die wahrheit: Surfen auf der Demutswelle

In Zeiten des Niedergangs steht die Kriechergesinnung plötzlich allerorten hoch im Kurs.

Das liebt der devote Katholik: auf die Knie fallen und seinem Chef unterwürdig die Füße küssen. Bild: reuters

Seit die Lehman-Brothers pleite sind, steht das kapitalistische System wieder mal zur Debatte. Das heißt: Es wird heftig debattiert, während der Kapitalismus weiter vor sich hin profitiert, ausbeutet, demütigt und beleidigt. Die Gedemütigten und Beleidigten reagieren wie immer paradox. So hat die FDP, die Partei des ungezügelten Kapitalismus, die sich eigentlich auflösen oder zum Teufel gejagt werden müsste von all den Börsenverlierern, ihren Stimmenanteil in den letzten Wahlen verdoppeln können. Die Linken aber, die vor dem Crash an den Börsen und den Folgen schon gewarnt haben, als noch jeder Hinz und Kunz sich ein goldenes Näschen an der Börse ergaunern wollte, dümpeln noch immer unterhalb der zehn Prozent herum.

Ein Rätsel, das Peter Dausend im vergangenen Dezember in der Zeit gelöst hat: "Warum die Linkspartei von der Krise nicht profitiert? Weil ihrem Führungspersonal ähnlich systemisch etwas fehlt wie dem Markt das Mitgefühl: die Demut." Potzdausend, darauf muss erst mal einer kommen: Demut!

Das heißt also, die Krise produziert beim Wähler nicht Wut, revolutionären Elan, Widerstand oder Aufmüpfigkeit, sondern den Wunsch nach Unterwürfigkeit und Gehorsam. Und das ist gut so, denkt der Herr Dausend und mit ihm so mancher Besserwisser, der uns in den Feuilletons die plötzlich so andere Welt erklärt, als habe er es immer schon gewusst. Und immer lautet das Fazit: Zeigt Demut!

Der ganze Demutquatsch fing an mit der verständlichen Forderung an Broker und Hedgefonds-Manager: Zeigt Demut, ihr Schurken! Es folgten Selbstanklagen und auch Selbstmorde einiger Bänker und Großmuftis des internationalen Kapitals, freudig begrüßt in der Süddeutschen Zeitung - nur die Selbstanklagen, versteht sich. Nach einer Maischberger-Show betitelte die SZ eine Kritik mit "Die Demut nach der Gier", lobte die reuigen Bankmanager über das grüne Band der Sympathie und freute sich diebisch, dass der prollige Herr Lafontaine die Bußfeierlichkeit nicht stören konnte, weil er nicht eingeladen war.

Wir wissen ja bereits, dass es den Linken an Demut fehlt. Die Pflicht zur Demut gilt eben nicht nur für die Schurken da oben, sondern auch für diejenigen, die den Anspruch erheben, für die Gedemütigten dort unten zu sprechen. Das verbindet, zum Beispiel Angela Merkel - die ständig betont, wie stolz sie ist, ihrem Heimatland dienen zu dürfen - und Grandmaster Flash: "… Es fühlt sich gut an, ein Diener zu sein. Diese Demut hat mir … aus meiner Drogensucht geholfen", erklärte er in der SZ vom 9. März 2009.

Und alle surfen mit auf der großen Demutswelle. Auch Elisabeth von Thadden hat in der Zeit einen Narren am Demutsgedöns gefressen. Nachdem sie sich dem amerikanischen Philosophen Michael J. Sandel zu Füßen legte, weil der in seinem Plädoyer gegen die Perfektion den angeblichen Kult der Selbstoptimierung als Totengräber sozialer Werte wie Demut geißelt, gerät sie bei der "Benediktusregel", die gerade neu aufgelegt wird, vollends in religiöse Verzückung und aus der Fassung. Sie möchte das 1.400 Jahre alte katholische Machwerk am liebsten gleich allen Verlagsprospekten beilegen, umsonst, zwecks geistig-moralischer Umkehr der ganzen gottlosen Branche. Und das tut sie kund in einer Rezension über ein Buch des lustigen Doktors Eckart von Hirschhausen. Da scheint das Demutsdelirium so manchen Kurzschluss in den zerebralen Verzweigungen der demütigen Lady verursacht zu haben.

Das alles wäre ja noch mit einem Lachen zu ertragen, wäre nicht die logische Konsequenz des Demutsgefasels, dass schließlich die Gedemütigten die Adressaten des Demuts-Terrors sind. Demütig sein soll neben dem Banker der Bäcker, neben Herrn Hartz auch all jene, die von Almosen leben müssen, die nach ihm benannt sind. Nach diesem Muster hat sie immer funktioniert, die konservative Kulturkritik. Die da oben sind dekadent, deshalb sollen die da unten die Schnauze halten und das tun, was die sagen, die noch nicht ganz oben sind. Wer Ansprüche stellt, statt sich selbst zu demütigen, der ist ein soziales Monster.

Solch krypto-autoritäres Geblök kommt an in den oberen Etagen der liberalen Besserwisserblätter, und da kommt es als Demutsülze wieder heraus und verklebt die öffentliche Diskussion. Statt des Aufrufs zum Aufruhr lesen wir moralische Appelle zu Selbstaufgabe und Gehorsam, dem Papa Razzi in Rom ebenso zum Gefallen wie den gewöhnlichen Schurken in den mittleren Etagen der sozialen Welt. Dort fürchtet man nicht die Superschurken, sondern den sozialen Umbruch. Dass einige von der höchsten in eine mittlere Etage zu ihnen absteigen müssen, ist nicht tragisch, sondern erfreulich. Tragisch wäre es, wenn diejenigen aus dem Keller an ihnen vorbeisteigen würden. Da sei die Demut vor!

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kari

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