EU-Vertrag auf der Kippe: Kaczynski verweigert Unterschrift

Beide Kammern des polnischen Parlaments hatten den EU-Vertrag schon gebilligt. Jetzt lehnt Präsident Lech Kaczynski ab, den Parlamentsbeschluss zu bestätigen.

Stellt seine Interessen für Polen über Europa: Präsident Kaczynski (hier auf der Fußball-EM). Bild: ap

WARSCHAU taz "Der Lissabon-Vertrag ist ein totes Dokument", ist der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski überzeugt. Nach der Ablehnung der Iren werde er den bereits von beiden Kammern des polnischen Parlaments ratifizierten Vertrag nicht mehr unterschreiben, sagte er der Tageszeitung Dziennik.

Wenige Tage zuvor hatte sein Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit, den EU-Vertrag als "tot" bezeichnet. Da der Präsident selten etwas sagt, das zuvor nicht schon sein Bruder gesagt hat, ist in Polen kaum jemand über Lech Kaczynskis Nein überrascht. Schon in den Monaten zuvor hatte es einen heftigen Kampf über das Thema gegeben. Obwohl bei der Aushandlung der endgültigen Fassung des Vertragstextes Lech persönlich zugegen und Jaroslaw telefonisch zugeschaltet war, rückten sie sehr bald wieder davon ab. Denn die Stammwähler der Partei empörten sich über den angeblichen "Verrat" Polens.

Im März sagte Jaroslaw Kaczynski der katholisch-nationalistischen Tageszeitung Nasz Dziennik, dass Polen kein "Verwaltungsbezirk der EU" werden dürfe. Seine Partei, die PiS, habe daher ein Gesetz vorbereitet, um die Interessen Polens "vor einem solchen Vertrag" zu schützen. Da in Polen die Mehrheit der Bevölkerung für die EU sei, könne man von Glück reden, dass es kein Referendum in Polen gegeben habe. Sonst hätten sich die Polen noch für die Annahme der Grundrechte-Charta ausgesprochen.

Was das aus seiner Sicht für das Land bedeutet hätte, machte kurz darauf sein Bruder in einer "Rede des Präsidenten an die Nation" deutlich. Die Deutschen würden massenweise zurückkommen, ein Drittel des heutigen polnischen Staatsgebiets in Besitz nehmen und die Polen aus ihren Häusern und Wohnungen vertreiben. Außerdem müssten Priester Hochzeiten für Homosexuelle ausrichten.

Damit brüskiert Kaczynski nicht allein die EU, sondern auch die polnische Regierung. Er sei davon überzeugt, dass die Ratifizierung des Lissabon-Vertrages im Interesse Polens liege, sagte der liberalkonservative Ministerpräsident Donald Tusk. "Ich hoffe, der Präsident wird seine Ankündigung zurücknehmen", meinte er. Denn so könne "Polens Position in der Welt nicht aufgebaut werden".

Kaczynski aber will seine Ablehnung nur überdenken, falls die Iren erneut darüber entscheiden. "Allerdings", so schränkte er im Interview ein, "muss diese Entscheidung souverän gefällt werden, ohne jeden Druck von anderen EU-Staaten".

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy, der für die nächsten sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft innehat, will am 11. Juli nach Dublin reisen, um mit der irischen Regierung über einen Ausweg zu beraten. Und zu Polen sagte am Dienstag ein Sprecher von Sarkozy, man sei darüber erstaunt, dass sich Kaczynski über den Willen des polnischen Parlaments hinwegsetzen wolle.

Auch aus Brüssel kamen scharfe Worte: "Die polnische Regierung hat den Vertrag genau wie die übrigen Mitgliedstaaten unterzeichnet und hat sich damit klar dazu bekannt, ihn auch zu ratifizieren", sagte Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde Hansen. "Ich möchte den polnischen Präsidenten zudem daran erinnern, dass er einer der wichtigsten Akteure bei der Aushandlung des Vertrags war."

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist der EU-Vertrag trotz der Weigerung aus Irland und Polen nicht erledigt. "Der Vertrag macht die EU demokratischer und stärkt die Möglichkeiten aller Mitgliedstaaten. Deshalb werde ich alles daran setzen, zusammen mit der französischen Präsidentschaft den Ratifizierungsprozess voranzubringen", sagte sie der Bild-Zeitung.

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