die wahrheit: Allein in der Höhle

Der gegelte Kriegsgefangene der Taliban.

In einer dieser Höhlen im Hindukusch steckt der edle Gefangene. Bild: reuters

Allahu akbar!" Nun ging das wieder los. Der Gefangene zog ein saures Gesicht. "Ashhadu an la ilaha illa llah!" Die hatten doch gerade erst auf den Bäuchen gelegen. "Ashhadu anna Muhammad rasulu llah!" Rief der Muezzin zum Mittagsgebet? Oder war es schon Abend?

Durch den dicken Vorhang am Höhleneingang fiel kaum Licht. "Haya ala ssalat!" Der Gefangene wollte auf seine Uhr sehen. Dann fiel ihm ein, dass seine Entführer ihm die Armbanduhr gleich als Erstes abgenommen hatten. Ein Erbstück, unbezahlbar. Wahrscheinlich hatten diese Barbaren die Uhr längst weggeschmissen. Zu blöd, sie aufzuziehen.

"Haya ala ttalah!" Wenn der Muezzin wenigstens eine angenehme Stimme gehabt hätte. Aber der klang ja wie ein Esel in der Brunft. Oder wie der Huber damals in Kreuth, vor undenklich langer Zeit, als sie beim Umtrunk das Lied der Bayern sangen. Oder war das erst einen Monat her? Der Mann in der Höhle wusste es nicht genau. "Allahu akbar!" Ja, ja, is scho recht, dachte der Gefangene, brings zu Ende. "La ilaha illa llah!" Plötzlich war wieder Ruhe. Nur der Bergwind muffelte in den Vorhangfalten.

Ein Tag, ein Monat, eine Ewigkeit - hier draußen im Hindukusch war das ziemlich gleich. Eine Landschaft jenseits der Zeit. Vielleicht lag darin das Geheimnis der Taliban, der Schlüssel zu ihrer Unbesiegbarkeit. Was wollten die mit antiken Uhren? Gar kein Bedarf für so was. Auch der Saufraß, mit dem sie ihn fütterten: zeitlos. Konnte glatt aus dem Grab eines Pharaos stammen. Gab es in dieser Gegend mal Pharaonen?

Der Gefangene überlegte. Er kam zu keinem Ergebnis. "Na, meine Güte", flüsterte er, "ich bin schließlich Jurist. Was weiß ich schon?" Kurz erschrak er vor seiner Bescheidenheit. Die war ihm selber ganz neu. Wo er doch früher zu jedem Scheiß den Schnabel aufgesperrt hatte. Immer wusste er was zu sagen, und die Leute staunten. Wie die jetzt erst staunen würden, dachte er und fletschte die Zähne. Die paar, die seine Entführer ihm nicht rausgeprügelt hatten.

Er war dankbar, dass die Wärter ihm keinen Spiegel erlaubten. Er hätte sich selbst nicht wiedererkannt. Ein Kaftan aus Sackleinen statt Maßanzug aus London. Unrasiert wie ein Flaschensammler. Und vor allem sein Haar! Ein Vogelnest. Nicht mal beim AC/DC-Konzert damals hatte er auf sein Gel verzichtet. Doch am Morgen nach dem Überfall hatte ein Taliban ihm die Tube entrissen, den Glibber rausgedrückt und runtergewürgt, als sei das Astronautennahrung. Schien ihm geschmeckt zu haben. Der Gefangene wusste inzwischen, warum. Angewidert trat er gegen seinen Fressnapf. Der Blechteller klapperte auf dem Fels.

Klappern gehört zum Handwerk, dachte der Gefangene fast automatisch; und dann dachte er: Was für ein totaler Unsinn! So was bogen sie einem bei auf Parteiseminaren. Die haben ja keine Ahnung. Die Schnauze halten - das ist die Devise! Jetzt war ihm das klar. Leider zu spät. Hätte er sich bloß nicht auf dieses Streitgespräch im Fernsehen mit der Plunze, der Bischöfin, beim Beckmann eingelassen.

Aber dem verdammten Beckmann hatte er noch nie was abschlagen können. Für einen Domestiken schien der ganz in Ordnung. Mit der Plunze ging so weit auch alles gut. Die brabbelte bloß. Aber dann schoss der Beckmann quer. Eben doch ein Kind seines Standes. Keine Finesse, kein Stil. Ob er, der Minister, sich vorstellen könne, an einem Einsatz der Truppe in Afghanistan teilzunehmen. Ob er sich das traue. Und da hatte er geklappert.

"Ich Idiot!", zischte der Gefangene. Damals, am Tisch beim Beckmann, hatte er gesagt: "Ein Politiker, der Soldaten in einen kriegsähnlichen Einsatz schickt, sollte bereit sein, selbst diese Bedingungen zu erleben. Ja, ich traue mir das zu." Und dann ging alles ganz schnell.

Die Halslose lobte ihn für diesen "zutiefst mutigen Schritt", der vom anderen Ufer drückte ihm labbrig die Hand, und zuletzt kam der Schlimmste - sein politischer Ziehvater - und sagte: "Wenn du was erreichen willst, musst du manchmal auch dahin gehen, wos wehtut." Diese Heuchler! Froh waren die, sturzfroh, ihn loszuwerden! Weil seine Beliebtheitswerte gegen tausend von hundert kletterten. Heute war ihm das alles klar. Damals hatte er sich blenden lassen. Sein verdammtes Pflichtbewusstsein. Eingeübt in dreißig Generationen, seit Pharaonenzeiten.

"Allahu akbar!" O nein, nicht schon wieder. Der Gefangene wollte sich die Ohren zuhalten, aber die Stricke an den Händen waren im Weg. Er wollte zurückbrüllen: "Stecht mir die Ohren aus, ich kanns nicht mehr hören!" Doch plötzlich hatte er eine Vision und hielt die Luft an. Er stellte sich vor, wie er beim Beckmann von diesen Tagen erzählen und wie der Domestik dazu mitleidig lächeln würde. Die Plunze säße daneben, und auch sie würde mitleidig lächeln.

Etwas später kämen die Halslose, der vom anderen Ufer und der Ziehvater hinzu. Alle würden sie ihn ansehen und mitleidig lächeln. Der Gefangene lehnte den Kopf ans kalte Gestein und versuchte zu weinen. Vor lauter Elend hatte er keine Ahnung mehr, was er sich für die Zukunft wünschen sollte. Erst als seine Bewacher ihm das Abendbrot brachten, wusste er es wieder.

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kari

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