Kommentar Agenda 2010: Die Fassade retten

SPD-Chef Beck will den Vorschlag zur längeren ALG-I-Bezugsdauer nicht als Abkehr von der Agenda 2010 verstanden wissen, sondern als Weiterentwicklung. Es geht um die Identität der Partei.

Der Tag der Deutschen Einheit bot Gelegenheit für feierliche Bekenntnisse. So auch für Kurt Beck, den Vorsitzenden der SPD. Anlässlich seiner Laudatio zur Verleihung des "Quadriga"-Preises an Gerhard Schröder versicherte Beck seinem Exvorsitzenden feierlich, er stünde zum Reformwerk der Agenda 2010. Sein Vorschlag zur längeren Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes (ALG) I sei nicht als Abkehr von der Reformpolitik zu verstehen, sondern als deren Weiterentwicklung. Für Becks Genossen Müntefering sieht das anders aus. Er sieht im Projekt verlängerter Bezugsdauer den Beginn des Endes der Schröderschen Reform.

Ein Machtkampf? Sicher. Der Einsatz in diesem Kampf ist hoch. Es geht um das Selbstverständnis der Sozialdemokraten, um ihre Identität als Partei. Daher die vorsichtige Gangart des Vorsitzenden Beck, seine Betonung der Kontinuität zwischen seiner und der Schröderschen SPD. Soll denn der so überaus schmerzensreiche, mit dem Schwund an Mitgliedern wie an Vertrauen verbundene Prozess der Reformen Hartz I-IV ein Irrweg gewesen sein? Sollen die Zumutungen im Zeichen der Doktrin von "Fördern und Fordern" umsonst erlitten, sollte am Ende gar der Gottseibeiuns aus Saarbrücken Recht behalten haben, der die generelle Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I als die größte aller Ungerechtigkeiten der "Reformen" angeprangert hatte?

Umgekehrt sieht Müntefering den Beckschen Vorstoß nicht als nebensächliche Korrektur an, die mit der Hauptsache, der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum ALG II, in keinem Zusammenhang stehe. Er sieht die Schrödersche Reform als Ausdruck einer zeitgemäßen sozialdemokratischen Politik, an der gemessen Becks Vorstoß ein ideologischer Rückfall sei. Die SPD habe es nicht nötig, "sich nach vorne zu öffnen", wie es die Linke Andrea Nahles so unübertrefflich formulierte. Die Agenda 2010 sei das Zukunftsprojekt gewesen.

Angela Merkel hört das gern, nicht aber die SPD-Mehrheit. Sie will die Fassade der Kontinuität zur Schröder-SPD und gleichzeitig eine Abkehr von den krassesten Ungerechtigkeiten der Agenda 2010. Dieser Haltung ebnet Beck den Weg.

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