Die Wahrheit: Die Krieger des Bio

In der gestörten Welt der Ökoistas. Ein Praxisbesuch.

Ökoistas stellen die Welt und sich selbst gern auf den Kopf: Beides zusammen kann nicht gutgehen. Bild: reuters

„Nein, Frau Göbel! Sie buchen jetzt nicht das Bahnticket! Sie fahren, wie wir es besprochen haben, mit meinem SUV nach Berlin!“ Frau Göbels Zeigefinger verharrt reglos auf der Maustaste. Sie wendet den Blick von ihrem Bildschirm ab und schaut unsicher zu Heribert Lerche, der sich sichtlich bemüht, ruhig zu bleiben.

Frau Göbel sei ein besonders schwieriger Fall, denn sie leide schon seit über drei Jahren am „Öko-Wahn“, erzählt Lerche. Deshalb habe sie sich an ihn gewandt und in Therapie begeben. Seit der gelernte Bestattungsunternehmer seine Praxis eröffnet hat, kann er sich vor Anfragen nicht mehr retten. „Die Menschen wissen keinen Ausweg mehr. Sie rutschen immer tiefer ab in einen Teufelskreis aus Gemüsekisten, CO2-neutralem Fleisch und fair gehandelten Leinenhosen.“

Die gesellschaftlichen Folgen für die Betroffenen sind verheerend. Ich-Zentrierung, Abbruch von sozialen Kontakten und eine hohe Verschuldung, die in Privatinsolvenz mündet, sind häufige Symptome der „Bio-Krieger“, wie Lerche seine Patienten liebevoll nennt.

Wie viele der Betroffenen ist Frau Göbel über eine Bekannte auf die schiefe Bahn gelangt. „Es fing ganz harmlos an“, beginnt sie stockend zu erzählen, „eine Freundin hat mich irgendwann davon überzeugt, dass selbst jeder noch so kleine Einkauf ein politisches Statement ist. Wer sich für einen bestimmten Joghurt entscheidet, entscheidet auch zwischen Raubtierkapitalismus oder Ökorevolution. Ich wollte doch nicht als unpolitisch dastehen!“

Frau Göbel sagt von sich selbst, sie sei eine akribische Person. Wenn sie etwas mache, dann richtig. Sie überzeugte ihren Mann, die Doppelhaushälfte nach neuesten ökologischen Standards zu sanieren. Statt der Dusche setzten sie eine Regenwassertonne ins Bad, im Hobbykeller musste die Modelleisenbahn ihres Mannes einer modernen Biogasanlage weichen, und um eine optimale Wärmedämmung zu erreichen, bestand Frau Göbel sogar auf der sofortigen Trennung ihrer Haushälfte von der der Nachbarn.

„Unser Verhältnis ist bis heute gestört“, schluchzt die untersetzte Mittvierzigerin. Auch die anderen Nachbarn der Siedlung haben sich von den Göbels abgewendet, zu groß ist die Lärmbelästigung durch die täglich anfahrenden Lastwagen, die neuen Mais zur Vergärung bringen. Auf dem Höhepunkt des Leidens verlor Frau Göbel ihre Arbeit. Ihr Chef sah es nicht mehr ein, dass die Berufspendlerin zwischen Frankfurt und Köln jeden morgen zehn Stunden zu spät zur Arbeit kam, weil sie vom Auto auf das Rad umgestiegen war.

„Das sind keine Einzelschicksale“, mahnt Lerche. „Hier isoliert sich eine ganze Gesellschaftsschicht. Es entwickelt sich eine Parallelgesellschaft mit eigenen Codes und Ritualen!“ Aktuellen Statistiken zufolge sind besonders Akademiker mittleren Alters von diesem gefährlichen Trend betroffen. 75 Prozent aller Befragten konnten sich beispielsweise vorstellen, einen ungespritzten Apfel einem gespritzten vorzuziehen.

Es klingelt an der Praxistür. Als Heribert Lerche öffnet, betritt ein graumelierter Geschäftsmann den Behandlungsraum, Typ Loha vom Feinsten. „110, 115, 120 … nein, nein. Wo war ich denn gerade? Bei 100? Das ist zu viel! Ich dreh durch!!!“ Lerche stellt den Mann als Gregor von Bersig vor, ein arrivierter IT-Unternehmer aus Niedersachsen.

„Herr von Bersig berechnet unablässig seinen ökologischen Fußabdruck“, erläutert Lerche. „Seit neuestem versucht er, seine Atmung um 50 Prozent zu drosseln, um den körpereigenen CO2-Ausstoß zu reduzieren. Gestern ist der mir hier in der Praxis umgekippt und lag zwei Stunden flach. Ein klassisches Opfer des Klimawandels.“

Von Bersig scheint Lerches Worte gar nicht zu hören, unablässig zählt und rechnet er vor sich hin, schüttelt verzweifelt den Kopf und beginnt von vorn. Bei solchen Extremfällen, die Lerche als „maximale ökologische Introperspektion“ bezeichnet, wendet er radikale Therapieansätze an. „Ich werde Herrn von Bersig nun in einen kleinen Raum sperren, in dem ich einen Müllhaufen – hauptsächlich Plastikmüll – anzünde und ihn die Dämpfe inhalieren lasse. Das wird ihn hoffentlich auf andere Gedanken bringen.“

Lerche gibt freimütig zu, kein gelernter Therapeut zu sein, aber diese Spezialisierung sei eben noch nicht in der Schulmedizin und bei den Krankenkassen angekommen.

Während er den Geschäftsmann mit sachtem Druck in Richtung des Inhalationszimmers schiebt, erleidet Frau Göbel einen Rückfall. „Ich hab auf ’Bestellung abschließen‘ geklickt! Ich fahr doch mit dem Zug! Das Klima ist gerettet!“, jubelt sie frenetisch. Es ist keine leichte Aufgabe, die sich Heribert Lerche vorgenommen hat.

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kari

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