die wahrheit: Der dunkle Tischler

Wie der Superheld Blauman erstmals auf seinen Todfeind traf und wurde, was er ist.

Blitze in der Ferne ohne Donner. Senkbleischwer hing der Nachthimmel über der Stadt. Ein Martinshorn heulte auf und verstummte abrupt. Schatten, maurerstiftschwarz, verschlangen die Häuser. Oder war das der Asphalt, der lebendig wurde? Sich aus seinem Betonbett erhob und die Mauern emporkroch, zwischen denen er tagsüber geduldig ruhte? Wenige Laternen tropften in die Düsternis Pfützen aus Licht. Es hatte die Farbe schalen Biers. Für solche Nächte lebte Horst Wähn - in diesen Stunden wurde er zu Blauman, dem dunklen Tischler. Wenn die Stadt nach Schweiß roch. In einer Nacht wie dieser war vor zwanzig Jahren sein Leben für immer zerstört worden …

Familie Wähn hatte Richtfest gefeiert. Das eigene Heim! Bescheiden und schön. 55 Quadratmeter Grundfläche, zwei Stockwerke mit Satteldach. Seine Eltern … Nie würde er vergessen, wie sie die Gäste empfangen hatten auf dem umgewühlten Boden, der mal ein Garten werden sollte. Sie trugen neue Gummistiefel: Mutter gelbe, Vater grüne, Horst selbst himmelblaue. Das passte wunderschön zu ihren lila Freizeitanzügen von Kik. Es wurde zünftig getrunken und gesungen, die Kapelle der freiwilligen Feuerwehr spielte mindestens hundert Mal "Polonäse Blankenese". Solide und fest schien die Zukunft, ausgerichtet an einem Zollstock aus Stahl. Nicht ganz geheuer erschien ihm allerdings Der Architekt. Der hatte ihm zwar ein Lkw-Quartett geschenkt. Aber er lachte so schrill und unheimlich, wenn er seine wasserstoffblonde Sekretärin betatschte …

Es wurde spät, bevor der letzte Gast ging. Die Partyfackeln flackerten erschöpft. Horsts Eltern wollten ihr Eigenheim noch einmal von innen sehen, die Mondsichel durch das starke Geflecht der Dachbalken bewundern. "Kommst du mit?", rief Mutter. "Nein", hatte er gequengelt, "keine Lust." Denn ihn interessierte das neue Quartettspiel mehr. "Außerdem regnet es gleich!" Im Schein ferner Blitze sortierte er die Kipplaster aus dem Stapel. Der Donner versickerte in teerschwarzen Wolken. Die Luft roch nach Schweiß - kalt, brav, scharf. Horst hörte ein Knacken im Dachstuhl. Der Richtfestkranz wankte. Schwankte. Und fiel. Dann stürzten die Firstbalken hinab. Nie würde Horst Wähn die Schreie seiner Eltern vergessen. So wenig wie die Karte, die er in jenem endlosen Augenblick zwischen den Fingern hielt. Eine 15-Tonnen-Planierraupe - und darunter eine handschriftliche Notiz vom Architekten: "Nichts hält ewig."

Die Sirenen der Feuerwehr klangen in den Ohren des Jungen wie das Gelächter eines wahnsinnigen Clowns. In jener Nacht hatte er, von Blitzen umzuckt, regendurchnässt, einen Schwur geleistet: "Jeder Pfuscher am Bau soll vor mir erzittern, die Nepper sollen erbleichen, die Wucherer wimmern!"

Blauman schüttelte die Bilder der Vergangenheit aus seinem Kopf wie Zwiebelschnitze vom Mettbrötchen. Der dunkle Tischler hatte sein Ziel erreicht. Ein Gigantenskelett aus Eisenträgern ragte vor ihm auf, drohend und zerbrechlich zugleich. Ein Monument der Vermessenheit, ein Magnet für alles Verkommene: die künftige Zentrale von "Interconstruct". Jener Hausbaufirma, die den Traum seiner Eltern in einen ewigen Alptraum für den Sohn verwandelt hatte. "Interconstruct" - die ominöse Organisation des Architekten. Heute Nacht, endlich!, würde Blauman eine uralte Schuld sühnen.

Zwei Jahrzehnte lang hatte er geübt. Studiert. Gekämpft. Die Besten waren seine Lehrer gewesen. Zimmerman, der Herold des Hobels. Redsaw, der Zar des Zuschnitts. Helmet, der Sultan der Sicherheitsvorschriften. Whistler, der Baron der Blondinenanmache. Und Formulator selbstverständlich, der König des Katasterwesens. Wie mit einer Drainage hatte Blauman den Sumpf des Bösen trockengelegt. Weder Obiwahn, der Beherrscher des Baumarktlabyrinths, noch Blackwork, der Leviathan des Lohndrückens, weder Eurokrat, der Pharao des Vorschriftendschungels, noch Spekulo, der Henkersknecht der Heuschreckenfonds, hatten Blauman widerstehen können. Selbst seine alte Nemesis, Gipsoid, war endlich kaltgestellt. Es blieb nur noch die Spinne im Zentrum des Netzes …

Aus einem der Bauwagen schien schwefelfarbenes Licht. Dort musste er sein. Der Schurke, der auf einem Fundament aus Leid einen Turm des Schreckens errichtet hatte. "Architekt!", brüllte Blauman. "Zeig dich, Bastard! Du hast ein Rendezvous - mit der Gerechtigkeit!" Aber nichts rührte sich. Da fuhr ein mächtiger Windstoß durch den Rohbau und zerriss alle Planen, die darin aufgehängt waren. Zufrieden steckte Blauman den modifizierten Laubbläser zurück in seinen Vielzweckgurt. Er dankte im Stillen Binford, dem Wesir des Werkzeugs, für die geniale Erfindung.

Aus dem Bauwagen schwang sich eine hagere Gestalt. Im Wetterleuchten warf sie dutzende groteske Schatten. Der Architekt lachte grell: "Willkommen, Horst, mein Junge! Nach so vielen Jahren besuchst du mich endlich, um dich für mein Geschenk zu bedanken." Er warf etwas nach Blauman. Eine Quartettspielkarte. "Die 15-Tonnen-Planierraupe …", flüsterte Blauman. Entsetzen und Wut erstickten ihn schier …

(Und an dieser entscheidenden Stelle müssen wir leider das dramatische Geschehen verlassen. Wenn Sie, liebe Wahrheit-Leser, aber wissen wollen, ob Blauman gegen den Architekten gewinnen wird, dann gehen Sie doch bitte ins Kino und sehen sich die Verfilmung an: "The Dark Knight".)

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kari

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