29-Euro-Ticket für Berlin: Weniger kostet manchmal mehr

Fällt jetzt am Donnerstag der Startschuss für das 29-Euro-Berlinticket? Die Opposition findet: Es wäre ein wenig sinnvoller, aber teurer Spaß.

Ein Passagier steigt in einen Wagen der Berliner U-Bahn

SPD-Herzenssache: Billigtickets für den ÖPNV Foto: Lisi Niesner/Reuters

BERLIN taz | Folgt man der Berliner SPD-Spitze, kündigt sich in Sachen Mobilitätspolitik Großes an: Am 28. September kommt der Aufsichtsrat des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) zusammen – und er werde „etwas Wichtiges“ verkünden. Was das sein soll, ist unschwer zu erraten. Schließlich ist die Tagesordnung kein Geheimnis: Das Gremium berät über den Wunsch der schwarz-roten Koalition, ein „Berlinticket AB“ für alle zum Preis von 29 Euro einzuführen.

Die Fortführung des vor gut einem Jahr erstmals eingeführten, ausschließlich im Tarifbereich AB geltenden Tickets war das SPD-Wahlkampfversprechen schlechthin. Später schaffte es das Projekt auch in den Koalitionsvertrag mit der CDU, während das Ticket selbst Ende April auslief. Die SPD wollte sich mit dem Aus nie zufrieden geben.

Auf ihrem Landesparteitag am vergangenen Samstag haben die SozialdemokratInnen gerade noch einmal bekräftigt, dass sie es gegen alle Widerstände – vor allem aus dem Nachbarland Brandenburg – durchsetzen wollen. „Wir arbeiten dafür, und das ist auch gut so, und das wird“, orakelte SPD-Parteichefin und Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey. Co-Landeschef Raed Saleh hatte vor kurzem auf einem Fraktionsfest seiner Partei freimütig bekannt gegeben, das Ticket komme am 1. Januar zur Not auch „ohne den VBB“.

Auch wenn die SPD-Spitze den Eindruck erweckt, als sei das Ticket-Revival bereits in Sack und Tüten: Ob der VBB-Aufsichtsrat – dem mittlerweile Claudia Elif Stutz vorsitzt, Staatssekretärin in der CDU-geführten Senatsverkehrsverwaltung –, das Wunschticket der GenossInnen absegnet, bleibt abzuwarten. Die Verwaltung gibt sich jedenfalls zugeknöpft: Man werde im Vorfeld der Sitzung nichts Neues mehr dazu sagen, erklärt Sprecherin Britta Elm – nur, dass man „von einer Einigung unter dem Dach des VBB ausgehe“.

Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) ist jetzt Befürchtungen entgegengetreten, die schwarz-rote Koalition wolle das Sozialticket für 9 Euro im Monat einsparen. Das 9-Euro-Sozialticket werde „weiterhin für all jene Menschen finanziert, die unsere Unterstützung am dringendsten brauchen“, sagte Kiziltepe der taz. Das Geld dafür sei im Haushaltsentwurf für 2024/25 eingeplant. Dort sind 86 Millionen Euro „Zuschuss an die BVG für sonstige betriebsfremde Lasten und an die Jobcenter“ eingetragen – wie viel davon das Sozialticket kostet, ist gleichwohl unklar. Der Haushalt soll im Dezember im Abgeordnetenhaus beschlossen werden. (sum)

Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Tino Schopf, verweist gegenüber der taz ebenfalls auf die Zuständigkeit des VBB-Aufsichtsrats, das Ticket Realität werden zu lassen: „Ich kann nur dafür werben.“ Es habe seiner Ansicht nach aber „wohl hinreichend Gespräche“ im Vorfeld gegeben.

Wenig Gegenliebe bei der Opposition

Bei der Berliner Opposition stößt die Idee auf wenig Gegenliebe: Das 29-Euro-Ticket sei eine „Idee, die leider weiterverfolgt wird, nicht weil sie sinnvoll ist, sondern weil die SPD ihr Wahlversprechen einlösen will“, sagt Schopfs Kollegin von der Grünen-Fraktion, Oda Hassepaß, zur taz. Die SPD habe sich „verrannt“, denn die Billigfahrkarte werde für das Land sehr teuer und konterkariere die Idee der deutschlandweiten Mobilität, die Idee des sogenannten Deutschlandtickets.

Das bislang auch noch als „49-Euro-Ticket“ bekannte Deutschlandticket ist dabei ein ziemlicher Erfolg, wenn man die Zahlen betrachtet. Im Juli gab es in Berlin rund 784.000 Abonnements der im deutschen Regionalverkehr gültigen Fahrkarte. Im August wurde wohl die 800.000er-Marke geknackt, die exakte Menge kann der VBB noch nicht beziffern.

Hinzu kommen in Berlin derzeit immer noch rund 170.000 klassische Umweltkarten im Abo für den Tarifbereich AB. Zum Teil vermutlich, weil sich die Vorteile des billigeren und bundesweit gültigen Deutschlandtickets noch nicht bei allen herumgesprochen haben, aber auch, weil die Umweltkarte übertragbar ist und zu bestimmten Zeiten die Mitnahme weiterer Personen ermöglicht – im Gegensatz auch zum 29-Euro-Wunschticket der SPD.

Neben der befürchteten gegenseitigen Kannibalisierung durch die Einführung eines zusätzlichen Tickets moniert die Opposition vor allem die damit verbundenen Kosten. Tatsächlich könnte das 29-Euro-Ticket dem Land Berlin nach Berechnungen der Verkehrsverwaltung mit jährlich bis zu 335 Millionen Euro auf den Haushalt schlagen. Bei einer Rabattierung des Deutschlandtickets auf 29 Euro für bestimmte Personengruppen, wie sie den Grünen, aber auch dem Umweltverbund BUND vorschwebt, würden dagegen nur etwa 27 bis 50 Millionen Euro fällig.

Die Grünen halten dieses Modell auch für gerechter, denn als Jobticket koste das Deutschlandticket viele schon jetzt lediglich rund 33 Euro. Keinen Rabatt bekommt zurzeit der Teil der Berliner RentnerInnen, Soloselbstständigen und Nichterwerbstätigen, der über der Einkommensgrenze für den Anspruch auf das (mit 9 Euro noch mal deutlich billigere) Sozialticket liegt. Solche Gruppen würden „von SPD und CDU seit Monaten hängen gelassen“, sagt Oda Hassepaß von den Grünen.

Auch mit einem Kinder-Rabatt wäre das Geld „effektiver, günstiger und auch sinnvoller eingesetzt“, findet Hassepaß – für die nämlich kostet das Deutschlandticket ab dem 6. Geburtstag die regulären 49 Euro, während sie im DB-Fernverkehr bis zum Alter von 14 Jahren kostenlos reisen.

Jobticket nicht für alle

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Möglichkeit eines Jobtickets keineswegs von allen ArbeitgeberInnen angeboten wird – in Berlin und Brandenburg machen die vergünstigten Firmentickets laut VBB nur rund ein Fünftel der gültigen Abos aus. Auch können nur Firmen mit mehr als fünf Angestellten vom Jobticket-Angebot Gebrauch machen.

Der Verkehrsexperte der Linksfraktion, Kristian Ronneburg, spricht sich gegenüber der taz für ein Modell aus, wie es die Grünen favorisieren. Er könne sich aber auch eine Rabattierung des Deutschlandtickets für alle vorstellen, sofern das bezahlbar sei. Entsprechende Erkenntnisse erhofft er sich von den Haushaltsberatungen im Abgeordnetenhaus. Der Senat habe nämlich bislang versäumt, dem VBB klare Rechenaufträge zu geben – und auch die ansonsten genannten Summen seien alles andere als genau.

Dass die BrandenburgerInnen wenig vom Berliner Alleingang halten, kann Ronneburg gut nachvollziehen: „Die müssen dann für den Tarifbereich C die alten Preise bezahlen und ärgern sich. Das ist dann kein verständlicher Tarif mehr und insgesamt keine gute Message für ein einheitliches Tarifgebiet.“

Der Berliner Sonderweg, wie ihn die SPD anstrebt, bedeutet übrigens nicht, dass das Land einen geringeren Beitrag zur Finanzierung des Deutschlandtickets leisten müsste. Die entsprechende Summe, derzeit rund 136 Millionen Euro, ist ausgehandelt und verringert sich auch nicht, wenn viele BerlinerInnen abspringen und zum „Berlinticket“ wechseln würden.

Ausgeschlossen ist das keinesfalls. Immerhin könnte der Preis des „49-Euro-Tickets“ nach Berechnungen des Verbands der deutschen Verkehrsunternehmen (VDV) schon bald auf 59 Euro steigen. Denn laut VDV-Prognose werden Bund und Länder 2024 rund 4,1 Milliarden Euro und damit mehr als eine Milliarde Euro zusätzlich aufbringen müssen, um das Angebot zu finanzieren.

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