Antisemitismus und Islamfeindlichkeit: Vergleichen heißt nicht gleichsetzen

Darf man Antisemitismus und Islamophobie in einem Atemzug nennen? Der Historiker Wolfgang Benz hat es getan und wurde deswegen schwer angegangen.

In Köln gingen die Menschen sowohl gegen Antisemitimus als auch gegen Islamfeindlichkeit erfolgreich auf die Straße. Vergleiche sollten trotzdem erlaubt sein. Bild: dpa

Normalerweise wäre das Thema, um das es geht, eine halbwegs interessante akademische Auseinandersetzung, nicht mehr und nicht weniger - was muss also passieren, dass sich kluge Leute darüber bis aufs Messer befehden? Man erinnere sich: Im Dezember vergangenen Jahres veranstaltete das renommierte Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin unter Leitung des ebenso renommierten Historikers Wolfgang Benz eine Tagung über das Verhältnis von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, die schon im Vorfeld heftigster Kritik ausgesetzt war.

Eine Gruppe von Autoren, unter ihnen Matthias Küntzel, Henryk M. Broder, Clemens Heni sowie der Berliner Korrespondent der Jerusalem Post, Benjamin Weinthal, vertraten in einer publizistischen Kampagne die Auffassung, dass die geplante Tagung Antisemitismus und Islamophobie nicht nur miteinander vergleiche, sondern dadurch auch gleichsetze. Damit wurde - ohne nähere Begründung - der Veranstalter selbst zumindest in die Nähe des Antisemitismus gerückt. Aber was hatte Benz tatsächlich gesagt?

"Die Parallelen zu Antisemitismus und Judenfeindschaft sind unverkennbar: Mit Stereotypen und Konstrukten, die als Instrumentarium des Antisemitismus geläufig sind, wird Stimmung gegen Muslime erzeugt. Dazu gehören Verschwörungsfantasien ebenso wie vermeintliche Grundsätze und Gebote der Religion, die mit mehr Eifer als Sachkenntnis behauptet werden. Die Wut der neuen Muslimfeinde gleicht dem alten Zorn der Antisemiten gegen die Juden.

Die Verabredung einer Mehrheit gegen das Kollektiv der Minderheit, das ausgegrenzt wird (einst und immer noch ,die Juden', jetzt zusätzlich ,die Muslime'), ist gefährlich, wie das Paradigma der Judenfeindschaft durch seine Umsetzung im Völkermord lehrt. Aufgabe der Antisemitismusforschung, die sich als Vorurteilsforschung begreift und Judenfeindschaft als erkenntnisleitendes Paradigma versteht, ist es, beide Phänomene in den Blick zu nehmen: Hass gegen die Juden und den Judenstaat, wie er von Muslimen artikuliert wird, und Hass gegen die Muslime, der sich der gleichen Methoden bedient, die vom christlichen Antijudaismus wie vom rassistischen Antisemitismus entwickelt werden."

Wolfgang Benz, sonst kein ängstlicher Mann, ließ auf die daraufhin folgenden Angriffe hin wissen, dass wichtige Mitglieder des Zentralrats der Juden in Deutschland im persönlichen Gespräch nichts gegen eine solche Tagung einzuwenden hätten, was diese auf telefonischen Rückruf von Henryk M. Broder jedoch nicht bestätigen wollten - womit Benz nun beschädigt dastand. Warum er sich überhaupt darauf eingelassen hat, sich gegen diese Angriffe zu verteidigen, bleibt sein Geheimnis. Nur zu gut zu verstehen ist gleichwohl, dass er sich später weigerte, auf Einladung der Gruppe mit ihr öffentlich zu diskutieren.

Einer seiner Kollegen, der neben Saul Friedländer bekannteste Vertreter der israelischen Holocaustforschung, Yehuda Bauer, war dann so nobel, Wolfgang Benz gegen die Anwürfe der Autorengruppe zu verteidigen und ihr unwürdiges Verhalten vorzuwerfen, um sich damit postwendend in der Jerusalem Post die "freundliche" Antwort eines dieser Autoren, Clemens Henis, einzuhandeln. Bemerkenswert ist es schon, mit welch gönnerhafter Herablassung Heni ausgerechnet Yehuda Bauer, der schon vor Jahren wie kein anderer den radikalen Islamismus in eine Reihe mit dem Nationalsozialismus gestellt hat, charakterisiert: "Nun, Bauer ist selbstverständlich ein sehr guter und bedeutender Historiker, und ich lese seine Bücher, vor allem die über den Holocaust und Antisemitismus, stets mit großem Interesse."

Doch zurück zur Sache selbst: Warum kann eine doch eher akademisch klingende Frage aus dem Gebiet der vergleichenden Vorurteilsforschung derartige Animositäten freisetzen? Folgende Deutungen sind möglich:

1. Antisemitismus und Islamophobie zu vergleichen übersehe, dass der Antisemitismus im Unterschied zur Islamophobie in Auschwitz zu einem weltgeschichtlich einmaligen Verbrechen geführt hat und der Judenhass damit seinem Wesen nach eine sehr viel destruktivere Einstellung darstellt als einfache Vorurteile gegen Muslime. Beides miteinander zu vergleichen führe somit zu einer beinahe leugnenden Verharmlosung des Antisemitismus und seiner Folgen, einschließlich der Vernichtungslager.

2. Das, was da miteinander verglichen werden soll, lasse sich schon deshalb nicht vergleichen, weil es die zweite Vergleichsgröße - nämlich die Islamophobie - überhaupt nicht gebe, als wissenschaftlichen Begriff schon mal gar nicht, und wenn doch, dann gebe es sie jedenfalls nicht länger als zwanzig Jahre. Damit besteht der Verdacht, dass jenes Konstrukt, das da als Islamophobie gilt, nichts anderes als eine geschickte pseudowissenschaftliche Strategie ist, um die in der Sache nur zu berechtigte Kritik an der Religion des Islam selbst bzw. an vielen Muslimen zu delegitimieren.

3. Antisemitismus und Islamophobie miteinander zu vergleichen sei nicht nur verharmlosend und beschönigend, sondern geradezu zynisch und eine Verhöhnung der Opfer des Holocaust, weil doch der Islam - nach Überzeugung von Mitgliedern dieser Autorengruppe, die bewusst nicht zwischen Islam und Islamismus unterscheiden will - selbst eine zutiefst judenfeindliche Ideologie sei.

Alle drei Argumente sind in der Sache und im Ganzen unbegründet, enthalten aber doch immerhin jenes Quäntchen Wahrheit, das ausreicht, um aus einer Andeutung eine ganze Lüge zu machen. Sie lassen sich Stück für Stück widerlegen.

Zum ersten Argument mag man sich fragen, unter welchen Bedingungen es überhaupt zulässig ist, Vorurteile gegen unterschiedliche Gruppen und die mehr oder minder mörderische Bilanz dieser Vorurteile miteinander zu vergleichen. Hätte eine Konferenz, die sich mit dem Vergleich von Juden- und Schwulenhass befasst hätte, den gleichen Protest provoziert? Oder eine Tagung, die sich mit Blick auf den indischen Subkontinent mit Ähnlichkeiten von hinduistischer Islamophobie und muslimischer Hinduphobie befasst hätte?

Vor zehn Jahren noch provozierten Vergleiche - nicht etwa Gleichsetzungen - zwischen dem Holocaust und der gewollten und geplanten tödlichen Aushungerung der ukrainischen Bauern, dem "Holodomor" durch Stalin, ähnliche Proteste; unabhängig davon hat die vergleichende Genozidforschung hingegen gerade durch diese Vergleiche ein sehr viel genaueres und trennschärferes Bild von den nationalsozialistischen Verbrechen gewonnen. Es ist nicht bekannt, dass sich auch nur eines der Mitglieder der genannten Autorengruppe jemals in diesen Debatten zu Wort gemeldet hätte.

Auch das zweite Argument überzeugt nicht. Das wissenschaftsgeschichtliche Alter einer Theorie oder eines Konstrukts sagt gar nichts über deren Erkenntniswert aus - ebenso wenig wie Hinweise auf den gewiss in vielen Fällen interessanten und politisch tendenziösen Entstehungszusammenhang. Es hat seinen guten Grund, dass Wissenschaftstheorie und -soziologie zwischen Entstehungs- und Rechtfertigungskontext unterscheiden.

Um das an zwei Beispielen zu verdeutlichen: Eine bekannte sozialwissenschaftliche Theorie, die "Schichtentheorie", mochte zwar bürgerlichen Ursprungs sein und gleichwohl in mancher Hinsicht mehr erklären als eine marxistische Klassentheorie. Das ptolemäische Weltbild war bald 2.000 Jahre alt, als es durch Kopernikus und Galilei abgelöst wurde. Na und? Aber sogar wenn es so wäre, dass der Begriff der Islamophobie Abwehrstrategien muslimischer Verbände nicht nur in Deutschland entsprungen wäre: Damit wäre noch rein gar nichts darüber gesagt, ob es das damit bezeichnete Phänomen gibt oder nicht.

Ethnologisch und historisch wäre immerhin darauf hinzuweisen, dass militanter Hindunationalismus auch nach 1948 immer wieder zu mörderischen Pogromen an indischen Muslimen geführt hat, dass es also - wenn auch weit weg von hier - durchaus so etwas wie Islamophobie gibt. Historisch hingegen wird man darauf hinweisen, dass im spätmittelalterlichen, frühneuzeitlichen Spanien zwangsgetaufte Muslime, die sogenannten Moriscos, demselben Verdacht und denselben Drangsalierungen durch Inquisition und katholischen Protorassismus ausgesetzt waren wie getaufte spanische Juden.

Kritiker des Begriffs "Islamophobie" werden nun einwenden, dass es Abwehrreflexe aus der deutschen Bevölkerung gegen Immigranten aus muslimischen Ländern durchaus gebe, dies aber nichts weiter als eine bestimmte Form von fremdenfeindlichem Rassismus sei. Doch stimmt auch das nicht.

Tatsächlich gab und gibt es im christlichen Abendland schon im Mittelalter und erst recht in der Neuzeit eine theologisch begründete Feindschaft gegen den Islam. Der Prophet galt früh als lüstern und unmoralisch, gelegentlich wähnten andere Autoren, dass die sogenannten Mohammedaner statt Gott einen Götzen namens Baphomet verehrten. Dass es in der Neuzeit Islamophobie gegeben hat, sie sich zumal im reformatorischen Deutschland mit einer protorassistischen Türkenangst verbunden hat, ist ebenfalls gut belegt. Von Martin Luther sind nicht nur höchst wirkungsmächtige, brutale judenfeindliche "Sendschreiben", sondern auch entsprechende "Türkenpredigten" überliefert: "Und wenn ir nun wider den Türcken zihet, so seid ja gewis und zweivelt nichts daran, das ir nicht wider fleisch und blut, das ist wider Menschen streitet. […] Sondern seid gewis, das ir wider ein groos heer Teuffel streitet. Die Türken sind, gleich den Juden, halsstarrig und verstockt, […] das türkische Reich, so groß es immer sein kann, ist nichts, denn nur allein Brocken Brodes […], die Christen […] haben […] die Verheißung Gottes, so uns im Sohne Gottes geoffenbaret ist, da die Türken iren stinkenden Alkoran, ire Siege und zeitliche Gewalt haben, worauf sie sich verlassen."

Der Aufklärer Voltaire, ein formidabler Judenfeind, verfasste gar ein ganzes Stück über den Propheten, in dem dieser als Inbegriff des Fanatismus gezeichnet wird. Dass das alles natürlich nicht zu einem Verbrechen gleichen Ausmaßes wie dem des Holocaust geführt hat, versteht sich von selbst, nur: Für wie dumm und unmündig hält die genannte Autorengruppe eigentlich die interessierte Öffentlichkeit, dass sie ihr so viel Differenzierungsvermögen nicht zutraut?

So bleibt endlich das dritte Argument, dass nämlich nicht nur der radikale Islamismus, sondern schon die auf der Schwelle von Spätantike und Frühmittelalter entstandene islamische Religion judenfeindlich war und es im Wesentlichen bis heute ist. Wer mag, kann sich sogar in der Reclamausgabe des Korans unter dem Stichwort "Juden" die entsprechenden Passagen heraussuchen und wird dann durchaus fündig werden: Die Juden glauben, steht da, (2,59) - wie Christen und Sabäer - an Allah. Ihnen wurde die Thora hinabgesandt, die eine Leitung und ein Licht enthält, die ihnen durch die Propheten zum Gericht wurde (5,45); auch ihre Rabbinen und Lehrer richteten nach diesem Buch, der Thora, die ihnen anvertraut war und die sie bezeugten. Gleichwohl haben die Juden Allahs Wort wissentlich verkehrt (2,70) und behaupten sogar, dass Allah nicht mehr in die menschlichen Geschicke eingreift (5,69), akzeptieren jedoch ihrerseits nur jene, die ans Judentum glauben (2,114), sind missionseifrig (2,129); es gibt unter ihnen einige, die den Sinn der Schrift verkehren (4,48/5,45), und Allah hat sie für ihren Unglauben verflucht (4,49), sind sie doch neben den Götzendienern die schlimmsten Feinde der Gläubigen (5,85); sie haben so sehr gesündigt, dass Allah ihnen gute Dinge, die ihnen erlaubt waren, verwehrt hat (4,158/6,147), da sie Wucher getrieben haben (4,159) und bestreiten, dass Allah einem Menschen etwas offenbart hat (6,91); sie sind Geschöpfe Gottes, denen er, wenn er will, verzeiht (5,21) und die er am Tag der Auferstehung richten wird (22,17); sie sehen Esra als Allahs Sohn und die Rabbinen als Herren an (9,30), weswegen Allah sie zur Auswanderung trieb (59,2 ff.). Die Juden, die mit der Thora belastet wurden und sie nicht tragen wollten, gleichen somit einem Esel, der Bücher trägt (62,5).

Eine weitere Recherche nicht nur im Koran, sondern in verschiedenen Überlieferungen zum Leben des Propheten wird weitere abfällige Äußerungen zutage fördern, auch Berichte darüber, dass der Prophet die Angehörigen eines jüdischen Stammes, die Banu Quraiza, ausrotten ließ. Da es über die Juden Arabiens in jener Zeit, sieht man einmal vom Jemen ab, jenseits der islamischen Texte keine einzige historisch gesicherte Überlieferung gibt, ist nicht einmal klar, ob diese Ereignisse tatsächlich stattgefunden haben. Das spielt allerdings keine Rolle, wenn diese Mitteilungen von Muslimen selbst für wahr gehalten werden. Andererseits waren die materiellen Lebensbedingungen der Juden unter späterer islamischer Herrschaft, in Spanien ebenso wie im Osmanischen Reich, oftmals zwar eingeschränkt wie die von Christen auch, allerdings kaum je durch Pogrome und Vertreibungen geprägt wie im christlichen Abendland.

Das differenzierte Bild lässt keinen anderen Schluss zu, als dass die Autorengruppe sich ebenso fundamentalistisch verhält wie die radikalen Islamisten: Sie nehmen ohne weitere historische oder soziologische Kontextualisierungen die von Muslimen für heilig gehaltenen Schriften als wörtliche, auch noch heute ungebrochen gültige Handlungsanweisungen. Dieses Verfahren haben übrigens nicht wenige Antisemiten immer wieder mit Genuss auf heute kaum noch verständliche, blutrünstige Passagen der Hebräischen Bibel angewendet.

Die wirklich entscheidende Frage, warum und unter welchen Umständen sich erhebliche Teile der muslimischen Welt, einer sich modernisierenden muslimischen Welt, eine antisemitische Lesart von religionspolemischen Passagen aus Koran und Hadith zu eigen gemacht haben, stellt sich die Autorengruppe gar nicht. Gleichwohl ist einzuräumen, dass Antisemitismus mehr und anderes ist als nur eine Spielart des Rassismus als Zuschreibung negativ bewerteter biologischer Eigenschaften, und vor allem ist zu sehen, dass es zwischen Antisemitismus und Islamophobie nun doch einen wesentlichen Unterschied gibt: Während nämlich antisemitische Verschwörungsfantasien noch nie etwas anderes als Ausgeburten kranker, mit Ressentiment geladener Hirne waren, existieren Verschwörungen im Bereich einiger Gruppen des radikalen Islamismus tatsächlich.

Bei aller Strukturidentität etwa zwischen der christlichen Kritik am angeblich undifferenzierten herrschaftlichen Gottesbild des jüdischen und muslimischen Monotheismus und bei aller ähnlich gelagerten Kritik geschichtsloser Feministinnen an der Unterdrückung jüdischer Frauen im patriarchalisch geprägten orthodoxen Judentum gab es doch niemals eine "jüdische Kriegserklärung" an jene Gesellschaften, in denen Juden lebten. Das ist jedoch beim radikalen Islamismus aller Spielarten sehr wohl der Fall, und man wird fragen dürfen und müssen, ob und welchen Einfluss diese totalitäre Ideologie (Yehuda Bauer) auf einen Teil der muslimischen Immigranten hat. Diese Frage zu stellen ist weder islamophob noch rassistisch, sie mit einem undifferenzierten, bejahenden Generalverdacht zu beantworten sehr wohl.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.