die wahrheit: "Äkspölde öhms!"

Tage des geheimnisvollen Brauchtums: Alles über die Eichsfelder Einheitsfeiern.

Dass anfangs echte Vopos angezündet wurden, ist nur ein hässliches Gerücht. Bild: ap

Bild: tom

Ein mächtiger Scheinwerfer frisst sich durch die Finsternis. Hastige Schritte dringen durch die schwarze Luft an die Ohren. Knurrend gebelltes Hundegebelfer reißt Löcher in die Dunkelheit. Da! Zwei senkrechte Beine dort hinten! Dann huscht ein kompletter Schatten durch den gelben Kegel. Scharfe Rufe stechen ins Dunkel: "Halt! Beenden Sie Ihre ungesetzliche Fluchttätigkeit oder ich mache Gebrauch von der Schusswaffe!" Es hört sich an wie "Odor ich moche Gäbroch von dor Schießwoffe!"

Schon platzen Schüsse durch die Nacht. Hohe Schreie peitschen aus dem Hintergrund steil hervor! Ein heftiger Blitz prallt an einen Zaun, an dem ein Körper schemenhaft niedersinkt! Das gelbe Licht aber wächst, eine katholische Muttergottes steigt riesenhaft empor als strahlende Dea ex machina, die das zusammengefallene Bündel Mensch ergreift und in ihren Armen verstaut wie das Jesuskindlein. Und siehe, ein Hund und dann eine Uniform mit einem Menschen darin kommen hinzu, sinken ergriffen auf ihre sechs Knie und heben ihre lange bzw. kurze Nase der göttlichen Erscheinung entgegen. Hinter der Muttergottes aber geht im Westen die Sonne auf, und weich wie ein voller Frauenpopo ertönt das Deutschlandlied aus den Kulissen ...

Langsam lösen sich die bis auf den hintersten Platz die Stühle füllenden Zuschauer aus ihrer Erstarrung. Dann bricht orkanartiger Beifall aus ihren Händen. Die Aufführung des Festspiels "Der goldene Ruf der Freiheit" traf alle Erwartungen. Seit Jahren ist das gute Stück aus der Feder des Worbiser Autors Erich Ohmfeld auf den Bühnen des Eichsfelds fett zu Hause, wenn zwischen November und Januar die Einheit Deutschlands in der südniedersächsisch-thüringischen Region zwischen Heiligen- und Duderstadt breit gefeiert wird.

Dass die Wiedervereinigung hier bis heute nicht vergessen ist, hat seine Gründe. Jahrzehntelang durchschnitt die viele Meter dicke Grenze das bis in die Wäsche katholisch gefärbte Eichsfeld; durchflossen von Leine, Wipper und Wopper und überragt vom Ohmgebirge mit dem Hohen Uhm an der Spitze, gilt dieser ländlich geprägte Landstrich, wo bis vor gar nicht langer Zeit noch mit den Händen gepflügt wurde und bis heute mit dem Mund gebetet wird, bei seinen Nachbarn als ein wenig aus der Welt gefallen, was dessen Bewohner nur enger aneinanderklettete. Die Eichsfelder "Stracken", wie man sie nennt, sind es vom Kinderhemd an gewohnt, gemeinsam in dick und dünn zu leben und allen Protestanten und Kommunisten die verlängerten Buchstaben zu zeigen. Sehr zu Recht, denn fast jede Familie kennt über die taubstumme Großtante des blinden Nachbarn einer toten Kollegin Fälle wie jenen vom Vetter des Schoßhunds einer Bekannten, der wegen seines Glaubens von der Stasi zu VEB-Stempelfarbe zerpresst wurde.

Als Anfang 1990 im Eichsfeld die letzten Demarkationslinien zwischen Ost und West kaltgemacht wurden, hofften alle, dass dieses Jahr nie zu Ende gehen möge, und jede Gemeinde feiert seither die deutsche Einheit an dem Tag, an dem bei ihr der Eiserne Vorhang in den Reißwolf gestopft wurde. Der Festverlauf gleicht sich überall wie eine große Eichsfelder mehlig kochende Kartoffel selbst:

Nach einer satten Gebetsstunde im Gemeinderat tritt der Bürgermeister auf den Rathausbalkon und eröffnet die Feierlichkeiten mit einem unmissverständlichen "Äkspölde öhms!" (hochdeutsch: "Eichsfeld ühms!"). Es folgt eine Prozession zur Kirche, die die Menschen auf ihren Füßen zurücklegen. Vor dem Kirchenportal wird eine Strohpuppe in der Uniform der Volkspolizei verbrannt; dass anfangs echte Vopos angezündet wurden, ist nur ein hässliches Gerücht, das heute, wo es in den Gemeinden keinen einzigen Volkspolizisten von damals mehr gibt, Kaffee von gestern ist. Die anschließende Messe endet mit dem mächtigen Choral "Macht aus den Zaun, den Schlagbaum macht tot", wobei alle eine Mettwurst, die sogenannte Eichsfelder Banane, hochhalten und wie bei einem Rockkonzert schwenken. Zu Hause schließt man dann zur Erinnerung an die graue Vergangenheit die Fenster, bis die Luft in der Stube gerinnt und klebrig wird.

Währenddessen zieht man alte DDR-Jeans an (Modell Hängebirne), isst Plastebrot und trinkt Kaffeeersatz aus Wiesengrün, bevor die heute wieder legalen Spezialitäten wie die gefüllte Kälberblase, der gebrannte Stipfen aus Urschelburschla und der original schmalzige Butterwurstkäse mit echten Blutbrommsen in die endlich wieder vereinten Mägen kommen. Im Anschluss dürfen die Kinder Grenzkontrolle spielen und zum Spaß ein Auto auseinandernehmen. 2003 wurde dabei unter einer Rückbank ein DDR-Bürger entdeckt, der dort seit mindestens 14 Jahren gelegen haben muss. Besonders tragikomisch: Das Auto hatte bereits 1996 ein Mann aus Bilshausen im westlichen Eichsfeld gekauft, der Mann hätte also längst in Freiheit sein können!

Aber die Freiheit gibt es eben nicht umsonst, das geht allen in den Kopf, wenn sie spätabends das Festspiel besuchen. Das reicht dann für ein ganzes Jahr.

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kari

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