„In der Einengung schwelgen“

Die Farben der Fünfzigerjahre: Todd Haynes hat mit „Dem Himmel so fern“ einen Film im Stile Douglas Sirks gedreht. Ein Gespräch über die Radikalität des Melodramas, den Konservatismus der Gegenwart und die Kostümpanzer Julianne Moores

Interview MANFRED HERMES

taz: Herr Haynes, das Melodrama ist das Genre der komplizierten Verhältnisse und dialektischen Spannungen. Es verweigert leichte Antworten auf schwierige Fragen. Warum haben Sie dieses Genre aufgegriffen?

Todd Haynes: Das Melodrama ist eine radikale, populäre Form, einerseits äußerst banal und bürgerlich, andererseits ausgesprochen kulturkritisch und rettungslos traurig. Ich finde, das ist eine ziemlich aufregende Kombination. Den Ausschlag hat aber meine Liebe zu den Filmen von Douglas Sirk gegeben, und ich wollte Julianne Moore unbedingt eine angemessene Rolle auf den Leib schreiben.

Das Sirk’sche Melodrama spielte eine gewisse Rolle in feministischen Filmtheorien seit den Siebzigerjahren. Dann hat Fassbinder das Genre aktualisiert. Hatten diese Voraussetzungen eine Bedeutung für Ihren Film?

Meine Collegeausbildung war von feministischen Theorien bestimmt. Aber um ehrlich zu sein, haben für diesen Film wohl eher theorieferne Ansprüche den Ausschlag gegeben. Da ich die großen Sirk-Melodramen sehr schätze, war es mir wichtiger, das Genre und seine Implikationen auf die emotionalen Möglichkeiten hin aufzurollen. Gewisse Regeln und Grenzen einhalten zu müssen kann sehr kreativ sein.

Trotzdem scheinen Sie das Melodrama zu invertieren. Vielleicht stellen Sie es mit dem Thema Homosexualität sogar auf die Füße: Als bekannt wurde, dass Rock Hudson schwul ist, hat das auch den Blick auf dieses Genre noch einmal verändert.

Ich hatte gar nicht vor, so riesenhafte Themen unterzubringen. Zuerst wollte ich nur eine Frau und ihre häusliche Sphäre zeigen, deren Mann mit seiner Sexualität zu kämpfen hat. Deshalb glaube ich nicht, dass ich das Melodram invertiert habe, ich glaube nicht mal, dass das klassische Melodrama diese Entstellung braucht. Wenn überhaupt, dann habe ich das momentane gesellschaftliche Klima invertiert, diesen zynischen Rückzug aus Erfahrungen und Gefühlen, indem ich diese klassische Filmform übernommen habe, die von Douglas Sirk in den Fünfzigerjahren zu etwas sehr Deutlichem und Konsequentem entwickelt wurde. Sirk hat das Melodrama wirklich radikalisiert – und damit auch dem Ausdruck von Gefühlen eine radikale Form gegeben.

Übernimmt man mit dem Genre und seinem Stil nicht auch die Werte der Fünfzigerjahre?

Diese Werte waren doch nie homogen. Douglas Sirk hat als Emigrant aus Deutschland zu einer Kritik der straffen Selbstgefälligkeit, Rigidität und Klaustrophobie des amerikanischen Mittelstands gefunden. Wenn man seine Filme heute ansieht, dann ist einfach klar, dass es da keine Duldung dieser Werte gibt, sondern ein großes Mitgefühl mit den Menschen und radikale Gesellschaftskritik. Es gibt keine einheitliche Moral, die über die Filme der Fünfzigerjahre gekleistert war, so wie es sie heute auch nicht gibt.

Nehmen Sie Sirks Perspektive: Sie ist zwar nicht homosexuell, aber auch nicht das Gegenteil. Seine Sicht war kritischer als die von George Cukor, der eher als schwuler Regisseur rezipiert wird. Cukors Filme sind positiver und unkritischer, weil in ihrem Zentrum oft Frauen wie Katherine Hepburn stehen, mit ihrem extremen Charisma, ihrer Eigenständigkeit und Brillanz, die er- und nicht entmutigt wirken. Bei Sirk geht es düsterer zu, da lugt die Verzweiflung aus allen Ecken. Seine Frauen sind so gewöhnlich und fragil. Das mochte ich immer gern.

Wo sehen Sie die Verbindung zwischen Ihrem Film und einer gegenwärtigen Situation? Haben sich die Dinge nicht entspannt? Gibt es nicht mehr Optionen?

Das glauben wir nur. Man kann heute sicher vieles aussprechen, nicht zuletzt im Fernsehen. Aber deshalb hat sich an unseren Ängsten, die sehr tief sitzen, kaum etwas geändert. Das hat sich auch nicht deshalb geändert, weil Frauen arbeiten oder Männer in eine Schwulenbar gehen können. Und was ethnische Mischung betrifft, hat sich die enorme Ablehnung nicht so stark aufgeweicht, wie man denken würde – und zwar auf keiner Seite. Im Grunde leben wir heute in einem politischen Klima, das die Fünfziger- aussehen lässt wie die Sechzigerjahre, woran der unverfrorene Radikalkonservatismus der Bush-Regierung sicher nicht unschuldig ist. Deshalb finde ich das Genremodell des Melodramas auch so passend, um konkrete gesellschaftliche Defekte darzustellen.

Durch die Homosexualität des Ehemannes wird seine Frau aus der bürgerlichen Bahn geworfen. Der Film sympathisiert genretypisch mit ihrer geschwächten Position.

Jeder verletzt jeden, ohne es zu wollen. Wir werden immer alle durch die Optionen und Freiheiten der anderen viktimisiert. Man nimmt Frank Whitaker zwar nicht als schlechten Menschen wahr, aber es gibt auch nicht den leisesten Ansatz für eine liberationistische Interpretation seiner Homosexualität. Wir wissen, dass es keinen Ausweg und keine „Kur“ für ihn gibt. Wir wissen außerdem, dass diese Familie und ihr öffentliches Bild das nicht überleben werden. Er hat sie verletzt, aber es blieb ihm gar nichts anderes übrig. Er wird dadurch kein netterer Mensch. Er ist ein Arschloch, weil er schwul wird. Ironischerweise ist er trotzdem derjenige, der seinen Wünschen und Bedürfnissen näher kommt als jeder andere in diesem Film – gerade deshalb, weil er sich verstecken kann.

Es ist offensichtlich, dass Ironie in Ihrem Film so gut wie keine Rolle spielt. Das läuft der Erwartung zuwider, die man an ein Pastiche stellt.

Ich bezweifle, dass es sich bei „Dem Himmel so fern“ überhaupt um ein Pastiche handelt. Jedenfalls habe ich viele Leute getroffen, die keinen einzigen Sirk-Film kennen und trotzdem auf die Emotionalität in meinem Film reagiert haben. Ganz ohne die genaue Kenntnis von Hintergründen oder das clevere Wiedererkennen von Quellen und Anspielungen.

Es gibt Einstellungen, in denen sieht Julianne Moore dennoch merkwürdig aufgeblasen aus. Ihr Kleid wirkt wie ein Panzer, der ihre Feminität verstärkt – fast wie die Persiflage eines Fünfzigerjahre-Kleides.

Das beschreibt die Kleider dieser Zeit und ihre fast militante mütterliche Form ganz gut. Aber eine Persiflage war von uns mit Sicherheit nicht beabsichtigt. Die Kostümbildnerin hatte alle Hände voll zu tun, die Tatsache zu verschleiern, dass Julianne Moore während der Dreharbeiten schwanger war.

Oh. Mit dem Melodrama übernehmen Sie einen bürgerlichen Standpunkt, die Kleinfamilie und ein enges Netz von Konventionen fast als Wunschbild. Die Lust am charakterlichen Stereotyp, an den Effekten gesellschaftlichen Drucks. In diesem Zusammenhang wirkt das Thema Homosexualität eigenartig platziert.

Finden Sie? Können Sie mir das genauer erklären?

Weil Sie den homosexuellen Ehemann einer gesellschaftlichen Ächtung aussetzen, die in dieser Form fast übertrieben und manchmal dämonisch wirkt.

Es ist doch eigentlich umgekehrt. Ich finde es fast schockierend, dass die Unterschiede so groß gar nicht sind. Viele fühlen sich von meinem Film an ihre heutige Lebensweise erinnert und daran, wie wenig sich eigentlich geändert hat. Ich kann die Leute gar nicht zählen, deren Ehen ganz ähnlich funktionieren wie die von Cathy und Frank Whitaker.

Ihre Filme haben eines gemeinsam: Immer greifen Sie nostalgisch zurück. Gibt es so etwas wie eine Geschichtstheorie, die Sie antreibt?

Ich bin von den Formen der Vergangenheit und deren Radikalität fasziniert. Ich glaube nicht, dass irgendetwas im Film in der Vergangenheit nicht immer schon gemacht worden ist. Ich glaube nicht, dass es eine zeitgenössische Art des Filmemachens gibt, die entwickelter oder klarer wäre als Stile, die als ausrangiert gelten. Durch die stilistische Distanz entsteht eine Öffnung, die der Zuschauer mit seiner eigenen Erfahrung füllen kann. Das wäre schon einmal ein Unterschied zu vielen neueren Filmen, in denen vieles bis zum Gehtnichtmehr ausgesprochen und gebrauchsfertig durchformuliert wird.

Sie reproduzieren das Aussehen von Sirk-Filmen beinahe eins zu eins, dementsprechend spielen Dekor und Kostümbild eine wichtige Rolle.

Das war sicher einer der schönsten Aspekte der Produktion, dass ich in diesem Stil der radikalen Einengung schwelgen konnte – wenn auch immer im Dienst der Unterdrückungen und Beschränkungen der Figur, um die es hier geht.

Auch das herbstliche Strahlen des Indian Summer trägt besonders eindrucksvoll zur Stimmung bei. Können Sie etwas zu Ihrem Umgang mit Farbe sagen?

Die Farbe hat wirklich eine zentrale Rolle für die Strukturierung des Films gespielt. Auch in Sirks „All That Heaven Allows“ gibt es eine sehr ausgetüftelte Farbpalette warmer und kühler Töne, die Ambivalenzen und Komplexitäten wesentlich diffiziler ausdrückt, als es heute irgendjemand auch nur will. Für „Dem Himmel so fern“ haben wir mit etwa dreißig Farbtönen gearbeitet. Vor der Produktion haben wir den ganzen Film, Szene für Szene, nur unter farblichen Gesichtspunkten durchgeplant. Wir wollten etwas machen, das reich, exzessiv und kraftvoll ist. Als Kompensation für die emotionalen Beengtheiten der Figuren und zum Vergnügen der Zuschauer.

„Dem Himmel so fern“. Regie: Todd Haynes. Mit Julianne Moore, Dennis Quaid, Dennis Haysbert u. a., USA 2002, 107 Minuten