die wahrheit: Der arme Helmut Schmidt

Man muss dem Herrn keinen Lorbeerkranz winden. Die Friedensbewegung verhöhnt, die Grünen verpönt und die Landschaft mit Pershings verschönt...

Schmidtfoto Bild: dpa

Man muss dem Herrn keinen Lorbeerkranz winden. Die Friedensbewegung verhöhnt, die Grünen verpönt und die Landschaft mit Pershings verschönt - all das ist Helmut Schmidt. Doch nun ist der Mann schlohweiß, 88 Jahre alt und sein Geist im verdienten Ruhestand. Sollte man da nicht Milde walten lassen, Art. 1 des Grundgesetzes anwenden und ihm seine Menschenwürde gönnen? Ihm das bisschen Respekt zollen, das er allein schon aufgrund jener großartigen Empfehlung verdient, die er anno 1980 an den "visionären" Willy Brandt adressierte: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen" - auch das ist Helmut Schmidt, und dafür, wenn auch nur dafür, muss man ihn ein wenig gern haben.

Das Hamburger Wochenblatt Die Zeit scheint anderer Meinung zu sein. Vor einigen Wochen hat es sein Magazin Leben aufgemöbelt und kredenzt auf dessen letzter Seite seitdem eine Art Gute-Nacht-Bonbon für Bulimiker und solche, die es werden wollen: "Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt" heißt der Zirkus, den Chefredakteur Giovanni di Lorenzo mit seinem Herausgeber anstellt: Fünf-Minuten-Interviews, in denen ein Greis vorgeführt wird, dessen Dachstuhl mittlerweile ganze Vogelscharen beherbergt und aus dem es entsprechend wunderlich herauspfeift.

Es ist zum Weghören: Die Sozialdemokraten brauchen keinen Vorsitzenden, sondern einen Führer; in Frankreich gilt neuerdings das Verhältniswahlrecht, denn irgendetwas muss dort ja "zwangsläufig linksextreme und rechtsextreme Parteien entstehen" lassen; und "genauso wünschenswert" wie "die Einhaltung der Menschenrechte" ist es, "dass auswärtige Mächte sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines Staates einmischen". In Moskau zum Beispiel hören sie das sicher sehr gern.

Von Spatzen und Meisen grausam bepickt, flüchtet der wirre Geist in entlegene Gefilde: G-8-Gipfel sollten "weit abgelegen" stattfinden, "auf einer Insel" oder "in einem Tal zwischen hohen Bergen", am besten vermutlich auf St. Helena, einer Bohrinsel oder bei den Tibetern, dann hätten sich wohl auch die leidigen Proteste erledigt.

Überhaupt, diese Demonstranten, die haben den alten Herrn schon "einigermaßen befremdet": "Als ich ein junger Mann war", lässt man den welken Schmidt am 7. Juni leitartikeln, "hätte mich eine Demonstration gegen die Nationalsozialisten ins KZ gebracht. Da bin ich auf solche Ideen nicht gekommen. Heute würde ich ebenso wenig darauf kommen " Weil Uropa Helmut sonst ins Konzentrationslager gebracht wird?

Es geht noch erbärmlicher: Wer sich an der gerontologischen Zirkusnummer auch audiovisuell berauschen will, kann dies auf "Zeit online" tun. Dort nämlich gibts Mitschnitte von den Gesprächen zwischen di Lorenzo und seinem Äffchen zu sehen. "Yournalisten wie Sie", gluckst das possierliche Tierchen, sind "mitschuldig an der Schwarzmalerei", man müsse "immer aufpassen, dass die Yournalisten auch ihr Fett abkriegen". Die Zoobesucher gackern beflissen, und der Chefredakteur - der wirkt, als rede er mit einem fünfjährigen Autisten - grient verstohlen in sich hinein. Ob einer wie Kurt Beck Kanzler werden könne, da ihn doch niemand kenne. Nun, entgegnet Schmidt, Popularität allein sei nichtssagend. "Es gibt Leute, die einen großen Namen haben als - Talkmeister. Jowanni, was überhaupt nicht sagt, dass Sie n guter Politiker wären."

Was hat der Mann dem "lieben Jowanni" bloß getan? Wie auch immer, di Lorenzo sollte ein Einsehen haben und den siechenden Geist in Ruhe und Würde von uns gehen lassen. Ausstopfen und herumzeigen können sie ihn in der Zeit dann immer noch.

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kari

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