die wahrheit: Der Mond ist ein Wald

Der große Übersetzer und Freigeist Wilhelm Schlenz ist tot. Eine Würdigung.

Der junge Wilhelm Schlenz im Jahr 1947 auf der einzigen überhaupt von ihm existierenden Fotografie. Bild: ap

Er gehörte zu den bekanntesten seiner Zunft: Wilhelm Schlenz, Übersetzer und Freigeist. Sei es die Nachdichtung von Dantes "Göttlicher Komödie", die unter dem deutschen Titel "Wirklich wichtige Sachen" veröffentlicht wurde, sei es seine Neuübersetzung von Dostojewskis "Schuld und Sühne" als "Sprechende Ente im Tank" oder auch Kierkegaards "Krankheit zum Tode" als "Der Mond mit den Augen einer Ampel gesehen", die Übersetzungsarbeit des großen Schlenz gilt als einmalig.

Tatsächlich hat Schlenz sein Handwerk Mitte der Fünfzigerjahre an der Universität Darmstadt studiert. "Viel beibringen konnten die mir aber nicht", äußerte er sich später zu seinen Studienerfahrungen. "Wir haben zum Beispiel gelernt, dass das Wort 'Kranich' bei den Lappen 'Vogel, der so groß ist wie ein Mensch' bedeutet. Für mich war sofort klar, dass 'Lappe' dann 'Mensch, der so groß wird wie ein Eichhörnchen' heißt." Es waren seine ersten eigenständigen Gehversuche, und schon da hatte Schlenz seinen ganz persönlichen Stil gefunden.

Konzentrierte er sich zu Beginn der Sechzigerjahre mit "Estland als Dose" und "Stalin - Zahnbürste des Mittelalters" noch auf die Übertragung von Sachbüchern, wechselte er 1964 zur Übersetzung von großer Literatur. "Ich interessiere mich für sanfte Erdbeeren und die Kastanien des Willens genauso wie den Wissens- und Erkenntnisstand von frühreifen Tomaten", lautet beispielsweise seine Übersetzung der ersten Worte aus "De Bello Gallico" von Julius Cäsar, dessen Werk er mit folgenden Worten enden lässt: "Er sollte diesen Satz 30 Jahre später noch einmal wiederholen, nachdem er fünf Tage in einem Aktenschrank der Reinigungsfirma 'Blank' eingeschlossen war."

In den nächsten Jahren folgten Übertragungen von Giovanni Boccaccios "Decamarone" als "Die Einsamkeit der Schuhe", August Strindbergs "Fräulein Julie" als "Früher wusste ich nie, was ich werden wollte. Heute bin ich ein Zoo" sowie Oscar Wildes "Das Bildnis des Dorian Gray" unter dem Titel "Wörter, die mit 'G' anfangen und nicht in eine Schublade passen". Kritik an seinem Übersetzungsstil, dem zuweilen Ungenauigkeiten und stark individuell geprägte Interpretationen nachgesagt wurden, widersprach er mit einem einfachen: "Ach was, ich bin da mindestens zweimal drübergegangen."

Zu Beginn der Achtzigerjahre widmete sich Schlenz Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", das er nach Jahren der Übersetzungsarbeit mit den Worten "Ich habe das Gefühl, dass das alles wieder nur unnötig viel Geld gekostet hat" wiedergab. Schlenz wurde die Arbeit an Prousts umfangreichem Werk schließlich zu langweilig, und er verwarf das Projekt wieder. Erhalten sind heute lediglich die Anfangskapitel mit dem Titel "Mimosenhalma in einer Gruppe Schnellbeleidigter".

In den Neunzigerjahren wandte Schlenz sich schließlich der Theaterliteratur zu. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er Shakespeares "Macbeth", das bei ihm den Titel "Erdbeeren als Zahlungsmittel im Spanien des 17. Jahrhunderts" trägt. In der Version von Schlenz kommt es nach der Ermordung von Duncan zwischen Macbeth und seiner Frau zu folgendem Dialog: "Lady Macbeth: 'Ich bin wie ein Fisch und habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.' Macbeth: 'Ich kann auch nur noch draußen denken.' Lady Macbeth: 'Nie wieder werde ich leicht und beschwingt sein wie leise Schnürsenkel.' Macbeth: 'Mein Leben ist ein Geweih, besonders mittwochs.' (beiseite gesprochen) 'Lauter Raben, zu laut für die Ohren einer kleinen Himbeere.' (dann zu Lady Macbeth) 'Der Mond ist ein Wald. Die Taschenuhr ist die Nacht.' (Anschließend versucht er, in einem nahe gelegenen Teich ein Nudelsieb zu versenken, was ihm auch gelingt. Schnell ab.)"

In seinen letzten Tagen begann Schlenz vom Deutschen ins Deutsche zu übersetzen: "Man glaubt gar nicht, wie fehlerhaft manche Autoren ihre Werke verfassen", erklärte er dazu. "Es sind vor allem die Großen, die große Fehler machen. Günter Grass und Heinrich Böll kann man praktisch ganz neu schreiben." Zu Thomas Manns Roman "Joseph und seine Brüder" findet sich in seinen Unterlagen folgende Neuübersetzung: "Nein, ich bin kein Torwart! Wer hat das jemals behauptet. Wer hat das gebeichtet? Der Tankwart, ein Pferd, die Tischdecke?"

Wilhelm Schlenz, dessen einziges Hobby das Kunst- und Turmspringen war, konnte seine letzte Arbeit nicht mehr vollenden. Der gebürtige Remagener starb im Alter von 79 Jahren am 31. Oktober 2007. Zurück blieb sein Eintrag zu Goethes "Faust", den er mit folgenden auf sich selbst gemünzten Worten wiedergab: "Alles, was wir brauchen, sind die wichtigen Dinge in einer Herrenhandtasche."

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