die wahrheit: Was erlauben Kardinal Meisner?

Ein Erzbischof am Scheideweg zwischen Kultur und Zivilisation. Der Wahrheit-Essay.

Kunstexperte Meisner Bild: dpa

Für seine Kritik an unserer "entarteten Kultur" ist der Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, seinerseits scharf kritisiert worden, und er hat sich beeilt, den historisch belasteten Begriff der "Entartung" bedauernd zurückzuziehen und auszuwechseln: "Das Wort ist ohne Substanzverlust für mein Anliegen und meine Aussage ersetzbar: Dort, wo die Kultur - im Sinne von Zivilisation - vom Kultus - im Sinne der Gottesverehrung - abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus, und die Kultur nimmt schweren Schaden. Sie verliert ihre Mitte."

Die Auffassung, dass die Kultur etwas Edleres und Würdigeres darstelle als die Zivilisation, teilt Meisner mit Thomas Mann, der 1918 verkündete: "Der Unterschied von Geist und Politik enthält den von Kultur und Zivilisation, von Seele und Gesellschaft, von Freiheit und Stimmrecht, von Kunst und Literatur; und Deutschtum, das ist Kultur, Seele, Freiheit, Kunst und nicht Zivilisation, Gesellschaft, Stimmrecht, Literatur." In diesem Sinne hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch der Nervenarzt Paul Möbius in seiner Schrift "Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes" geäußert. "In dem Grade, in dem die ,Civilisation' wächst, sinkt die Fruchtbarkeit, je besser die Schulen werden, um so schlechter werden die Wochenbetten, um so geringer wird die Milchabsonderung, kurz, um so untauglicher werden die Weiber", schrieb Möbius, und nach dem Ersten Weltkrieg stellte der Nationalist Kurt Ziesch kurzerhand fest: "Zivilisation hat mit Kultur innerlich nichts zu schaffen. Sie ist überhaupt nichts Menschliches, sondern etwas Physikalisches, das höchstens als Intellektualismus oder Spiel ins Menschliche eben hineinragt … Die europäische Welt seufzt und blutet unter dieser Sünde, und mit ihr ihre Schülerin, die gesamte Welt. Europa ist das feile Weib, das mit dem Gluthauche dieser ihrer Sünde die ganze Welt vergiftet hat."

Noch deutlicher drückte sich 1934 der Nationalsozialist Hermann Hofmeister aus: "Die Erfindung der Seife ist eine Kulturtat, Parfüm Zivilisationstand: hiermit verstehen wir uns hoffentlich recht." In einer Rede vor seinen Untergebenen merkte der Reichsführer-SS Heinrich Himmler 1943 präzisierend dazu an: "Ob die andern Völker in Wohlstand leben oder ob sie verrecken vor Hunger, das interessiert mich nur insoweit, als wir sie als Sklaven für unsere Kultur brauchen."

Als Verteidiger der Kultur gegen die Zivilisation ist der um politische Korrektheit bemühte Kardinal Meisner auf seiner Flucht nach vorn in eine noch dunklere Ahnengalerie hineingestolpert. Vielleicht hat ja ein belesener Katholik die Güte, dem ahnungslosen Erzbischof das Problem zu erläutern, bevor er sich auf Dauer häuslich in dieser anrüchigen Denkblase niederlässt. Noch schöner wäre es, wenn ein mutiger Messdiener den Erzbischof zur Rebellion gegen Papst Benedikt XVI. aufstacheln könnte, der sich auf ein lukratives Geschäft mit der Bild-Zeitung eingelassen hat und deren Herausgeber als Verzapfer "persönlicher Texte" einer von Kai Diekmann edierten "Benedikt-Bibel" zu Willen gewesen ist, denn mit dem zivilisationskritischen Geschwafel eines Erzbischofs, der so etwas widerspruchslos und schafsgeduldig toleriert, müssen sich zivilisierte Menschen nicht mehr auseinandersetzen.

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