“, die SZ ihre Berlinseite.

Nach den wirtschaftlich fetten späten 90ern folgte dann der Einbruch auf dem Anzeigenmarkt. Von verlegerischer Euphorie in der Hauptstadt ist nichts geblieben. Im Gegenteil. Die Verlage drohten gestern, dass bald mindestens eine der zehn noch in Berlin verlegten Zeitungen dichtgemacht wird. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement soll entscheiden, welche das sein wird: Erteilt er eine Ministererlaubnis, sollen Welt und Berliner Morgenpost eingestellt werden, verweigert er sie, dann der Tagesspiegel.

Durchaus eine heikle Mission für den Wirtschaftsminister: Bundeskartellamt und Bundesmonopolkommission hatten sich gegen die Fusion ausgesprochen. Dass ihre Bedenken schwerwiegend sein müssen, belegen die Zahlen: Seit 1973 wurden 30.000 Kartellfälle geprüft, gerade einmal 140 abgewiesen.

Im Medienbereich ist die Ministererlaubnis fast beispiellos. Zuletzt hatte der US-Medienkonzern Liberty mit einer solchen geliebäugelt – wegen fehlender Erfolgsaussicht aber davon abgelassen. Liberty wollte vor anderthalb Jahren die Mehrheit der Kabelnetze der Deutschen Telekom kaufen – knapp die Hälfte des Kabelfernsehmarktes. Tatsächlich wurde in der Medienbranche bislang nur einmal eine Ministererlaubnis beantragt: 1981 hatten die Kartellwächter Burda untersagt, bei Springer einzusteigen. Entschieden wurde damals nichts, der Antrag vielmehr zurückgezogen. Das Kartellamt hatte sein Veto wegen „veränderter Marktverhältnisse“ aufgehoben. Nur eine Episode: Der Verbund Springer-Burda ist längst Pressegeschichte. NICK REIMER