100 Tage Schwarz-Rot in Berlin: Und was macht die Opposition so?

Als Rückschrittskoalition bezeichnen die Grünen den schwarz-roten Senat. Doch war Rot-Grün-Rot eine Fortschrittskoalition? Grüne und Linke im Dilemma.

Kai Wegner und Bettina Jarasch

Kai Wegner (CDU) und Bettina Jarasch (Grüne) im Gespräch Foto: picture alliance/dpa/Wolfgang Kumm

Eine „Rückschrittskoalition“ regiere von nun an Berlin, hieß es gleich nach dem Start von Schwarz-Rot im April. Zwei Tage vor der 100-Tagesbilanz bemühten die Grünen das Bild noch einmal. „Schwarz-Rot sucht nach seinem chaotischen Start noch immer nach einem Plan für Berlin“, hieß es in einer Mitteilung der beiden Fraktionsvorsitzenden Bettina Jarasch und Werner Graf am Donnerstag. „Bislang hören wir vor allem Ankündigungen – und wenn es konkret wird, erleben wir Rückschritt.“

Ähnlich bilanzieren die Linken die Arbeit des CDU-SPD-Senats. „Viel war in diesen 100 Tagen von Law and Order, von Sicherheitsgipfeln und Task-Forces zu hören, wenig darüber, wie dieser Senat die Herausforderungen des Klimawandels bewältigen oder der sozialen Spaltung begegnen will“, teilte Fraktionschef Carsten Schatz mit.

So richtig harsch klingt das nicht. Vielleicht hat die Vorsicht, mit der Grüne und Linke die große Koalition kritisieren, auch mit der eigenen Bilanz zu tun. Das Gegenteil einer Rückschrittskoalition wäre eine Fortschrittskoalition, die aber war Rot-Grün-Rot nur bedingt. Weder haben SPD, Grüne und Linke eine Mobilitätsrevolution angezettelt, noch die Verwaltung entscheidend modernisiert. Im Nachhinein sind die Pop-Up-Radwege vielleicht das, was von der Vorgängerkoalition am ehesten im Gedächtnis bleibt.

Ja, dafür gibt es Gründe. Und natürlich, der Stopp der Radwegeplanungen der neuen Koalition war eine Provokation. Und wenn Kai Wegner nun behauptet, Schwarz-Rot werde mehr Kilometer Radwege bauen als der Vorgängersenat, ist das nur die halbe Wahrheit. Bettina Jarasch als grüne Verkehrssenatorin musste erst jene Verwaltungsstrukturen aufbauen, auf denen Schwarz-Rot nun aufbauen kann. Nicht am Mehr gegenüber RGR müsste sich ihre Nachfolgerin Manja Schreiner (CDU) messen lassen, sondern an dem Mehr, das Rot-Grün-Rot in dieser Legislatur hätte realisieren können.

Schauplatz Bezirke

Das allerdings sind müßige Hättewennundaberdebatten. Die tatsächlichen Auseinandersetzungen zwischen Senat und Opposition wird bis zu den nächsten Wahlen vermutlich nicht im Abgeordnetenhaus stattfinden, sondern zwischen den grün regierten Innenstadtbezirken und dem Senat, der von den Außenbezirken ins Berliner Rathaus gewählt wurde.

Einen ersten Vorgeschmack lieferte bereits die Bilanz-Pressemitteilung der Grünen. „Wir regieren in der Hälfte der Bezirke und erwarten, dass keine Verwaltungsreform gegen die Bezirke kommt“, schreiben Bettina Jarasch und Werner Graf. Daraus spricht Selbstbewusstsein, aber auch Angst um die erreichte Macht. Im Rat der Bürgermeister könnten die Grünen vielen Vorhaben der Koalition Steine in den Weg legen. Allerdings könnte die Koalition auch versuchen, die grünen Bezirke an die Leine zu nehmen.

Vor allem Grüne und CDU regieren derzeit die zwölf Berliner Bezirke. Symbolischer könnte der neue Konflikt Innenstadt und Stadtrand, der sich nach der Wiederholungswahl vom Februar herauskristallisiert hat, nicht bebildert sein. SPD und Linke spielen da schon fast keine Rolle mehr.

Dass Grüne und CDU das Tischtuch zerschneiden, ist dennoch nicht zu erwarten. Weil Kai Wegner die Brandmauer zur AfD gestärkt hat, bleibt ihm als Machtoption nur Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün.

Auf Landesebene versuchen Grüne und Linke derweil, den Senat mit schriftlichen Anfragen in Bedrängnis zu bringen. Und hoffen, dass ihnen CDU und SPD weitere Angriffsflächen bietet wie die miserabel kommunizierte Radwegeplanung der Verkehrssenatorin.

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Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.

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