die wahrheit: Der Mayonnaise-Minister

Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Frank-Walter ("XY") Steinmeier.

Seine Partei gerät jedes Mal in Ekstase, wenn bei Frank-Walter Steinmeier der Schweiß ausbricht Bild: Reuters

Berlin 2008, im Wonnemond Oktober. 500 Delegierte stehen aufrecht auf ihren Beinen und schreien sich begeistert die Zunge aus dem Leib. Dem Mann auf der Bühne rinnt der Schweiß aus den Ärmeln, der Kopf ist rot angeschwollen in der Farbe der Partei, die Haare aber leuchten weiß wie Mayonnaise. Anderthalb Stunden hing die Menge mit vollen Augen und Ohren an ihrem Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier, nun schwimmt die Partei in Ekstase. Fast scheint es, als hätte die SPD im kommenden Bundestagswahlkampf schon alle Wahlurnen im Sack.

Niemand schraubt in diesem Moment sein Hirn drei Jahre zurück, als kaum einer außer Steinmeier wusste, dass es ihn gibt. Erst seit ihn die SPD im Herbst 2005 als neuen Außenminister einer breiten Presse überreichte, kennt man den Mann, der sein Leben bis dahin im Schatten der Verborgenheit abrollte. Erst da erfuhr man, dass er bereits seit 1999 im Kanzleramt direkt unter Gerhard Schröder saß. Während der öffentlich Szepter und Bundesapfel präsentierte, hielt Steinmeier drinnen den Laden dicht.

Wenn Schröder eine schöne Witwe auf seinem Büroteppich empfing oder nach einem Anpfiff von Piëch betrübt eine Flasche Fliegentod leerte, drang kein Seufzer nach draußen. Steinmeier watete in Geheimnissen, aber hielt stets den Daumen auf dem Topf.

Steinmeier und Schröder, Dick und Doof der SPD: In unmittelbarer Nähe seines Herrchens, im tiefsten Detmold-Brakelsiek, hatte Steinmeier am 5. Januar 1956 seine Laufbahn begonnen, und wie sein Meister machte er später einen auf Jura, bevor er auf Umwege verfiel: setzte eine kiloschwere Doktorarbeit zusammen, sicherte sich ein kleines, überdachtes Büro an der abgelegenen Universität Gießen, betätigte sich als ruhiger Dozent am stillen Verwaltungsseminar Wiesbaden und sah aus dem Fenster dem Leben zu.

Fingerdick lagerte sich bereits der Staub auf ihm ab, als die Wende kam. Schröder hatte 1990 Niedersachsen gewonnen. Ein Jahr später verlegte Steinmeier seinen Schreibtisch in die hannoversche Staatskanzlei, wo er sich bald als geborener Tschik für den Apparat erwies; nach Schröders Schultersieg über den abgestumpften Helmut Kohl folgte er der Stimme seines Herrn ins Bundeskanzleramt.

Andere leben auf geräuschvollem Fuß, Steinmeier aber verkörperte lautlose Effizienz, bereitete mit leiser Hand Kabinettssitzungen vor und griff hinter dem Vorhang ein, wenn es im Regierungsapparat schepperte. So Ende 2003, Anfang 2004, als Wirtschaftswolfgang Clement und Umweltjürgen Trittin sich bis aufs Messer kabbelten. Der Anlass ist heute vergilbt, es ging irgendwie um Kohlewindkraftemissionsdingsbums. Steinmeier aber bat die Streithampel in sein Zimmer, und nachdem die beiden mit Treten, Beißen und Kneifen fertig waren, legte er ihnen irgendeinen ausgetüftelten Kompromiss vor, den die ausgepumpten Kampfhähne erschöpft abnickten.

Schröder besaß in Steinmeier ein sicheres Pfund. Als sein Großer Administrator sorgte er dafür, dass die Fraktion auf Rufweite blieb, strickte an der Agenda 2010 mit und bekam zur Belohnung einen Fuß in Deutschlands Außenbeziehungen, ließ zum Beispiel US-Botschafter Daniel Coats nackt in seinem Büro antreten, um ihm Schröders angemessen bedeckte Haltung zur amerikanischen Irakpolitik zu verdeutlichen. Er verhandelte diskret bei ausgeschalteten Lampen mit Israel und palaverte in der libyschen Wüste mit Gaddafi, beobachtet nur von hinterher zum Schweigen gebrachten Wüstenkamelen. Steinmeier, der sein ganzes Leben in geschlossenen Räumen verbracht hatte, fand Geschmack an der Welt. Und lernte alles, was man zum Überleben braucht - zum Überleben als Außenminister an der frischen Luft.

Gekonnt schüttelte er, kaum hatte man ihm das neue Amt zu Füßen gelegt, die alten Affären ab, die ihm aus seiner Grundausbildung unter Schröder anhingen; er konnte deutlich machen, dass für die Sachen Khaled El Masri und Murat Kurnaz ein Herr Hase die Verantwortung trägt und die BND-Agenten im Irak den USA lediglich ein paar schlecht geschmierte Marmeladenbrote geliefert hatten. Seither wächst Steinmeiers Autorität von Tag zu Tag. Wenn irgendwo ein Bündnis klemmt, ein Land schmilzt oder der Kampf gegen den Terror der anderen auf die Agenda rutscht, dampft er herbei und verfolgt seine Politik, die der Rolle Deutschlands auf einem veränderten Erdball Rechnung trägt und dennoch international Anerkennung einsäckelt wie blöd.

Zugleich lernte er, auch daheim seine Zähne in Position zu bringen. Erst schob er sich leise auf den Rang eines stellvertretenden Parteivorsitzenden, dann übernahm er den scheinbar nur zum Fotografieren schönen Posten des Vizekanzlers, schließlich biss er Kurt Beck aus dem Amt. Binnes eines Jahres überzeugte Frank-Walter Steinmeier die versammelte Sozialdemokratie davon, dass er Partei gelernt hat, Wahlkampf kann und den Stier machen will - und in der Tat: Sein nach Fischers Vorbild langsam über die Ufer tretender Leibesumfang und seine nach Merkels Muster immer tiefer herabschießenden Mundwinkel bezeugen mittlerweile für alle sichtbar sein staatsmännisches Format.

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