Finanzkrise in Griechenland: Zum billigen Einkaufen in die Türkei

Preise steigen, Gehälter sinken, die Pensionen sind in Gefahr. Nicht nur ein Job ist gefragt. Wie Efi und ihre Familie auf der Insel Chios über die Runden kommen.

Die Akropolis-Ruine in Athen ist nach wie vor eine Attraktion, obwohl weniger Touristen ins Land kommen. Bild: ap

"Zum Glück haben wir diese Möglichkeit mit der Türkei", sagt Efi. Müde genehmigt sie sich einen Frappé an der weiten Hafenbucht von Chios, der fünftgrößten Insel Griechenlands. Die 28-jährige Griechin ist auf Heimaturlaub. Mit ihrer Mutter will sie in den nächsten Tagen zum Einkaufen in die Türkei fahren. Das machen neuerdings viele Inselbewohner so, denn in der Türkei sind die meisten Sachen deutlich billiger.

Zuvor hat Efi versucht, in Chios-Stadt ein paar günstige Sommerkleider zu finden. Doch trotz Sommerschlussverkaufs sind die Preise hoch. Die Aplotarias, die Haupteinkaufsstraße, ist zwar voller Menschen, die meisten Geschäfte aber sind trotz der Rabattschilder leer. Die Händler klagen über Umsatzrückgänge. Wie überall in Griechenland. Die Einnahmen im Einzelhandel sind deutlich zurückgegangen, hat die Statistikbehörde Elstat ermittelt, besonders im Bereich Kleidung und Schuhe. Im Mai gab es fast 20 Prozent Umsatzeinbußen.

Eine Freundin habe sich in der Türkei gerade ein Brautkleid nähen lassen, erzählt Efi. Für umgerechnet 600 Euro. Von Chios bis ins türkische Çesme sind es nur acht Kilometer. Weniger als eine Stunde dauert die Überfahrt mit der Fähre. Die türkischen Händler haben sich auf das neue Geschäft eingestellt. Am Hafen warten schon die Maßschneider. In wenigen Stunden ist alles fertig, vom Brautkleid bis zum neuen Anzug. Auch Schuhe und Ledersachen sind begehrt und günstig. Die Kleidung ziehen viele Einkaufstouristen auf der Rückfahrt gleich an, so sparen sie sich die griechischen Einfuhrzölle.

Essengehen ist Luxus

Wirtschaftskraft: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) betrug 2009 240,15 Milliarden Euro. Für 2010 werden 244,23 Milliarden Euro erwartet. Das reale Wachstum schrumpfte um 1,2 Prozent.

Schulden: Das Haushaltsdefizit, von der Regierung im November 2009 mit 12,7 Prozent beziffert, wurde von Eurostat auf 13,6 Prozent korrigiert. Im Haushaltsjahr 2010 drohen Staatsschulden von 120 Prozent des BIP.

Preise: Die Inflationsrate betrug im Oktober 2009 noch 1,2 Prozent. Im ersten Halbjahr 2010 schnellte sie auf 4,8 Prozent hoch.

Arbeitslosigkeit: Die Arbeitslosenquote betrug 2009 9 Prozent, für 2010 wird offiziell ein Anstieg auf 12,1 Prozent prognostiziert. 2011 sogar 14,3 Prozent.

Sparpaket: 30 Milliarden Euro. Vorgesehen sind Ausgabenkürzungen, Anhebung der Mineralöl-, Tabak- und Mehrwertsteuer, Kürzungen bei Beamtenbezügen. (cw)

Auf Chios ist die Krise noch nicht so deutlich spürbar wie in Athen, wo Efi gerade Freunde besucht hat. "Die haben große Probleme, mit ihrem Gehalt über die Runden zu kommen." 700 Euro pro Monat als Bauingenieur, davon kann man in der teuren Großstadt kaum noch leben, seit die Mehrwertsteuer bei 23 Prozent liegt und die Benzinpreise auf über 1,60 Euro gestiegen sind. Ihren Kinderwunsch müssen Efis Freunde aufschieben, jede Anschaffung, jeden Kinobesuch überdenken sie mehrmals. Essengehen ist Luxus.

Auch ein Urlaub kommt nicht infrage. Fast 60 Prozent der Griechen verreisen diesen Sommer nicht, hat eine Umfrage des Verbraucherinstituts Inka im Juli ergeben. Und wer verreist, der urlaubt meist im eigenen Ferienhaus oder bei Verwandten und Freunden.

Diesen Trend bekommen die Apartmentvermieter zu spüren. Stella Tsakiri vermietet im Norden von Chios sanierte Steinhäuser, insgesamt 16 Apartments hat sie zusammen mit ihrem Bruder Argiris im Angebot. Dieses Jahr läuft das Geschäft schleppend. Bis Mitte Juli sind fast keine Gäste gekommen. Nicht nur die griechischen Urlauber bleiben weg, sondern auch die ausländischen Touristen. Stellas Bruder will deswegen aus der Vermietung aussteigen. An seinen aufwändig restaurierten Häusern hängen Schilder: "For Sale".

Doch es ist ein schlechter Zeitpunkt, um zu verkaufen. Denn die Immobilienpreise in Griechenland fallen immer weiter. Um rund 20 Prozent ist Argiris mit seinen Preisvorstellungen schon heruntergegangen. Doch die ungewisse Zukunft, steigende Nebenkosten sowie neue Steuern und Gebühren für Hausbesitzer schrecken viele Interessenten ab.

Junge Leute gehen fort

Verkaufen, das kommt für Stella nicht infrage. Sie überlegt, die Mietpreise noch weiter zu senken. Viel Spielraum hat sie allerdings nicht mehr, da haben es die großen Hotelbesitzer einfacher. Zwar zahle sie als Kleinunternehmerin weniger Steuern, aber das löse das Problem nicht. "Vielleicht werden wir aus finanziellen Gründen bald wieder so leben müssen wie früher als Studenten", sagt sie. "In Wohngemeinschaften. Und unser Einkommen teilen wir dann." Was wäre so schlimm daran, fragt ihr Sohn Filippos kichernd. Er ist zu Besuch auf Chios, den Sommer über. Gerade hat er sein Studium in den USA erfolgreich beendet und sucht einen Job. In Schweden oder in Deutschland, ganz bestimmt nicht in Griechenland. Denn die Arbeitslosigkeit unter jungen Akademikern ist stark gestiegen. Wegen der schlechten Zukunftsaussichten verlassen immer mehr junge, gut ausgebildete Leute das Land.

Immer öfter fragen Efis Freunde interessiert, was sie denn für Erfahrungen im Ausland gemacht hat. Denn auch Efi ist nach ihrem Studium in Athen weggegangen, arbeitet jetzt in Österreich in einem Architekturbüro. Eigentlich möchte sie zurückkommen nach Chios. Ihren Sommerurlaub nutzt Efi für die Jobsuche in der Heimat. Sie stellt sich in den Architekturbüros der Insel vor. Ein Büro würde sie gern einstellen, hat aber ab Herbst keinerlei Aufträge mehr. Die anderen haben ihr Gehälter von weit unter 1.000 Euro pro Monat angeboten. Davon kann man auch auf Chios kaum leben.

Viele junge Menschen bleiben deshalb länger zu Hause wohnen, sagt Efi, manchmal sogar bis sie 40 sind. Doch wieder bei den Eltern zu leben, komme für sie nicht infrage. Auch ein Job im öffentlichen Dienst scheidet aus. Den kriege man ohne gute Beziehungen sowieso nicht, erklärt Efi wütend. Egal wie viele Qualifikationen und Fortbildungen man vorweisen könne. Außerdem sei auch ein Beamtenjob längst nicht mehr sicher.

Beamte trifft die Krise am meisten, sagt der Wirtschaftsexperte Yannis Stournaras von der Universität Athen. Sie haben zwar sichere Jobs, aber meist niedrige Gehälter. Das Gros der griechischen Beamten verdiene zwischen 700 und 1.400 Euro pro Monat, behauptet die Beamtengewerkschaft. Und jetzt müssten sie Kürzungen hinnehmen und um ihre Pension bangen.

Beamte sind verunsichert

Efis Eltern bekommen das zu spüren. Beide sind Beamte im Bauamt von Chios. Sie möchten nicht, dass ihre Namen genannt werden. Seit 34 Jahren arbeitet der Vater. Die Gehaltskürzungen summieren sich bei ihm momentan auf rund 5.000 Euro pro Jahr. Und es gebe Gerüchte aus Regierungskreisen, wonach die Beamtengehälter um weitere 25 Prozent verringert werden sollen, sagt er. Deshalb überlege er, jetzt, mit 60, in den Ruhestand zu gehen. Bevor ihm durch neue Einschnitte oder die Rentenreform noch mehr Nachteile entstünden.

Die Unsicherheit ist gerade bei älteren Beamten groß. Bisher haben sie bei der Pensionierung eine Einmalzahlung von rund 40.000 Euro erhalten. Doch die Pasok-Regierung hat einen Zahlungsstopp angeordnet. Viele trifft außerdem die Pleite des zweitgrößten griechischen Versicherungskonzerns Aspis Pronia. Rund 800.000 Griechen hatten bei dem privaten Versicherer Policen abgeschlossen, oft Lebensversicherungen oder Investitionsprogramme zur Altersvorsorge. Eigentlich müsste laut Gesetz der Staat einspringen und die Verluste übernehmen. Doch das ist bislang nicht geschehen. Seit fast einem Jahr bangen die Geschädigten um ihre Ersparnisse und ihre Altersvorsorge.

Dass die Regierung ihre Schulden im Ausland pünktlich bezahlt und stattdessen Zahlungen im Inland einfach vertagt, kritisiert auch der Athener Wirtschaftsjournalist Georgios Kyrtsos. Durch das Hinausschieben von Zahlungen häufe der Staat neue Schulden an.

Zum Glück habe sich ihr Vater nicht nur auf seinen Beamtenjob verlassen, sagt Efi. Er besitze Olivenbäume, gewinne daraus Öl und verkaufe es. Fast jeder Grieche habe einen oder mehrere Nebenjobs. Anders komme man nicht über die Runden. Efis Familie hat es etwas einfacher, weil beide Eltern arbeiten.

Die Mutter ist 50 und erwartet bis zur Rente noch einige Kürzungen. In ihren Verantwortungsbereich im Bauamt von Chios fallen illegale Bauten. Es gebe reiche Leute, berichtet sie, die bauten ihre Häuser direkt an den Strand, obwohl das auf Chios verboten sei. Dann zahlten sie Schmiergelder. Und jeder drücke ein Auge zu. Es kommt vor, dass Efis Mutter Drohungen erhält, wenn sie Strafen verhängt. "Hier wirtschaftet doch jeder in die eigene Tasche", sagt Efi resigniert. Das sei schon immer so gewesen und werde wohl auch so bleiben. Denn wer ausschere aus diesem System, der werde bestraft.

"Eat the Rich"

Doch die Wut auf die Reichen wächst. "Eat the Rich", steht auf Graffiti in der Athener Innenstadt. Die Wut schlägt oft in Verzweiflung um, hat Aris Violatzis beobachtet. Er ist Psychologe. Die Zahl der Selbstmorde habe sich verdoppelt, schätzt er, vielleicht sogar verdreifacht, die Dunkelziffer sei hoch.

Mit der Nichtregierungsorganisation Klimaka betreibt Violatzis eine Notruf-Hotline, ähnlich der Telefonseelsorge. Immer mehr verzweifelte Menschen rufen dort an. Im Schnitt 25 pro Tag, letztes Jahr waren es nur 10. Violatzis führt dies auf die Krise zurück. Die Anrufer seien überwiegend Menschen mit Verantwortung, mit Familien. Männer, die nicht mehr genug Geld verdienen, um für ihre Familien zu sorgen.

"Es ist wirklich gerade eine sehr schwierige Situation", sagt Efi, runzelt sorgenvoll die Stirn und trinkt ihren Frappé aus. Doch plötzlich blitzt Stolz in ihren Augen auf. "Wir Griechen", sagt sie, "wir sind bisher immer wieder auf die Füße gefallen. Wir könnten vermutlich auch diese Krise meistern. Aber nur, wenn alle Griechen einsehen, dass sie dafür zusammenhalten müssen. Egal wie arm oder reich sie sind." Sie zahlt und wirft dabei einen zweifelnden Blick auf die großen, teuren Jachten, die im Hafen von Chios liegen.

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