Die Wahrheit: Schleim auf Knien

Martin Walser vergöttert Bastian Schweinsteiger.

Am Boden zerstört nach dem WM-Halbfinalspiel Deutschland gegen Spanien: Bastian Schweinsteiger. Bild: ap

Martin Walser widmete dem Tennisduo Becker/Graf 1992 eine zwölfseitige Eloge in Prosa und bekannte sich als Tennis-Dauerfernseher. Er trat freiwillig der "millionenfachen Verehrergemeinschaft" von Fernsehsportlern bei und fühlte sich dabei so wohl wie die Vorgestrigen in der Volksgemeinschaft. "Ich verehre gerne, das gebe ich zu." Der Schriftsteller Walser wollte natürlich kein "Fan" sein, denn in dem sehr kurzen englischen Wort witterte er ein zu großes "Bewusstlosigkeitsquantum". Er bekannte sich bieder und in obligatem Deutsch zur Verehrung für Stefanie Graf und Boris Becker und zur Gemeinschaft sowieso.

Tennis war vorgestern - da guckt Walser heute nicht mehr hin, weil es keine Deutschen mehr zu verehren gibt auf Sand wie auf Rasen. Und Biathlon war gestern. Trotz seiner Vorliebe fürs schwarz-rot-golden Verpackte schrieb Walser noch keine Lobeshymne auf die hübschen Biathletinnen aus den Bundeswehrkasernen. Wohin steckte Walser nur den Verehrungsschleim, den er den ganzen Winter über aufsparte?

Bis zum vergangenen Samstag bewahrte er ihn in seinem Inneren. Aber dann quoll er eruptiv heraus in einen offenen Brief an Bastian Schweinsteiger in der Süddeutschen Zeitung. Der Fußballer wurde von Walser vom Scheitel bis zur Sohle eingerieben mit seifigem Anbetungsschleim. Der Anlass für Walsers brachiale Attacke aus der Tiefe deutscher Innerlichkeit ist Schweinsteigers Kniefall nach der Niederlage gegen Spanien: "unser Haupterinnerungsbild", sagt Walser und meint seines, "an dieses 0:1-Ereignis" - den Kniefall nach dem Spiel.

Walser trägt die Verehrungsmasse dick auf: "So knien, so sich beugen kann nur einer, der gerade verloren hat. Und das kann ich Ihnen nach längerer Fernseh-Zuschauer-Erfahrung mitteilen: Die, die gewonnen haben, sind nicht halb so eindrucksvoll wie die, die verloren haben." Und dann er erinnert an Boris Becker als Sieger: Der hatte "ein Gesicht wie unsere Vorfahren, als sie noch auf den Bäumen lebten". Verlor Becker dagegen, "sah er aus wie ein Kind, das nichts dafür konnte". Becker mag für Walser ausgesehen haben wie ein Kind. Zumindest zeugungsfähig war er schon, wie man weiß.

1992 dagegen sah Becker beim Gewinnen für Walser noch aus wie "Burt Lancaster und Kirk Douglas" und beim Verlieren schlicht "wie er selbst". Im kerndeutschen "Tennis-Sternbild" Becker/Graf entdeckte der Schriftsteller damals "endlich eine Religion ohne doppelten Boden. Was man sieht, ist, was man sieht, basta. Der Gott der neuen Religion: der hin- und herfliegende Tennisball. Leicht, hell und behaart". Eine Kinderreligion.

Und welche Religion verkündet der Guru vom Bodensee nach Schweinsteigers Kniefall? Eine vom Fernsehen inszenierte Bilderreligion, die nach dem Filmemacher Dominik Graf "ganz stark Leni-Riefenstahl-Züge" trägt. Der Bilder- und Gemeinschaftsverehrer Martin Walser besäuft sich - nicht zum ersten Mal - öffentlich am eigenen Innenleben und an verfetteten Bildern: "Der gloriose Fußballer kniet allein, die Stirn im Gras, dieses Bild hat es verdient, gespeichert zu werden, überall."

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