die wahrheit : Gebrochenes Europa

Etymologie ist die Lehre von der Herkunft und Geschichte der Wörter. Sie ist zwar Teil der Sprachwissenschaft, aber einer, der nicht den besten Ruf genießt ...

Nur noch schemenhaft am Horizont der Bedeutung ist zu erkennen, woher der Name Europa stammt. Bild: reuters

... weil sich auf diesem Feld notorisch allerlei Scharlatane tummeln. Seltener auch Menschen mit Witz wie Ernst Bloch. Der wandte sich gegen Martin Heidegger, einen Freund bodennah-platter etymologischer "Kalauer höherer Ordnung", denen zufolge "Zukommen" von "Zukunft" abstamme - und "Rose" wohl demnächst von "Geröstetem", fügte Bloch hinzu.

Seit alters her ist der Name des Mädchens Europa, das dem Erdteil den Namen gab, ein Terrain für etymologische Dilettanten. Herodot wusste im 5. Jahrhundert vor Christus noch: "Offenbar war diese Europa, die von einem in einen Stier verwandelten Zeus geraubte und vergewaltigte Jungfrau, "ja aus Asien, und sie ist gar nicht in das Land gekommen, das von Griechen jetzt Europa genannt wird, sondern nur von Phoinike nach Kreta und von da nach Lykien." Der Römer Horaz hatte rund 500 Jahre später ein Weltreich im Rücken, und da spielte die Herkunft der vor sich hin heulenden "Barbarin" aus Asien keine Rolle. Sie sollte sich doch damit über die Vergewaltigung hinwegtrösten, dass "ein Weltteil ihren Namen" tragen würde.

Im christlichen Abendland dagegen blieb die Herkunft der Namensgeberin suspekt. Der Europa-Mythos wurde deshalb christlich umgepolt. "Der Stier" - nicht das asiatische Mädchen - "verkörpert sicher recht gut Sitten und Eigenart der Europäer. Seine Kühnheit hat etwas Erhabenes … so steht er da, Führer und Aufseher der Gestüte; von großer Enthaltsamkeit, zeigt er sich doch, sobald er dem anderen Geschlechte zugeführt wird, überaus leidenschaftlich, um gleich darauf wieder keusch und maßvoll zu sein", so charakterisierte der Geograph Gerhard Mercator aus Duisburg um das Jahr 1594 den (fast keuschen) Euro-Stier Zeus.

Schon vorher rückte der Sprachwissenschaftler und Humanist Johannes Goropius Becanus (1519-1572) dem asiatischen Mädchen Europa mit christlicher Etymologie auf den Leib: " ,E' bedeutet gesetzmäßige Heirat, ,ur' ausgezeichnet und ,op' Hoffnung. Hieraus ergibt sich ,Europ' und das bedeutet: ausgezeichnete Hoffnung auf eine gesetzmäßige Heirat". So einfach vergeistigt sich sexuelle Gewalt in christliches Recht. Und Europa, die "gebrochene Blume" (Felicia Hemans, 1793-1835), verliert dabei nur den letzten Buchstaben ihres Namens wie bei den Blumenhändlern von "Fleurop".

Seit etwas über 30 Jahren ist der Kalauer niedriger Ordnung Mode, und die kommt unter dem Namen "neue Philosophie" als Turbothinking von klebrigen Telephilosophen aus Frankreich herübergeschwappt. So überbietet André Glucksmann Heideggers Marotten mit der titanischen Absicht, diesen zu kritisieren, indem er ihn kopiert. Er stürzt dabei ins Bodenlose.

Paul Celans Gedicht "Todtnauberg" verarbeitet Eindrücke seines Besuchs bei Heidegger in dessen Schwarzwälder Domizil namens Todtnauberg. Glucksmann liest triviales Schulbuchwissen etymologisierend in den Text hinein. Demnach soll der Schwarzwälder Flurname Todtnauberg im Gedicht "die Naziorganisation [von Fritz Todt, die Red.] , die so zahlreiche Arbeitslager verwaltete", heraufbeschwören, wie er seinem Buch "Das Gute und das Böse" schreibt. Allerdings hat der Standort von Heideggers Hütte mit der Karriere des pfälzischen Straßenbaumeisters und Westwallarchitekten Fritz Todt und seiner Organisation etwa so viel zu tun wie die Rose mit dem Gerösteten und der Hasenrücken mit dem Sozialdemokraten Wilhelm Hasenclever (1837-1889). Eine Panne? Mitnichten. Von Goethes Vers "Über allen Gipfeln ist Ruh" versteht Glucksmann nichts außer dem Wort "über". Und daraus schließt er messerscharf auf "Deutschland, Deutschland über alles".

Kaiser Franz Josef II. war ein Musikkenner von gleichem Kaliber. Der merkte immer schon nach zwei Takten: "Das ist nicht der Radetzky-Marsch."

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