die wahrheit: Es glühweihnachtet sehr

Endlich ist es wieder Zeit für den Weihnachtsmarkt - mit all seinen Freuden und Gefahren.

Es ist wieder so weit: In unseren Innenstädten geschehen Wunder. Bretterbuden wuchern die Plätze zu, gigantische Nadelhölzer sprießen empor, Lichterketten schwingen sich wie Lianen von Ast zu Ast und von Woolworth hinüber zu Pimkies. Angelockt vom Duft nach altem Bratenfett, verbranntem Zucker und säuerlich Vergorenem geben die Deutschen in den kommenden Tagen ihre traditionelle Kaufzurückhaltung auf, bringen die Binnenmärkte in Schwung und sorgen vier Wochen lang für ein neues Wirtschaftswunder.

Der Grund? Es ist eine Laune der Natur. Ende November, wenn die Tage so kurz geworden sind, dass man sie mit bloßem Auge kaum mehr sehen kann, fegt ein urwüchsiges Bedürfnis nach Licht und Wärme durch die Seelen und jede Geiz-ist-geil-Mentalität aus ihnen heraus. Menschen, die das ganze Jahr über emsig ihr Sparschwein gefüllt haben, versammeln sich andächtig um große Kessel, in denen minderwertigster Glühwein brodelt, um Kessel wie auch Sparschwein möglichst schnell zu leeren. Dunkelroter Sud ergießt sich dampfend in Steingutbecher und von dort aus zügig in die bald ebenfalls dunkelroten Köpfe hinein - Wirtschaftsexperten werten dies gleichermaßen als Zeichen für die übereilte Getränkeaufnahme wie für die überhitzte Konjunktur.

Dass die ersehnte Nachfrage plötzlich da ist, liegt an den Kaufimpulsen, die nirgends so wirkungsvoll auf die Verbraucher einprasseln wie auf dem Weihnachtsmarkt. "Wer sich tagsüber in aller Öffentlichkeit einen anschickert", sagt der Kieler Soziologe Dr. Dieter Kümmel, "sucht menschliche Nähe. Und da er die nicht findet, jedenfalls nicht auf dem Weihnachtsmarkt, geht er an den Buden was einkaufen, ist aber anschließend wieder durstig - ein Teufelskreis, aus dem viele nicht mehr herausfinden."

Nicht nur die Trunksucht lauert nämlich an den Ständen, sondern auch ein Mob von Menschenfängern, der mit sektenähnlichen Methoden um Zulauf wirbt. Sein stärkstes Mittel: Distanzlosigkeit. Der Boden, auf dem diese Saat gedeiht: Geschiebe, Gedrängel, Massenhysterie. "Distanzlosigkeit ist ja nur ein anderes Wort für Vertraulichkeit, ja: Vertrautheit", verteidigt der Mainzer Ökonom Heinz Perlmann die umstrittene Bandenbildung. "Wenn man so nahe beisammensteht, kann man ja auch mal ein Wort miteinander wechseln: Ob zum Beispiel das Würstchen für 2,50 Euro am einen Grill dem für 2,60 am anderen vorzuziehen ist." Sein Ratschlag: "Nein! Beim teureren gibts zum Fettschwengel ein frisches Brötchen dazu, beim Billigheimer aber nur eine halbe Scheibe trockenen Toast."

Solche Kompromisse sollte man hier nicht machen. Denn Weihnachtsmarkt, das ist immer auch ein Ort des Luxus: 23 Prozent aller Menschen, die sonst nie übereilte Kaufentscheidungen treffen, besitzen nach dem Weihnachtsmarktbesuch plötzlich eine chinesische Türharfe für 80 Euro. Und immerhin noch 11 Prozent von ihnen wundern sich zu Hause, dass sie tatsächlich 130 Euro für schäbiges Blechspielzeug aus Malaysia ausgegeben haben.

Handwerk und Individualismus sind ohnehin die größten Trümpfe des Adventsmarktgeschehens. Wo sonst findet man noch Geschäfte, die nur Kerzen in Blau, Türkisgrün und den zwei Schattierungen dazwischen feilbieten? Statt liebloser Massengebrauchsware wie im Kaufhaus gibt es hier hochwertige Holzbrettchen, die einzeln mit dem Brennpeter unbrauchbar gemacht werden. Vollends unverwechselbar wird die Atmosphäre schließlich durch das Fachpersonal an den Ständen: in die Jahre gekommene Alternativmänner mit bunten Samtmützen, wachsbatikbetuchte Esoteriktanten sowie halbwüchsige Jobberinnen, die nicht nur mit ihren Rechenkünsten für Bewunderung sorgen, sondern auch mit ihren langen Schals, wenn die mal wieder in der Friteuse Feuer fangen.

Man wird sehen, mit welchen weiteren Trends sie die Besucher in dieser Saison überraschen. Im vergangenen Jahr wurden die klassischen Glühweinbecher von handbemalten Stiefeln aus gelbem Steingut abgelöst. Dieses Jahr, so wird gemunkelt, trinkt man den Glühwein an den besseren Ständen vielleicht schon aus mit Swarowski-Steinen verzierten Porzellanpumps.

Und selbstverständlich kann sich jeder bereits jetzt auf das feine Essen freuen. Hier wird sich gewiss nichts ändern: Die faden Champignons in ihrer überwürzten Kräutercreme, die ranzigen Rostbratwürste, die fettigen Crêpes, der stinkende Backfisch und die schwarz gebrannten Mandeln - das alles muss schließlich erst mal weg, ehe der diesjährige Weihnachtsmarkt abgebaut werden kann. Dabei hilft, sagen Gesundheitsexperten, dass der Glühwein zunächst irreparable Schäden an Gaumen und Zunge anrichtet, ehe er auf Kopf und Magen übergreift. So bleibt ein wenig Zeit für die Speisen, bevor diese dann hinter der großen Tanne entsorgt werden und dabei das Jahresende gleich eingeläutet wird.

Doch auch dann muss der Spaß noch nicht enden. "Wer klug ist", sagt Dr. Kümmel, "wird sich wie ich am letzten Tag des Weihnachtsmarkts ein Pfund gebrannte Mandeln sowie ein paar Kisten Glühwein kaufen und spätestens Anfang Februar zur Weihnachtsmarkt-Retroparty laden. Kommen Sie, es wird lustig!"

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kari

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