Dschihadisten als Pop und Protestkultur: Wie wir Firas verloren haben

Binnen weniger Jahre wurde der 19-jährige Firas H. vom lieben Buben zum Frontkämpfer für den „Islamischen Staat“ in Syrien. Aber warum?

Isis-Kämpfer in ihrer Hochburg Raqqa, Syrien. Bild: Reuters

WIEN taz | Firas ist jetzt ein Star der bizarren Art: Österreichs bekanntester Dschihadist. Einziger Austro-Terrorist, der von Interpol weltweit gesucht wird. Sehr schnell wird man Firas aber nicht habhaft werden. Denn Firas, in Floridsdorf aufgewachsen, einem Flächenbezirk im Nordosten von Wien, ist irgendwo in Syrien. Kämpft in der IS und postet täglich auf Facebook.

Gerade hat er mit seinen Leuten den Flughafen Tagba erobert. „Nach dem Verhör“ würden die Gefangenen „geschlachtet“, schreibt er in einem Posting. Auf einem Foto posiert er lachend auf einem eroberten Kampfjet. Er wirkt nicht einmal unsympathisch, wie er da lächelt.

Unter jedem Posting finden sich oft hunderte Likes von jungen Muslimen. Auf einem Foto ist die Uniform eines hochdekorierten syrischen Kampfpiloten zu sehen. „Was für eine Trophäe“, schreibt Firas. Übrigens schreibt er Trophäe richtig, was heutzutage nicht allen 19-Jährigen gelingt. Er macht auch viele Smileys. Und die Satzzeichen, Komma et cetera, setzt er auch korrekt. Firas ist weder dumm noch ungebildet. Der chancenlose Verlierer – der war Firas in seinem früheren Leben ganz offensichtlich nicht.

Spaß haben, sich opfern

Firas nutzt seine Internet-Präsenz aus Propagandagründen. Er ist ein talentierter Propagandist. Er zeigt das große Schlachten, zeigt, wie es voran geht; zeigt, dass er und seine Mitkämpfer dabei viel Spaß haben; zeigt, dass sich manche opfern für die Sache des Propheten und des Kalifats; zeigt, wie man Gefangene demütigt und wie sie dann tot in der Wüste liegen.

Für all das bekommt er hunderte Likes. Für die, die da in ihren Jugendzimmern sitzen, und auf Like drücken und Jubelkommentare posten, ist er ein Held, ganz ohne jeden Zweifel. Vielleicht freut das Firas ja auch. Es ist zwar Propaganda, aber immerhin erhält ja er den Zuspruch. Die anderen finden das klasse. Möglicherweise findet ja auch Firas klasse, dass die anderen ihn klasse finden. Wahrscheinlich sogar.

Nur vereinzelt finden sich andere Postings wie dieses: „Was ist aus Dir geworden??? Früher warst Du ganz anders alter.“

Ja, früher war Firas ein anderer. Im Internet findet sich ein Profil, das der kleine Firas, damals war er vielleicht vierzehn, fünfzehn, ausgefüllt hat. Unter der Rubrik „Lieblingsbücher“ gibt er an: „Maikäfer, flieg“, das Anti-Kriegsbuch von Christine Nöstlinger.

Die Eltern versuchen alles

Seine Eltern kamen vor einem Vierteljahrhundert aus Tunesien und haben dem Wochenmagazin News nun ein großes Interview gegeben. „Wir sind wohl das, was man moderne Moslems nennt“, sagt der Vater. Die Mutter trägt kein Kopftuch, sie haben Firas eine gute Bildung verschaffen wollen. Er ging auf die Tourismusschule, sollte Abitur machen. Neben dem Interview sieht man als Faksimile einen Fragebogen, den der kleine Firas, er wird damals vielleicht zwölf gewesen sein, in der Schule ausfüllen musste. „Spitzname: Firi. (...) Geschwister: kleiner Bruder (oft süß aber nervig) (...) Mein Wunsch: Dass es keinen Krieg auf der Welt gibt.“

Firas war 16, als er anders wurde. Er ging in Moscheen, zu Jugendtreffs, recherchierte im Internet zum Islam. Begann vom Kalifat zu reden. Eine Verwandlung. Er wird ummontiert und montiert sich selbst um. Die Eltern hörten die Alarmglocken, versuchen alles, was sie können. „Es ist an sich schon schwer, als Eltern mit einem Jugendlichen in der Pubertät eine gute Verbindung zu haben, aber wenn der Sohn einer Gehirnwäsche ausgesetzt wird, ist es aussichtslos“, sagt der Vater.

Der Vater versucht ihm den Umgang zu verbieten. Erfolglos. Er beschattet seinen Sohn sogar. Er nimmt ihm den Pass ab, weil er schon ahnte, sein Sohn könnte in den Dschihad ziehen wollen. Versteckt das Dokument an seiner Arbeitsstelle. Firas geht zur Polizei, macht eine Verlustanzeige, erhält einen neuen Pass, der Vater erfährt davon nichts. Die Eltern tun was sie können, der Vater geht verzweifelt auch zur Polizei, aber „was all die Zeit fehlte, war psychologische Unterstützung, jemand, der mehr Profi ist, als wir es je sein können.“

Morgens war das Bett leer

Bizarres Ende: Am 8. Mai geht der Vater zum Konzert der Philharmoniker auf den Heldenplatz in Wien. Das ist nicht irgendein Termin: Das ist das „Fest der Freude“, das Fest der Kapitulation der Nazis, Fest des Kriegsendes, Fest der Befreiung vom Faschismus, ein Hochamt der Gutmenschen und Antirassisten gegen alle Ewiggestrigen. Währenddessen packt der Sohn daheim die Tasche. „Am nächsten Morgen war sein Bett leer“. Der Junge, der sich wünschte, „dass es keinen Krieg auf der Welt gibt“, war auf dem Weg, Ungläubige zu töten.

Man kriegt diesen süßen Jungen und den heute 19-Jährigen, der zu Gräueltaten grinst, nicht recht zusammen. Es ist eine Geschichte, bei der man Gänsehaut bekommt. Die Eltern haben ihren Sohn verloren. Aber irgendwie haben wir ihn alle verloren.

Er führte ein normales Leben, in einer normalen Familie, in einer normalen Umgebung, in einer normalen Schule. Seine Freunde waren Österreicher, Türken, Kroaten. Aber irgendwann nahm er eine Abzweigung. Kann man das verstehen? Man kann bei Firas ziemlich genau nachlesen, was ihn und seine Fans verbindet. Junge Mädchen, die heute den Niqab tragen, und vergangenes Jahr noch im Minirock herumgelaufen sind. Junge Fußballspieler aus der Vorstadt. Ja, sogar ein junger Gewerkschafter ist dabei unter den Like-Drückern, gewählter Jugendvertrauensrat bei einem großen Telekommunikationsunternehmen. Sie wollen hier gar nicht mehr dazugehören - in diesem Westen, der dekadent ist. Sie haben vielleicht Diskriminierungserfahrungen gemacht - vielleicht, große, explizite.

Islam = Identität, das reicht

Wahrscheinlich aber auch nur die kleinen, täglichen, denen man als heranwachsender Türke, Tunesier oder Ägypter ausgesetzt ist; erfahren, dass sie „anders“ sind, also nicht dazugehören, zur Mehrheitskultur. Da kommt man dann schnell auf „den Islam“ als Quelle der Identität. Dafür müssen sie vom Islam nicht einmal viel wissen. Islam = Identität, das reicht. Die Überzeugungen werden ihnen vorgekaut, von Predigern in den Moscheen oder im Internet, und das, was man so salopp ihre „islamistische Ideologie“ nennt, würde bei vielen, schriebe man es zusammen, auf zwei DIN A 4-Seiten passen.

Der IS und die anderen radikalen Gruppen zielen jedenfalls mit ihrer Propaganda genau auf das ab. Der Tenor: Ihr werden diskriminiert. Man will Euch da, wo ihr seid, nicht. Sie werden Euch nie dazu gehören lassen. Sie (die Ungläubigen), sie unterdrücken den Islam überall. Amerika. Bomben. Drohnen. Israel. Gaza. Das alles fügt sich zu einem geschlossenen Bild.

Hat der junge Muslim erst einmal den Tunnelblick, dann sieht alles, was auf der Welt geschieht, wie ein Indiz aus, das das radikal-islamistische Weltbild bestätigt. Man hält Euch klein, aber der Islam macht Euch groß. Und mit dem IS, der so sichtbar erfolgreich ist, erhielt das alles einen neuen Hype.

Der globale Protestislam

Und irgendwie ist das natürlich auch alles Pop. Junge Leute, die in die Pubertät kommen und genau das machen, was am schärfsten provoziert – nicht zuletzt ihre Väter und deren Welt, Väter, die sich hier eingerichtet haben in ihrem Migrantenleben, ihrer Minderheitenrolle. Väter, die als Schwächlinge erlebt werden. Dschihad als brutale Gegenkultur. Einen globalen „Protestislam“ hat der algerischstämmige, jetzt italienische Soziologe Fouad Allam das schon vor zehn Jahren genannt: Entwurzelt, entkleidet lokaler Traditionen, selbstgebastelter Einheitsislam.

Das Irre ist: Man kann das alles ganz leicht verstehen. Und es ist dennoch verrückt.

Es sind hunderte, vielleicht tausende, die all das liken, auf der Seite von Firas und auf anderen. Man muss nur mit frommen, aber moderaten Muslimen ins Gespräch kommen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie verzweifelt diese schon sind, weil sich überall diese „Gift-Ideologie“ ausbreitet. Die Panik, weil so viele Kinder driften. Etwas läuft auf verdammt bescheuerte Art schief, gleich hier, vor der Tür, was man gar nicht richtig mitbekommt oder wenn, eben nur so irgendwie. Halb vom Hinsehen, halb vom Wegsehen.

Firas ist den Weg in Krieg und Terror gegangen, die meisten seiner Freunde begnügen sich mit dem Weg in ihre Gegenwelt. „Nächstes Jahr Donauinselfest“, schreibt einer. Soll heißen: Wir sehen uns bei der großen Wiener Sozi-Sause, nicht in Syrien.

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