Kommentar Kochs Wahlkampagne: Die CDU zivilisieren

Kochs Rechnung ging nicht auf. Die Hessen-CDU hat auf das falsche Thema gesetzt. Minderheiten-Bashing und Law and Order sind längst keine Selbstläufer mehr.

Monatelang war es allenfalls die Frage, ob Roland Koch weiter allein regiert oder ob sich die CDU dem Ungemach einer Koalition mit der FDP fügen muss. Jetzt erkennt der seit neun Jahren regierende Ministerpräsident, dass Hessen im Grunde ein sozialdemokratisches Land ist.

Am erstaunlichsten ist aber Kochs Vermutung, dass die miserablen Umfrageergebnisse für die CDU Ergebnis einer Medienkampagne gegen ihn sind. Schwer zu sagen, ob das dreist ist - oder nur noch verzweifelt.

Fest steht: Kochs Kampagne hat der CDU eher geschadet. "Gegen Ausländer und gegen Kriminalität" - das war immer die Allzweckwaffe konservativer Wahlkämpfer. Sie ist stumpf geworden. Warum?

Folgt man den Untersuchungen des Soziologen Wilhelm Heitmeyer, dann haben sich die Ängste und Ressentiments der Mehrheitsgesellschaft verschoben. Die klassische Ausländerfeindlichkeit ist gesunken. Gewachsen ist hingegen die Angst vor dem sozialen Absturz und auch die Verachtung der Unterschicht. Die Furcht, im Sturzflug die soziale Leiter hinunterpurzeln zu können, gehört längst zur mentalen Ausstattung der Mittelschicht. Die CDU in Hessen hat darauf keine Antwort. Sie redet noch nicht mal davon. Sie macht einen Angstwahlkampf, der die Ängste der Mitte nur am Rande berührt.

Die SPD hingegen hat die Konsequenzen aus ihrem Wahldebakel 2003 gezogen. Damals lief ihre Stammklientel, die untere Mittelschicht, scharenweise zur Koch-CDU über. Mit dem Mindestlohn hat sie ein von der Linkspartei ausgeborgtes Thema besetzt. Und das verspricht, was verlangt wird: mehr Gerechtigkeit und soziale Sicherung.

Wer die Wahl gewinnt, ist offen. CDU und FDP liegen bislang vor Rot-Grün. Es kristallisiert sich zwar eine Wechselstimmung heraus, doch die ist fragil. Und die CDU hat 1999 und 2003 jeweils kurz vor der Wahl noch zugelegt.

Doch selbst wenn Koch gewinnt, wird die Union, wenn sie bei Verstand ist, die Botschaft dieses Wahlkampfs lesen. Die Zeiten, als Minderheiten-Bashing und Law and Order Selbstläufer waren, sind vorbei. Das allein wäre kein schlechtes Wahlergebnis. Und ein Beitrag zur Zivilisierung der Union.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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