Revival des 29-Euro-Tickets in Berlin: Kluge Sozialpolitik geht anders

Der Nutzen des 29-Euro-Tickets ist absehbar gering. Mit der Einführung will die Berliner SPD lediglich politische Handlungsfähigkeit simulieren.

Das Bild zeigt ein Wahlplakat von 2023 mit Franziska Giffey

Mit dem 29-Euro-Ticket wollte die SPD 2023 bei den Wäh­le­r:in­nen punkten. Das hat bekanntlich auch nicht so gut geklappt Foto: Christophe Gateau/dpa

Hurra, das 29-Euro-Ticket für alle kommt! Nach harten und zähen Verhandlungen konnte sich die SPD letztlich gegen ihren konservativen Koalitionspartner durchsetzen und eines ihrer zentralen Wahlkampfversprechen einlösen. Ab 1. Juli soll das vergünstigte Abo-Angebot für den Berliner Nahverkehr gelten, der Vorverkauf startet bereits in der kommenden Woche.

Doch niemand – außer eben der SPD – scheint das 29-Euro-Ticket so richtig zu mögen. Stattdessen hagelt es Kritik vom Bund, der Opposition und Fahrgastverbänden, aus unterschiedlichen Gründen und in einem Punkt mit Sicherheit zu Recht: Denn das 29-Euro-Ticket ist keine kluge Sozialpolitik, sondern ein plumper Versuch, sich zu profilieren.

Zunächst einmal ist unklar, für wen das 29-Euro-Ticket überhaupt gedacht ist. Laut SPD seien das „alle, für die das Deutschland-Ticket zu teuer“ ist. Das Konkurrenzprodukt, das derzeit mit 49 Euro pro Monat zu Buche schlägt, erlaubt die Nutzung des ÖPNV im gesamten Bundesgebiet. Und sicher, 49 Euro im Monat sind eine Menge Holz, besonders für Auszubildende, Studierende und Emp­fän­ge­r:in­nen von Sozialleistungen. Allerdings gibt es für all diese Gruppen schon vergünstigte Nahverkehrstickets.

Was bleibt, ist die Gruppe mit niedrigen und mittleren Einkommen, die kein ÖPNV-Ticket von ihren Che­f:in­nen bezuschusst bekommen, nicht im C-Bereich wohnen und auch sonst den AB-Bereich selten verlassen. Für viele dieser Menschen dürften, sofern sie bislang das Deutschlandticket beziehen, die 20 Euro im Monat weniger eine willkommene Ersparnis sein. Mehr Mobilität und Teilhabe bleibt dadurch aber auf der Strecke.

Berliner Sonderweg gefährdet das D-Ticket insgesamt

Die Schönheit des 9-Euro-Tickets aus dem Sommer 2022 und in geringerem Maße dessen 2023 eingeführten 40 Euro teureren Nachfolgers ist, dass es vielen Menschen Mobilität ermöglicht hat, die ihnen vorher verwehrt blieb. Selbst für Fahrten mit Regionalbahnen wird in Deutschland absurd viel verlangt, Wochenendausflüge ans Meer oder ins Umland sind für viele Familien mit wenig Haushaltseinkommen nicht drin, weil es günstiger ist, in Berlin zu bleiben.

Kluge Sozialpolitik wäre es also, für genau dieser Zielgruppe das Deutschlandticket herunter zu rabattieren. Dieser Weg wäre sogar deutlich günstiger als die 330 Millionen Euro, die Schwarz-Rot jährlich für das 29-Euro-Ticket veranschlagt hat. Ganze 1,25 Millionen Deutschlandtickets ließen sich mit dieser Summe auf 29 Euro subventionieren. Dabei gibt es in Berlin gerade einmal halb so viele Abonnent:innen.

Doch stattdessen geht Berlin einen Sonderweg, der zudem auch noch das Projekt Deutschlandticket insgesamt gefährdet. Denn die meisten Nut­ze­r:in­nen des 29-Euro-Tickets werden sicherlich keine Neu­kun­d:in­nen sein, sondern von der bundesweiten ÖPNV-Flat rüberwechseln. Mit sinkenden Abon­nen­t:in­nen schwindet aber auch der Rückhalt für das Deutschlandticket. Und bei den angekündigten Preissteigerungen dürften in den kommenden Jahren noch einmal mehr Leute abspringen.

Worum geht es der SPD also eigentlich? Die wahrscheinlichste Antwort ist, dass die Partei mal wieder so etwas wie politische Handlungsfähigkeit simulieren will. Mietenpolitisch hat die SPD quasi aufgegeben, die Verkehrspolitik weitgehend den Auto-Fantasien der CDU überlassen. Sozialpolitisch geht es in der angespannten Haushaltslage nur noch darum, welche Projekte vor dem Rotstift gerettet werden können. Sich jetzt für das 29-Euro-Ticket selbst abzufeiern, ist in dieser Hinsicht kaum mehr als ein leicht durchschaubares Ablenkungsmanöver.

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Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.

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