die wahrheit: Von Mutti zum Erbrechen gezwungen

Nicht nur bei der Bundeswehr gibt es ekelerregende Aufnahmerituale. Ein Erfahrungsbericht aus dem Kreise Betroffener.

Wurde gezwungen, Alkohol zu trinken: Rainer "Weinfass" Brüderle. Bild: reuters

Sie hat mich gezwungen, bis zum Erbrechen Alkohol zu trinken und dann vor die Kameras zu treten", erzählt der Rainer, und alle nicken, denn sie alle haben Ähnliches durchgemacht. Der Guido, die Kristina, der Philipp, der Günter und die anderen, die nicht einmal ihre Vornamen in der Presse lesen wollen, jedenfalls nicht in diesem Zusammenhang. Zu groß ist die Angst vor weiterer öffentlicher Bloßstellung, aber auch vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, denn auch sie sind mit Wissen ihrer direkten Vorgesetzten entwürdigenden Riten unterzogen worden.

Nachdem anfangs bloß Bundeswehrrekruten und Jesuitenschüler offenbart hatten, dass sie sich Mutproben und ekligen Aufnahmeritualen unterwerfen mussten, um in der internen Hierarchie als Klassensprecher oder Vertrauensfeldwebel aufsteigen zu können, zieht der Skandal nun weitere gesellschaftliche Kreise.

Und so unterschiedlich die Lebenswege und Charaktere der Betroffenen sein mögen, sie alle erzählen doch dieselbe Geschichte von Gruppendruck, Machtmissbrauch und der demütigenden Ohnmacht des Einzelnen, die sich auch in den aschfahlen Gesichtern der Teilnehmer widerspiegelt. Dennoch haben sie sich zur ersten Sitzung einer Selbsthilfegruppe getroffen. Ein erster, ein wichtiger Schritt, aber noch überwiegt Scham und Sprachlosigkeit. Es ist schwer, sich einzugestehen, machtlos gewesen zu sein.

"Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt es einen, der mit der Peitsche wedelt", versucht sich etwa der Guido in Galgenhumor, doch die Beschwichtigungsversuche des bubenhaft wirkenden Juristen wollen nicht verfangen, und so verhallt sein gezwungen keckerndes Lachen im zugigen Hinterzimmer der Berliner Notschlafstelle, bis eine minderjährige Crack-Abhängige fröhlich den Kopf durch die Tür steckt und fragt, wann der Raum endlich frei würde, es gäbe noch andere Leute mit Problemen.

Beschämt blicken die Teilnehmer zu Boden. Sie sind es nicht gewohnt, sich selbst zu den Verlierern zu zählen. Der Stolz, endlich beruflich angekommen zu sein, dazuzugehören, hat lange Zeit die Tatsache überdeckt, dass ihre Karrieren auf Lügen und Demütigungen gebaut sind.

Der Rainer ergreift wieder das Wort. "In meinem Alter bekommt man halt nur sehr schwer einen Job", erklärt der Mann mit der Aura eines schwer depressiven Sparkassenvorstands. "Dazu kommen die finanziellen Verpflichtungen: Haus und Deckel müssen abbezahlt werden." Nach längerer Durststrecke schien der leutselige Pfälzer im Herbst vergangenen Jahres beruflich endlich wieder Fuß gefasst zu haben, doch die anfängliche Euphorie schlug bald in blanke Panik um.

"Ich war anfangs begeistert", erinnert er sich: "Die Kameradschaft, der Korpsgeist, der Dienstwagen. Das alles hat mich zutiefst fasziniert. Ich war bereit, jeden Preis dafür zu zahlen." Der unscheinbare Volkswirt, dem die bitteren Erfahrungen der letzten Monate ins Gesicht geschrieben stehen, ist als Einziger bereit, über seine Erlebnisse zu berichten. "Natürlich habe ich irgendwo bemerkt, dass ich in dem Job überfordert bin", bekennt er in schonungsloser Offenheit: "Das macht einen besonders angreifbar, und sie hat es brutal ausgenutzt."

"Ich durfte nur Kaffee kochen und hatte ansonsten den Mund zu halten" ,wispert die schüchterne Kristina, das Nesthäkchen in der Runde. "Im Gegensatz zu dem, was ich durchmachen musste, ist das doch nur Gedöns", wirft der Philipp ein: "Mich hat sie vor allem gesundheitlich ins offene Messer laufen lassen."

Mehr wollen sie beide nicht sagen. Sie sind noch jung, haben Familie. Doch auch der schweigsame Günter, der bereits eine vielversprechende Karriere in einem mittelständischem Bundesland versemmelt hat, ist Opfer der menschenverachtenden Initationsriten geworden. "I hen vor alle Leit Englisch schwätze müsse, wo i gar net kann." Dem biederen Schwaben fährt die Schamesröte ins Gesicht. "Alle hen sie mich ausglacht." - "Das war bei mir genauso", gibt der Guido zu: "Und ich kann noch nicht mal Schwäbisch."

Für eines der begehrten Auslandspraktika haben die beiden hochsympathischen Profilneurotiker Haus und Hof verkauft, gar den Kontakt zu ihren Familien abgebrochen; jetzt stehen sie fassungslos vor den Trümmern ihrer Biografien. Bis zuletzt ringt der Guido um seine Fassung, doch dann bricht es aus ihm heraus.

Schon auf dem Schulhof habe das damals angefangen, bringt er unter Tränen hervor, die ständigen Hänseleien und das dauernde Gefühl, es sowieso keinem recht machen zu können. Dabei habe man doch so vieles auf den Weg gebracht, sagt der Guido, und verliert sich in einer detaillierten Aufzählung seiner Meriten, bis der Rainer ihn in den Arm nimmt.

"Das tut so gut", sagt der Guido, und irgendwann stehen sie alle umeinander und halten sich im Arm: die Kristina, der Philipp, der Günter und die anderen. Ganz normale Leute mit ganz normalen Träumen.

Den Namen ihrer Peiniger wollen die Betroffenen indes nicht nennen, auch wenn die Behörden, die jetzt eingeschaltet wurden, ihnen eine neue Identität als Landtagsabgeordnete in einem kleinen Parlament versprochen haben. Nur so viel mag der Rainer verraten: "Wir mussten sie auch noch ,Mutti' nennen, der blanke Hohn."

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kari

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