Migrationspakt aus ExpertInnen-Sicht: Was wirklich im Vertragstext steht

Das UN-Abkommen ist umstritten. Rechte verbreiten Falschmeldungen darüber. Der vollständige Vertragstext – kommentiert von ExpertInnen für Migration.

Schwarze Würfel mit weißen Buchstaben ergeben das Wort "Migrationspakt", sie liegen auf der blauen UN-Flagge

Rechte werten den UN-Migrationspakt als Beweis für eine Verschwörung Foto: imago/Christian Ohde

BERLIN taz | Alle Länder der Welt hatten sich geeinigt, mit Ausnahme der US-Regierung von Donald Trump. Wer sich daran erinnert, wie unendlich schwierig ein solcher globaler Konsens etwa beim Klimaschutz ist, der mag eine Ahnung davon bekommen, welche diplomatische Leistung hinter dem UN-Pakt für das Epochenthema Migration steht. Diese war „schon immer Teil der Menschheitsgeschichte“, heißt es in der Präambel des Paktes. Doch ein globales Regelwerk für sie fehlt, bis heute. Die Verhandlungen dafür liefen seit mehr als zwei Jahren, ohne dass die Medien oder die Öffentlichkeit daran größeres Interesse gezeigt hätten. Das hat sich nun geändert. Vor der Konferenz im Dezember in Marrakesch, auf der der „Globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ verabschiedet werden soll, nutzen populistische Kräfte in vielen Ländern den Pakt zur politischen Mobilisierung – mit teils vollkommen falschen Behauptungen und Verschwörungstheorien. Die Bundesregierung verteidigt den Pakt, weil er ein wichtiges Instrument sei, um globale Probleme zu lösen, doch selbst Teile der CDU wollen den Pakt kippen – und die AfD will mit dem Thema ihren EU-Wahlkampf betreiben.

Die taz hat WissenschaftlerInnen und andere Fachleute um ihre Beurteilungen des Paktes und der kursierenden Behauptungen gebeten. Hier kurze Zusammenfassungen der Einschätzungen, durch Klicken auf die Titel kommen sie zu den ausführlichen Versionen:

Eine historische Chance: Anlass für Verschwörungstheorien bietet der Pakt keine, sagt Steffen Angenendt von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Stattdessen sei er einer einmalige Gelegenheit, Migration so zu regeln, dass alle Beteiligten von ihr profitieren.

Die Regelung der Rechte: Einzelne Staaten können das grenzüberschreitende Phänomen der Migration nicht allein regeln, sagt die Wissenschaftlerin Petra Bendel – und ein globales Regelwerk zu Migration fehlte bislang. Der Pakt biete die Chance, die Interessen von Herkunfts- und Zielländern zusammen zu bringen

Nicht das Ende, sondern der Anfang des Prozesses: Der Pakt ist das Ergebnis einer neuen Verknüpfung der internationalen Debatten zu Migration und Entwicklung, sagt der Wissenschaftler Stefan Rother. Er sieht den Pakt als Aufforderung, „das Beste“ aus der Migration zu machen.

Die Zivilgesellschaft saß mit am Tisch: Samir Abi aus Togo hat als Vertreter der afrikanischen Zivilgesellschaft an den UN-Verhandlungen zum Migrationspakt teilgenommen. Behauptungen, diese seien im Geheimen abgelaufen, kann er nicht nachvollziehen: An dem Verfahren seien alle Staaten ausführlich beteiligt worden. Das Recht auf Mobilität aller Menschen wollten viele Staaten aber nicht anerkennen.

Auf etwa 260 Millionen schätzt die UN die Zahl der Menschen, die 2017 als MigrantInnen nicht in dem Land leben, in dem sie geboren sind. Diese Zahl wird in Zukunft weiter wachsen.

Um für die Migration ein internationales Regelwerk zu schaffen, haben die UN seit 2016 in einem aufwändigen Verfahren den „Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ ausgehandelt.

Bis auf die USA hatten zunächst alle 192 verbleibenden UN-Mitgliedsstaaten angekündigt, dem Pakt zuzustimmen. Im Juli jedoch scherte auch die Regierung von Ungarn aus, seitdem sind weitere meist rechtspopulistisch regierte Staaten hinzugekommen.

Auf einer UN-Konferenz am 10. und 11. Dezember in Marrakesch (Marokko) soll der Pakt von den verbleibenden etwa 180 Ländern verabschiedet werden.

An gemeinsamer Verantwortung festhalten: Die Erwartungen an den Pakt sind so unterschiedlich, dass kaum absehbar ist, welche Folgen er in der Praxis haben wird, sagt Ramona Lenz von der Hilfsorganisation medico international. Dennoch sei es wichtig, den Pakt als symbolisches Bekenntnis zu den Rechten von Migrant_innen zu verteidigen.

Grundrechten Geltung verschaffen: Der Pakt geht kaum über das hinaus, was längst internationales Recht ist, sagt der Jurist Maximilian Pichl. Doch die vorgesehenen Prüfmechanismen bieten immerhin die Chance, Rechte von MigrantInnen künftig wirksamer durchzusetzen.

Der Pakt soll die Kraft der Migration einhegen: Es wäre überaus wünschenswert, wenn Menschenrechte – einklagbar! – an den Grenzen der Nationalstaaten Einzug erhielten und Bürgerrechte endlich zu Menschenrechten würden, sagt der Forscher Helmut Dietrich. Doch dies leistet der Pakt schon deshalb nicht, weil er gar nicht zwischen Staaten und MigrantInnen, sondern nur zwischen den Staaten untereinander ausgehandelt wurde.

Und hier geht es zu einer vollständigen Fassung des Vertragstextes.

Einleitung und Inhalt: Christian Jakob. Umsetzung: Juliane Fiegler.

Eine Weltkarte, auf der viele kleine Pfeile von einigen zu anderen Ländern zeigen, einige Länder rot eingefärbt sind und ein paar blaue Kreise eingezeichnet sind

Die größten Migrationskorridore zwischen einzelnen Staaten Grafik: infotext-berlin.de

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Steffen Angenendt: Eine historische Chance

In vielen Ländern behaupten Kritiker, der Pakt räume Migranten aus aller Welt weitgehende Rechte zur Migration ein und beseitige das Recht souveräner Staaten, Migrationsfragen selbst zu regeln. Es drohe eine Umsiedlung. Das ist Unsinn. Einige Staaten, die den Pakt in den vergangenen Jahren mitverhandelt haben, sind bereits auf den populistischen Zug aufgesprungen und haben angekündigt, den Pakt nun doch nicht unterzeichnen zu wollen.

Steffen Angenendt leitet die Forschungsgruppe Globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und arbeitet zu Migration und Demographie.

Die Abkehr dieser Staaten wird die Verabschiedung des Paktes nicht verhindern. Gleichwohl ist eine sachliche Auseinandersetzung jetzt dringend nötig, weil der Wert des Paktes ganz wesentlich von seiner Umsetzung abhängen wird, also ob die Regierungen die Chancen, die der Pakt zur Zusammenarbeit bietet, auch tatsächlich nutzen. Tun sie das nicht, würde eine historische Chance verpasst, zu einer wirksameren und nachhaltigeren Steuerung der Wanderungen zu kommen.

Der Pakt ist nicht aus heiterem Himmel gefallen. Er war vielmehr eine Reaktion auf die starken Zuwanderungen der Jahre 2015 und 2016 nach Europa, denen gegenüber die EU-Staaten mehr oder weniger hilflos waren. Die betroffenen Staaten – aber auch viele Regierungen in anderen Weltgebieten – haben daraus den Schluss gezogen, dass Wanderungsbewegungen nicht mehr allein national gesteuert werden können, sondern dass dazu eine dauerhafte und auf Vertrauen beruhende Zusammenarbeit zwischen den Herkunfts-, Transit- und Aufnahmestaaten erforderlich ist. Die UN-Staaten haben sich deshalb 2016 in der New York Declaration darauf geeinigt, einen Prozess einzuleiten, der eine bessere Zusammenarbeit sicherstellt.

Zu dem Wunsch nach einer wirksamen Steuerung kam noch die wissenschaftlich inzwischen gut belegte Erkenntnis, dass sichere, geregelte und legale Migration im Interesse aller Beteiligten liegt – der Herkunftsländer, der Zielländer und der Migrantinnen und Migranten selbst. In den vergangenen Jahren ist immer deutlicher geworden, wie sehr die Industriestaaten auf Zuwanderung angewiesen sind, um ihre Produktivität, ihren Wohlstand und ihr Versorgungsniveau zu halten, und wie wichtig andererseits die Geldtransfers und Investitionen der Migrantinnen und Migranten für die Heimatländer und für die Verbesserung der Lebenschancen der Familien in der Heimat und mithin für Entwicklung sind.

Diese Erkenntnisse sind in die 23 Ziele des Paktes eingeflossen. Dazu gehört ausdrücklich auch das Ziel, irreguläre Migration und ihre negativen Wirkungen auf alle Beteiligten zu reduzieren – unter anderem durch das Ausstellen von fälschungssicheren Pässen, die Bekämpfung des Menschenschmuggels und des Menschenhandels, durch eine bessere Zusammenarbeit der Staaten bei Grenzkontrollen und bei der Rückübernahme und Reintegration von Migrantinnen und Migranten, die das Aufnahmeland wieder verlassen müssen.

Der Migrationspakt stellt keinen völkerrechtlich bindenden Vertrag dar, sondern eine Absichtserklärung, über deren Umsetzung allein die Unterzeichnerstaaten entscheiden. Sie können ihn umsetzen oder nicht. Der Pakt ist daher nicht mehr und nicht weniger als ein Gerüst für eine bessere und wirkungsvollere Migrationspolitik. Dazu bekräftigt der Pakt noch einmal rechtliche Prinzipien, die die UN-Staaten ohnehin befolgen müssen, weil sie in völkerrechtlichen Verträgen festgelegt sind. Menschenrechte gehören selbstverständlich dazu, zudem die Förderung von Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungsführung.

Wichtig ist der Pakt vor allem, weil er den Unterzeichnerstaaten praktische Unterstützung bei der Zusammenarbeitet bietet, insbesondere beim Aufbau von Verwaltungsstrukturen, um die Migration besser zu steuern. Zudem hält der Pakt die Staaten dazu an, sich regelmäßig über ihre Fortschritte bei der Umsetzung des Paktes auszutauschen und darüber zu berichten. Auch diese Berichterstattung ist freiwillig. Sie kann dazu beitragen, dass gelungene Beispiele für Migrationspolitik Schule machen und dass schlechte Ansätze künftig vermieden werden.

An keiner Stelle aber – und das kann nicht deutlich genug gesagt werden – greift der Pakt in das Recht von Staaten ein, zu bestimmen, wem sie Zugang zu ihrem Staatsgebiet gewähren. Auch wenn es immer wieder behauptet wird, fordert der Pakt keine Ausweitung der Migration. Im Pakt steht ausdrücklich, dass die Staaten weiterhin ihre eigenen Regeln aufstellen für die Einreise, die Niederlassung und den Zugang zum Arbeitsmarkt und darüber souverän entscheiden. Auch wenn die Staaten den Pakt unterzeichnen, werden sie die Migrationspolitik nach ihren eigenen Zielen und Bedürfnissen gestalten. Wenn dazu das Ziel gehört, die Zuwanderung auszuweiten, bietet der Pakt auch dafür einen Rahmen.

Nüchtern betrachtet bietet der Pakt also keinen Anlass für Verschwörungstheorien. Die Regierungen sollten den Pakt unterzeichnen, weil er die Chance bietet, eine nachhaltige und wirksame Migrationspolitik zu verfolgen. Dann aber beginnt erst die eigentliche Arbeit: Die Festlegung der eigenen migrationspolitischen Ziele, deren Umsetzung und die Kontrolle der Ergebnisse.

Verfolgen die Regierungen das mit dem gebotenen Nachdruck, wird der Pakt die Handlungsfähigkeit der Regierungen nicht verringern, sondern verstärken und der Pakt wird dazu beitragen, dass Migration künftig sicherer, geordneter stattfindet und positive Folgen für alle Beteiligten hat. Schließlich sind praktische Erfolge bei der Reduzierung der irregulären Wanderung und bei der Nutzung der Entwicklungspotenziale von Migration der beste Weg, den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen.

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Petra Bendel: Die Regelung der Rechte

Der Pakt für Migration ist ein Kooperationsrahmen. Er schafft ein globales Regelwerk zur Migration, in dem die unterschiedlichen Interessen von Herkunfts-, Transit- und Aufnahmestaaten zusammenkommen – bei der Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeiter und ihrer Familienangehörigen („Wanderarbeiterkonvention“ von 1990, in Kraft 2003) war dies nicht gelungen. Er ist somit als diplomatischer Erfolg anzusehen. Denn einzelne Staaten können ein per definitionem grenzüberschreitendes Phänomen nicht allein regeln.

Inhaltlich regelt der Pakt den Schutz der Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Bekämpfung von Menschenhandel, von Ausbeutung und Diskriminierung der Migrantinnen und Migranten, die Bekämpfung negativer Migrationsursachen, die Sicherung von Grenzen und den Austausch von Daten und Information. In vielen Fällen bestärkt der Pakt damit bereits vorhandene Normen und Rechte – die Menschenrechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert sind. Er fordert deren Einhaltung von allen ein und macht sie zur Grundlage der Kooperation.

Petra Bendel ist Professorin für Politische Wissenschaft an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und Mitglied im Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR)

Da der Pakt die Interessen von Herkunfts- wie von Zielländern berücksichtigt und die Rechte von Migrantinnen und Migranten unterstreicht, birgt er die Chance einer Triple-Win-Situation. Für die Herkunftsländer betont er die Notwendigkeit, negative Migrationsursachen zu minimieren, aber sie auch bei der Reintegration rückkehrender Migranten zu unterstützen. Für die Transit- und Aufnahmestaaten fördert er Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt, und den Migrantinnen und Migranten selbst will er den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, Informationen und Rechten erleichtern.

Da er dazu finanzielle Unterstützung sowie Unterstützung durch Know How, etwa beim Aufbau von Verwaltungen zur Migrationssteuerung in Aussicht stellt, gibt er den Staaten positive Anreize zur Erfüllung dieser Aufgaben. Zugleich will er einen Überprüfungsmechanismus schaffen, mittels dessen über regelmäßige Berichte gute Praxisbeispiele gefördert werden können und Anreize geschaffen werden, um den Pakt mit weiteren Inhalten zu füllen.

Ein Risiko besteht in dem Ausscheren einzelner Staaten. Hier könnte ein Dominoeffekt losgetreten werden. Die in den Verhandlungen erzielte Vertrauensbildung unter Herkunfts-, Transit- und Zielstaaten mit ganz unterschiedlichen Interessen könnte damit unterminiert werden. Ein zweites Risiko besteht in der Implementation. Es steht zu hoffen, dass genügend Anreizsysteme da sind, um die Ideen des Paktes auch umzusetzen.

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Stefan Rother: Nicht Ende, sondern Anfang des Prozesses

Die nun etablierte Formulierung „Migrationspakt“ verkürzt, worum es geht: um eine spezifische Form von Migration, die angestrebt wird, nämlich eine sichere, geordnete und reguläre. Diese Formulierung kommt nicht von irgendwoher sondern von den Nachhaltigkeitszielen der UN (SDGs). Das ist wichtig zum Verständnis der Genese des Compacts, denn dieser fußt auf rund eineinhalb Jahrzehnten internationaler Diskussionen zum möglichen Zusammenhang zwischen Migration und Entwicklung, die als ein „neues Mantra“ der Entwicklungspolitik bezeichnet wurde. Diese Diskussionen haben den Compact erst möglich gemacht.

Dies wird auch etwa in Artikel 6 deutlich gemacht.

Ein zentrales Forum ist das Globale Forum für Migration und Entwicklung (GFMD), bei dem Deutschland für 2017 und 2018 mit Marokko den Vorsitz hat. Beim Berliner GFMD im Juli 2017 wurde bereits offen und transparent über den geplanten Compact diskutiert, viele der plötzlichen Kritiker hätten sich also bereits damals quasi „vor der Haustür“ informieren können. Auch war das gesamte Verhandlungs-Verfahren überdurchschnittlich transparent, Live-Streams inklusive. Migrantenorganisationen wurden angemessen eingebunden. Dazu zählt auch die deutsche Zivilgesellschaft, die unter der Koordination von VENRO, dem Bundesverband entwicklungspolitischer und humanitärer Nichtregierungsorganisationen in den vergangenen zwei Jahren mehrere Konsultationen durchgeführt hat. PolitikerInnen und Medien wären willkommen gewesen.

Vollends absurd ist, dass auch nach all den „Das ist der Migrationspakt“-Beiträgen in deutschen Medien, dieser immer noch überwiegend unter dem Aspekt Flucht/Geflüchtete diskutiert und entsprechend bebildert wird. Dabei steht in Artikel 4 ausdrücklich, dass sich der Pakt auf Migranten bezieht.

In erster Linie geht es um Arbeitsmigration – der derzeit ebenfalls international diskutierte Compact für Geflüchtete vereint dagegen eine Vielzahl von teils sehr praktischen Maßnahmen, allerdings mit geringer Verantwortlichkeit der Staaten.

Man kann debattieren, ob der Compact wirklich das erste globale Abkommen zu Migration ist. Neben mehreren Konventionen der ILO gibt es auch die UN-Konvention zum Schutz von Wanderarbeitern und ihrer Familien – eine Grundrechtskonvention, die allerdings kein einziges größeres Zielland von Migration unterzeichnet hat, auch die EU-Staaten nicht. Diese bindende Konvention wird im Compact nur verschämt in einer Fußnote erwähnt, fast wie ein peinlicher Onkel bei einer Familienfeier. Der Trend, statt auf das „hard law“ einer Konvention auf das „soft law“ eines Compacts zu setzen, ist jedenfalls diskutabel. Das pragmatische Argument dafür ist, dass man nur so möglichst viele Staaten an einen Tisch bekommt.

KritikerInnen behaupten, der Compact idealisiere Migration und verharmlose die damit verbundenen Probleme, etwa die Formulierungen der Punkte8, 13 und 14 des Paktes. Ich kann hier keine Idealisierung erkennen: Migration ist nachweislich eine „Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung“ – aber eben nicht zwangsläufig. Hier wäre ein „kann …darstellen“ wohl angebrachter gewesen.

Auch die Übersetzung von „governance“ als „Steuerung“ist nicht gelungen – „governance“ ist ein wesentlich umfassenderer und potentiell inklusiverer Begriff, der auch die Mitwirkung von MigrantInnen einschließen kann. Steuerung reduziert diese dagegen auf die bloße Rolle als Objekte von Politik. Doch solche Kritikpunkte beiseite gelassen, sind diePunkte 8 bis12 kein idealistisches Wunschbild sondern eine durchaus treffende Zustandsbeschreibung, verbunden mit dem Motto „Machen wir das Beste daraus“.

Stefan Rother ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen, der Universität Freiburg und Sprecher des AK Migrationspolitik in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft

Auch in Punkt 13 und 14 werden Risiken durchaus anerkannt, aber eine Win-win-Situation angestrebt. Und auch an den in Punkt 15 genannten Prinzipien dürften bei ehrlicher Betrachtung auch die Kritiker wenig aussetzen können: Souveränität und die Rule of Law werden hochgehalten, dazu aber zu Kooperation ermuntert, der Entwicklungsaspekt betont, ebenso die Rechte von besonders gefährdeten Gruppen.

Zusammenfassend merkt man vielen dieser Punkte die eingangs erwähnte Herkunft aus der Debatte zu Migration und Entwicklung an. Die Betonung der Menschenrechte ist ein wichtiges Element. Denn in vielen Staaten der Welt werden MigrantInnen teils elementare Rechte nicht gewährt.

Nun zu einigen Zielen des Compacts:
1. Daten

Es ist unbestritten, dass die Datenlage in Sachen Migration äußerst verbesserungswürdig ist. Und selbst da, wo Zahlen vorliegen, argumentieren Politiker und andere Akteure zunehmend mit „gefühlten Daten“ – von Uwe Tellkamp bis zu Friedrich Merz. An einer besseren Datenlage müssten also eigentlich alle Akteure interessiert sein – allerdings machen diese allein noch keine bessere oder passendere Politik.

2. Fluchtursachen bekämpfen

Hier kommen wieder die Nachhaltigkeitsziele der UN, die Sustainable Development Goals, ins Spiel. Unfaire Handelspraktiken werden allerdings nicht erwähnt. Wer weniger Migration will, sollte diesem Abschnitt eigentlich zustimmen können – ebenso AktivistInnen, die sagen, Migration solle eine Wahl sein und nicht aus Zwang geschehen („make emigration a choice, not a necessity“).

Unterpunkt Naturkatastrophen und Klimawandel

Das hier behandelte Thema der klimabedingten Migration brennt. Es werden recht allgemein gehaltene Präventionsmaßnahmen gefordert – an denen auch Migrationsgegner nichts auszusetzen haben sollten. Dass hieraus – wie von Friedrich Merz insinuiert – ein neuer Asylgrund abgeleitet werden könne, ist als absurd.

3. Informationen

Migration sollte eine informierte Entscheidung sein, im Zielland angekommen sollten MigrantInnen über ihre Rechte und Pflichten gut informiert werden. Durch Datenbanken können falsche Migrationsanreize vermieden werden – etwas, was eigentlich auch den Gegnern des Pakts zusagen sollte.

5. Mehr Möglichkeiten für reguläre Migration

Dieser Punkt kann durchaus als Förderung von Migration verstanden werden – aber eben dadurch, dass sie in geordnete Bahnen gelenkt wird. Wir hatten vor Jahren schon die alte Debatte in Deutschland, dass Menschen das Asylverfahren als einzige Einreisemöglichkeit sahen. Mehr reguläre Migration kann irreguläre Migration reduzieren und gleichzeitig den Erfordernissen des Ziellandes angepasst werden. Wichtig ist hier der Verweis auf die ILO-Kernarbeitsnormen.

6. Recruitment

Dieser Punkt wird in der deutschen Debatte fast völlig übersehen: Ausbeutung durch unethische, ausbeuterische Rekrutierungsagenturen, die Menschen zur Arbeit in anderen Ländern anwerben, ist ein weitverbreitetes Problem bei der so genannten Süd-Süd-Migration. In diesem Absatz finden sich einige wichtige Maßnahmen, die Erpessung, Ausbeutung und Sklaverei eindämmen helfen.

11. Grenzen

Alle, die auf den „Schutz der Außengrenzen“ drängen, dürften sich zumindest in der Einleitung wiederfinden, die auf Souveränität und Recht und Ordnung pocht. Allerdings sind Grenzgebiete auch häufig Orte von Menschenrechtsverletzungen, und hier macht der Compact einige sehr wichtige Punkte, nicht zuletzt zu den Rechten von Kindern. Das ist auch der Grund, weshalb Australien nicht mitmacht – denn das Land missachtet die Rechte von Flüchtlingen, die es auf Inseln im Pazifik internieren lässt.

17. Diskriminierung

Dieses Ziel wird als Einschränkung der Pressefreiheit kritisiert, vor allem wegen der Formulierung, Medien, die „systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegenüber Migranten fördern“ solle „öffentliche Finanzierung“ oder „materielle Unterstützung“ entzogen werden. Das verkennt, dass dieses Ziel ein klares Bekenntnis zur Meinungsfreiheit enthält. Die hat aber – wie auch im deutschen Recht festgelegt – dort ihre Grenzen, wo sie zu Hass aufstachelt oder volksverhetzend wirkt. Auch im Unterpunkt c) wird nochmals die „volle Achtung der Medienfreiheit“ betont. Doch dass Medien, die zu Rassismus aufstacheln, nicht noch durch öffentliche Finanzierung gefördert werden sollte, ist nachvollziehbar. Auch „Sensibilisierung und Aufklärung von Medienschaffenden hinsichtlich Migrationsfragen und -begriffen, durch Investitionen in ethische Standards der Berichterstattung“ sehe ich hierzulande als äußerst notwendig an – selbst die „wohlmeinende“ Berichterstattung ist oft von Fehlern, Klischees, und Unkenntnis geprägt. Viele Zeitungen sprechen zudem weiterhin von „illegalen Migranten“ – das sollte man natürlich nicht verbieten, aber hinsichtlich Sprache sensibilisieren.

22. Übertragbarkeit von Sozialversicherungs- und erworbenen Leistungsansprüchen

Gemeint ist hier die Möglichkeit, sich etwa gezahlte Rentenversicherungsbeiträge auszahlen lassen zu können oder daraus entstehende Ansprüche gelten zu machen. Das ist in einer zunehmend globalisierten Welt ein dringend nötiger Punkt – eine Kollegin von mir beispielsweise hat mittlerweile Rentenansprüche in fünf Ländern. Diese Rechte sollten aber nicht nur für Fachkräfte ermöglicht werden, sondern für alle Formen von Arbeitsmigration.

Umsetzung

Dies ist ein eher vages Kapitel. Hier hätte ich mir mehr gewünscht. Die UN-Migrationsagentur IOM soll eine tragende Rolle beim Aufbau eines Migrationsnetzwerkes übernehmen – allerdings ist die IOM nach eigenem Verständnis eine „nicht-normative“ Organisation, die nicht an die Normen der Vereinten Nationen gebunden ist.

Weiterverfolgung und Überprüfung

Ebenfalls ein eher schwacher Punkt. Warum tritt das „Überprüfungsforum Internationale Migration“ erst in vier Jahren das erste Mal zusammen?

Wichtig ist, dass ambitionierte nationale Strategien zur Umsetzung des Globalen Paktes entwickelt werden sollen. Der Pakt ist nicht bindend, bietet aber einen guten Anstoß, zahlreiche essentielle Punkte zu reflektieren und adressieren. Er stellt somit einen soliden Rahmen dar – allerdings nicht das Ende, sondern erst den Anfang eines Prozesses.

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Samir Abi: Die Zivilgesellschaft saß mit am Tisch

Die UN-Prozesse sind bekannt für ihren ökologischen Fußabdruck und ihre Treibhausgasemissionen in Bezug auf Luftverkehr, Hotelaufenthalte und Energieverbrauch: Allein für Afrika wurden fünf interregionale Konsultationen, ein Konsultationsmeeting für die afrikanische Zivilgesellschaft und ein großes kontinentales Konsultationsmeeting in Addis Abeba einberufen, um ein zusammenfassendes Dokument afrikanischer Empfehlungen zu erstellen.

Konsultationssitzungen haben auch auf nationaler Ebene stattgefunden. Etwa fünfzig Länder haben sich die Mühe gemacht, einen Austausch zwischen den verschiedenen staatlichen Strukturen, die sich mit Migration befassen, und der Zivilgesellschaft zu organisieren. Zusätzlich zu allen davon veröffentlichten Berichte wurde noch ein abschließendes Treffen in Puerto Vallarta im Mexiko abgehalten, um allen Interessengruppen erneut zuzuhören. Nach dem Rückzug der USA konnten alle Staaten dort noch einmal Stellung nehmen. Viele der lateinamerikanischen Länder verurteilten dort die Position der Vereinigten Staaten.

Doch auch wenn die USA nicht mehr dabei waren – ihr Kernpunkt fand sich in den Interventionen vieler Staaten wieder: Die Betonung des Recht jedes Staates, souverän zu bestimmen, wer einreisen darf und wer nicht. Die Länder, die diesen Punkt stark machten, akzeptierten die Berücksichtigung der internationalen Menschenrechtsabkommen bei der Ausarbeitung des Global Compact. Sie lehnten es aber ab, das Recht auf Mobilität aller Menschen uneingeschränkt im Pakt anzuerkennen.

Sie bestanden darauf, dass der Pakt das Recht der Staaten explizit erwähnt, Einreise und Aufenthalt von Ausländern in ihr Land gemäß den Erfordernissen ihrer Wirtschaft zu kontrollieren. Einige Staaten wollten den Global Compact vor allem zu einem Instrument machen, um gegen irreguläre Migration, den Schmuggel von und den Menschenhandel mit Migranten vorzugehen. Der Pakt sollte die Staaten deshalb vor allem auf die gemeinsame Verantwortung für die Steuerung der Migration verpflichten. Herkunftsländer sollten an ihre Verantwortung erinnert werden, die Rückkehr ihrer irregulären Migranten zu akzeptieren – auch wenn diese zur Rückkehr gezwungen werden.

Samir Abi ist Gründer und Leiter des West African Observatory on Migration

Andere Staaten hingegen hatten andere Wünsche. Sie wollten, dass der Compact legale Wege für die Migration ihrer Bürger schafft. Einige Delegationen forderten gar, dass der Globale Pakt das Visaregime beendet, das das Recht auf Mobilität ihrer Bevölkerungen blockiert. Hier sei an folgendes erinnert: Viele der offiziellen afrikanischen Delegationen konnten nicht an der Sitzung in Puerto Vallarta nicht teilnehmen, da sie für den Umstieg auf einem Airport in den USA ein Visum gebraucht hätten.

Manche Staaten forderten das Ende der Inhaftierungen für irreguläre Migranten – besonders von Kindern. Sie bestanden darauf, dass der Pakt Regeln zur Erleichterung der Familienzusammenführung festlegte, um das Problem der durch die Migrationspolitik der Zielländer von ihren Eltern getrennten Kinder zu lösen.

Während der Verhandlungen mahnten einige Staaten auch Lösungen für Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit an, die sich weltweit ausbreiten. Diese Staaten haben Beispiele für bewährte Strategien und Verfahren vorgelegt, die sie auf nationaler oder kommunaler Ebene entwickelt haben, um die Integration von Migranten zu erleichtern. Zu diesen Strategien gehört es, den Zugang zu Staatsbürgerschaft, Bildung, Gesundheit, Arbeit und sozialem Schutz zu verbessern. Auch erfolgreiche Integrationserfahrungen und Personenfreizügigkeit auf regionaler Ebene in einigen Teilen der Welt – der EU oder der ECOWAS – wurden als Grundlage für den Global Compact benannt. Es ist zu hoffen, dass die Politik die aus dem Compact erwächst, diese erfolgreichen Strategien weiterführt.

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Ramona Lenz: An gemeinsamer Verantwortung festhalten

Weder die Unterstellung, der Migrationspakt untergrabe die nationalstaatliche Souveränität, noch der Vorwurf, er verwische die Grenzen von Flucht und Migration oder von „legaler“ und „illegaler“ Migration, lässt sich anhand des Dokuments belegen. Schon gar nicht ist der Pakt darauf ausgerichtet, Migrant_innen aus aller Welt Tür und Tor in das deutsche Sozialsystem zu öffnen und ihnen ebenso wie anerkannten Flüchtlingen einen Schutzstatus zu gewähren.

Die Ablehnung des Migrationspaktes aus kruden Gründen lässt nun Befürworter_innen und differenzierungsfähige Kritiker_innen zusammenrücken. Von konservativen und neoliberalen Kräften aus CDU und FDP über SPD, Grüne und Linkspartei bis hin zu zivilgesellschaftlichen Akteur_innen stellt sich ein sehr breites Bündnis hinter den Pakt. Dabei sind aus einer linken, menschenrechtsbasierten Perspektive die Ziele, die Konservative und Neoliberale damit verbinden, alles andere als begrüßenswert. Ebenso wenig stimmt es aus dieser Perspektive hoffnungsvoll, dass der Pakt nicht verbindlich ist, denn die Umsetzung all der durchaus richtigen Forderungen nach einer Stärkung der Rechte von Flüchtlingen wie Migrant_innen, nach dem Ausbau legaler Migrationswege, der Beseitigung von Rassismus und Diskriminierung und der wirkungsvollen Anerkennung eines Zusammenhangs zwischen Klimaveränderung und Migration wird dadurch nicht wahrscheinlicher.

Im Gegenteil: Es wird betont, dass die staatliche Souveränität unangetastet bleibt; Flüchtlinge und Migrant_innen mit unterschiedlichem Aufenthaltsstatus werden nur insoweit in einem Atemzug genannt, als dass für alle die Menschenrechte gelten; und anstelle erhöhter Anziehungskraft für Migrant_innen ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Pakt im Gegenteil die Migration nach Deutschland erschweren und Rückführungen erleichtern wird.

Ein Interesse an der Beendigung „illegaler Einwanderung“, was Angela Merkel betont, gibt es rechts wie links, aber mit unterschiedlicher Stoßrichtung: Die einen kriminalisieren oder viktimisieren Migrant_innen und Flüchtlinge und begründen eine Strafverfolgung von Schlepperei und Menschenhandel sowie eine Aufrüstung von Grenzen damit; die anderen fordern die Legalisierung der betroffenen Menschen und das Überflüssigmachen von Schlepperei und Menschenhandel durch die Erleichterung legaler Grenzübertritte.

Ramona Lenz ist Migrationsreferentin bei medico international in Frankfurt

Die Differenzen sind so grundlegend und vielfältig, dass sie schwerlich in einem einzigen Pakt eingeebnet werden können, und doch ist es richtig, am Pakt – und damit an der gemeinsamen Verantwortung der Staatengemeinschaft für Migrant_innen – festzuhalten.

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Maximilian Pichl: Grundrechten Geltung verschaffen

Die „New Yorker Erklärung“, die am Beginn der Verhandlungen über den Pakt stand, war eine Reaktion auf das Versagen der „internationalen Gemeinschaft“ im Umgang mit globalen Flucht- und Migrationsbewegungen. Noch im Jahr 2014 mussten die Vereinten Nationen aus Geldmangel die Mittel für die ­Versorgung von Flüchtlingen in den Kriegs- und Krisenregionen drastisch reduzieren. Die unzureichende Gesundheits- und Lebensmittelversorgung und die damit einhergehende Perspektivlosigkeit in den großen Flüchtlingslagern veranlassten damals viele Menschen, unter anderem in Richtung Europa aufzubrechen.

Davon, dass er die Steuerung von Migration „aushöhlt“ und das Ziel verfolgt, „schrittweise Grenzen zu öffnen“, kann keine Rede sein. Vielmehr besagt der UN-Migrationspakt, das Ziel sei ein „integriertes, sicheres und koordiniertes Grenzmanagement“. Weder die Operationen der Grenzschutzagentur Frontex zur Flüchtlingsabwehr noch das Visumssystem werden durch den Pakt angetastet.

Falsch ist auch die Behauptung, der Pakt öffne die Tür für ein Menschenrecht auf Migration. Aus antirassistischer Sicht wäre das durchaus zu begrüßen, es lässt sich aber dem Pakt nicht entnehmen. An vielen Stellen fasst der UN-Migrationspakt nur die Rechte in einem Dokument zusammen, die heutzutage ohnehin in internationalen Verträgen festgelegt sind, zum Beispiel eine verpflichtende Seenotrettung, der Kampf gegen Menschenhandel oder die Sicherstellung von fairen Arbeitsverhältnissen.

Über bereits geltende Grundrechte geht der Pakt kaum hinaus. Als eine der wenigen Neuheiten sieht der Abschlussentwurf einen diskriminierungsfreien Zugang von Migranten zu basalen Leistungen vor, dazu zählen materielle Sozialleistungen, die Gesundheitsversorgung und Teilhabe an inklusiver Bildung. Bezogen auf die Situation in Deutschland gibt es bereits ein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, das in der Praxis sehr oft missachtet wird. Der Pakt könnte immerhin dazu taugen, diesem Grundrecht Geltung zu verschaffen.

Maximilian Pichl war rechtspolitischer Referent bei Pro Asyl, heute ist er Mitglied der Forschungsgruppe „Beyond Summer 15 – Transformation der Europäische Integrationspolitik in der Krise“ an der Uni Kassel

Leider zeigt die Debatte über den UN-Migrationspakt, wie defensiv die Verteidiger der Rechte von Migranten und Flüchtlingen der rechtspopulistischen Agitation entgegentreten. In der Entwurfsversion steht explizit, das Dokument sei ein rechtlich nicht bindender Kooperationsrahmen, der das souveräne Recht der Staaten, ihre Migrationspolitik selbst zu bestimmen, nicht berührt. Auf diesen Aspekt wird in jeder Diskussion über den Pakt verwiesen, offenbar, um die Rechten zu beschwichtigen.

Genau an dieser Stelle müsste aber eine migrationsfreundliche und anti­nationalistische Kritik einsetzen, um verbindliche Rechte von Migranten einzufordern. Dafür liefert der Pakt, so beschränkt seine Wirksamkeit sein mag, strategische Optionen. Er sieht internationale Überprüfungsgremien vor, die die Umsetzung des Paktes in der staatlichen Praxis sicherstellen ­sollen. Auf diese Weise ließe sich ein Maßstab zur Bewertung staatlicher Praxis etablieren. Durch die Verteidigung solcher Evaluation und eine gleichzeitige Kritik der repressiven Aspekte des Paktes hätte man der Kampagne von AfD und anderen offensiv begegnen können. Doch zu vernehmen sind nur rechte Einwände und als Reaktion Beschwichtigungsversuche, während antirassistische Kritik am UN-Migrationspakt, die durchaus notwendig wäre, kaum geäußert wird.

(zuerst erschienen in Jungle World 2018/47)

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Helmut Dietrich: Pakt soll die Kraft der Migration einhegen

Der „Globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ ist das erste weltumspannende Gemeinschaftsprodukt des UNHCR und der IOM (Internationale Organisation für Migration). Während der UNHCR dem völkerrechtlichen Schutzauftrag von Flüchtlingen entstammt, kommt die IOM aus einer US-dominierten, zwischenstaatlichen Initiative, die sich weltweit zum Hauptakteur der Abschottung entwickelt hat und inzwischen als UN-Agentur arbeitet.

Das Ziel des Globalen Pakts ist es, die „wilde“ Kollektivkraft der Migration in paradigmatischer Weise einzuhegen und beherrschbar zu machen. Historische Reminiszenzen werden wach, erinnert sei an die Studien von Charles Tilly zu den Arbeitskämpfen im 19. Jahrhundert: Disruptive Praktiken hatten die Arbeitskämpfe geprägt, bis die Protagonisten beider Seiten überein kamen, den Streik als legitimes Arbeitsmittel zu begreifen und genau zu definieren. Sabotage, Bummelstreik oder Weggang sollten als „illegale“ Aktionsformen gebannt und „legale“ Streikformen zugelassen werden.

Doch dieser Vergleich hinkt. Zwar ist die Migration wohl die wirkungsmächtigste Kraft sozialer Veränderung, aber es handelt sich dabei um eine kollektive Aktion ohne Kollektive. Selbst die aktuellen Märsche auf den Flüchtlingskorridoren lassen sich wegen ihrer schwachen Organisation kaum mit bekannten sozialen Bewegungen vergleichen. Es gibt keine Protagonisten der Migration, die einen solchen Globalen Pakt mit den Staaten weltweit aushandeln könnten.

Es wäre überaus wünschenswert, wenn Menschenrechte – einklagbar! – an den Grenzen der Nationalstaaten Einzug erhielten, wenn Bürgerrechte endlich zu Menschenrechten würden. Aber im Unterschied zur Erklärung der Menschenrechte oder zum Grundgesetz sind im Globalen Pakt die Daumenschrauben gleich mit aufgeführt. Diese sind nicht mehr in der Altherrensprache der Souveränität der Nationalstaaten formuliert, sondern im New Speak der Weltinnenpolitik. Deren Mantra lautet: Datenerfassung noch und nöcher, und sie beginnt stets bei den Migrant*innen und Geflüchteten.

Helmut Dietrich arbeitet bei der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration e.V.

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Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration
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