Streit über Arbeitslosengeld I: Müntefering gibt Rätsel auf

"Kurt Beck hat die Mehrheit hinter sich", sagte Vizekanzler Müntefering nach dem Krisengespräch mit dem Parteichef. Welchen Zug plant er als nächsten?

"Ich war meistens ein Alleiner": Franz Müntefering

Es gibt Tage, die bringen im Detail so viel Klarheit, dass das Ganze dadurch erst recht unklar wird. Die SPD hat einen solchen Tag durchlebt, und an dessen Ende wusste sie, dass der Erkenntnisgewinn sie nicht glücklich machen wird.

Als Kurt Beck am Dienstagvormittag allein vor die Tür des Gästehauses der rheinland-pfälzischen Landesregierung in Mainz tritt, ist schon in diesem Bild das Ergebnis des zweistündigen Krisentreffens mit Franz Müntefering abzulesen: Der SPD-Vorsitzende hat den Kampf mit dem Arbeitsminister über eine längere Zahlung des Arbeitslosengeldes I gewonnen. Es ist an ihm, dieser klaren Entscheidung Ausdruck zu verleihen.

Beck spricht von "großer Einigkeit" zwischen ihm und Müntefering in acht von neun Punkten eines sozialpolitischen Gesamtpakets, das der SPD-Parteitag Ende Oktober verabschieden soll. Der Parteichef erklärt, dass in einem Punkt - der Verlängerung des Arbeitslosengeldes I - keine gemeinsame Lösung erzielt werden konnte. Beck kündigt an, dass jetzt der Parteivorstand das Sagen habe. Dieser werde am kommenden Montag über das von ihm präferierte Modell entscheiden. "Das wird dann von allen Beteiligten akzeptiert."

Man muss diesen Politsprech mit pfälzischem Unterton ins Deutsche übersetzen, um die Dramatik des Tages nachvollziehen zu können. Da verweigert der Arbeitsminister Müntefering seinem Parteichef einen Kompromiss in einer arbeitsmarktpolitischen Fachfrage. Da überhöht der frühere SPD-Chef Müntefering diese Fachfrage zum Symbol der Agenda 2010. Da ist er bereit, sich in dieser Frage vom Vorstand der eigenen Partei und vom Parteitag niederstimmen zu lassen. Und das soll dann "von allen Beteiligten akzeptiert" werden? Alles geht dann weiter seinen sozialdemokratischen Gang?

Genau an diesem Punkt schlägt die Klarheit des Tages um, der Ausgang des Machtkampfes erscheint plötzlich unklarer denn je. Diese Unsicherheit wird durch eine Frage genährt, die fast alle in der SPD umtreibt, auch den Vorsitzenden: Was treibt diesen Franz Müntefering? Warum zieht er wieder und wieder in einen Machtkampf mit dem Parteichef?

Oder hat Müntefering diesen Kampf etwa gerade beendet?

Niemand in der SPD-Führung weiß so recht eine Antwort darauf. "Es war klimatisch und in der Sache ein sehr gutes Gespräch", verkündet Beck in Mainz. Müntefering soll dem Parteivorsitzenden zugesichert haben, das Votum des Parteivorstands am Montag zu akzeptieren und dann stillzuhalten. Den Streit wolle er nicht auf dem Parteitag austragen, habe der Vizekanzler versprochen - so jedenfalls erzählen sie es im Beck-Lager.

Müntefering selbst gibt sich an diesem Krisentag erstaunlich aufgeräumt. Nach dem Treffen in Mainz ist er zu einem lange verabredeten Redaktionsbesuch zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung gefahren. Anschließend hält er vor einem Hotel in Frankfurt am Main eine kleine Pressekonferenz ab. Lächelnd räumt er seine Niederlage ein. "Ich hatte keine Mehrheit", sagt er. "Das war aber auch nicht zu erwarten. Kurt Beck hat die Mehrheit hinter sich."

Müntefering wird auch gefragt, ob er persönliche Konsequenzen ziehe. "Ich bin 67, ich habe da keine Probleme mehr", antwortet er. Nein, einen Rücktritt habe er in den letzten Wochen nicht einmal angedeutet. Er sei gerne Minister und gerne Vizekanzler. Er wolle weiterhin eine gute Sozialpolitik machen. "Wenn die CDU und meine eigene Partei aber anderer Meinung sind als ich, dann kann ich das als Minister nicht völlig ignorieren."

Akzeptiert hier einer schon die neuen Machtverhältnisse oder plant er nur seinen nächsten, noch unbekannten Zug?

Franz Müntefering ist der Fremde der deutschen Politik. Selbst in seiner eigenen Partei würde kaum jemand behaupten, ihn gut zu kennen. Müntefering ist ein Einzelgänger. "Ich war meistens ein Alleiner", sagt er über sich selbst. "Da ist eine gewisse Zurückhaltung bei mir."

Das bietet Stoff für Legenden. Müntefering umgibt mittlerweile eine besondere Aura. Bei ihm hält man alles für möglich. Er gilt als großer Stratege, der immer zwei Schritte vorausdenkt. Und er ist verschwiegen. Manche Sozialdemokraten sagen, der Franz sage sich selbst morgens vor dem Spiegel nicht die ganze Wahrheit, aus Angst, es könnte etwas durchsickern.

Die einen in der SPD-Führung behaupten, Müntefering ginge es um sein Lebenswerk, deswegen verteidige er so vehement die Agenda 2010 und sei gegen eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes. Die anderen sagen, er wolle die restlichen zwei Jahre der großen Koalition nicht als lame duck, als lahme Ente durch die Gegend laufen. Sein hartnäckiger Kampf gegen Beck, von dem er nie überzeugt war, ihn gewinnen zu können, sei ein Kampf für seine Überzeugungen - nur so könne er schließlich seine starke Stellung als Vizekanzler und Minister erhalten. Dritte wiederum glauben, Müntefering akzeptiere Kurt Beck als Parteichef nicht. Deswegen zeige er ihm immer wieder, dass er, Müntefering, es angeblich besser weiß - bei der Rente mit 67, beim NPD-Verbot, bei der Zusammenarbeit mit der Linkspartei und eben jetzt bei der Verlängerung des Arbeitslosengeldes I.

Allen drei Gruppen in der SPD-Führung ist gemeinsam, dass sie nicht sicher sind, ob ihre Theorie stimmt. Vor ziemlich genau zwei Jahren ist Müntefering als SPD-Chef zurückgetreten, weil er seinen Kandidaten Kajo Wasserhövel nicht als Generalsekretär durchsetzen konnte. Niemand hatte diesen Schritt geahnt und schon gar nicht vorhergesagt. Was, wenn jetzt wieder so etwas passiert?

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