Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Ein Fall für radikale Reformen

Die Öffentlich-Rechtlichen erstarren in absurden Strukturen. Nur: Statt über Reformen wird hauptsächlich über Skandale diskutiert.

Ein Schwarz-Weiß-Foto. Ein Mann in Mantel steht vor zwei Bussen. Er schaut in eine Kamera. Auf dem Dach von einem der Busse steht noch ein Mann mit Kamera.

Die zwei neuen Übertragungswagen des Süddeutschen Rundfunks werden 1957in Betrieb genommen Foto: Duerkop/dpa/picture alliance

Ersparen wir uns die Plattitüde: Wenn es ihn nicht gäbe, müsste man ihn erfinden. Stellen wir besser nüchtern fest: Nur Verrückte würden ihn so erfinden, wie er heute in Deutschland ist. Schon sein Etikett „öffentlich-rechtlich“ ist irreführend. Was manchen als Qualitätsmerkmal erscheint, ist tatsächlich nur die Rechtsform. Auch die Berliner Stadtreinigung ist öffentlich-rechtlich, die Oper in Zürich dagegen eine Aktiengesellschaft. Der wesentliche Unterschied zum „privaten“ Rundfunk liegt in der Finanzierung: werbefinanziert und kommerziell versus gemeinschaftsfinanziert und zu gesellschaftlichem Nutzen verpflichtet.

Gesellschaftlicher Nutzen kann aber nur entstehen, wo gesellschaftliche Nutzung stattfindet. Auch der ÖRR muss Quote machen, sonst fehlt ihm gesellschaftliche Legitimation. Dabei muss ein sparsamer Umgang selbstverständlich sein mit den fast 8,5 Milliarden Euro, die für ARD, ZDF und Deutschlandfunk aufgebracht werden, und nicht minder für die rund 400 Millionen, die aus Steuergeldern für die Deutsche Welle (DW) bereitgestellt werden.

ARD, ZDF, Deutschlandfunk und DW – das sind vier öffentliche Systeme mit nicht weniger als zwölf öffentlich-rechtlichen Anstalten, denn die ARD ist nicht eine Anstalt, sondern eine Arbeitsgemeinschaft von neun Landesrundfunkanstalten und dem separat finanzierten Sender DW. Die Landesrundfunkanstalten sind dabei von so unterschiedlicher Größe und Finanzkraft, dass es zu markanten Leistungsunterschieden kommt.

Wellen, für wen?

Obwohl alle Haushalte einen einheitlichen Rundfunkbeitrag zu zahlen haben, fallen die Gegenleistungen höchst unterschiedlich aus. Der WDR versorgt NRW mit elf Ausgaben des TV-Magazins „Lokalzeit“ sowie einer landesweiten Regionalsendung. Der NDR bietet für Niedersachsen nur ein Regionalmagazin, das Wolfsburg und Wilhelmshaven gleichermaßen versorgen soll. Die Hörer von Radio Bremen bekommen vier Hörfunkwellen von ihrem Sender, der MDR liefert zehn – und eine halbe für die sorbische Minderheit.

Betrachtet man die Versorgung auch unter soziodemografischen Gesichtspunkten, so fallen zahlreiche Jugendwellen im Radio und Online auf, denen kaum Vergleichbares für das Publikum über 50 gegenübersteht. Auch wenn diese Zielgruppe als einzige zuverlässig wächst, sind Rollatorthemen in den Redaktionen quasi tabu.

Zuletzt hat die ARD einige Schlagerwellen gestartet. Ein Gegengewicht zum traditionell starken Engagement des ÖRR für die Hochkultur: Seit 1923 unterhält der deutsche Rundfunk eine Vielzahl von Chören und Orchestern, das älteste in Leipzig. Die Orchester der ARD sind Perlen der Kulturlandschaft – für die Programme aber sind sie so entbehrlich wie eigene Schauspielensembles oder Fußballmannschaften. Es würde nicht eine Sekunde Programm ausfallen, wenn es diese Orchester nicht gäbe. Eigentlich müssten sie von Stadt und Land finanziert werden. So aber sponsern die Gebührenzahler das regionale Kulturangebot. Nebenbei: Die BBC kommt mit fünf Ensembles aus, der französische Rundfunk mit zwei, Österreich mit einem.

Besonders schlecht ist das Angebot für Menschen ohne Deutschkenntnisse. Auch sie müssen zahlen, werden aber als Fernsehnutzer nicht gezählt. Das repräsentative Fernseh-Panel für die Quotenermittlung umfasst mindestens 5.400 Haushalte, aber nur solche, bei denen es einen „deutschsprachigen Haupteinkommensbezieher“ gibt. Entsprechend schlecht fällt das Angebot für diejenigen aus, die kein Deutsch sprechen. Zwar gibt es ein regelmäßiges Magazin für die sorbische Minderheit bei RBB und MDR, doch ähnliche Angebote auf Türkisch, Polnisch oder Syrisch gibt es nicht.

Historische Zufälle

Krass sind auch die Unterschiede in der Bezahlung. Obwohl überall derselbe Beitrag gezahlt wird, fällt die Entlohnung der Beschäftigten sehr unterschiedlich aus. Der WDR-Intendant bekommt ein Gehalt von 413.000 Euro, sein Kollege beim Saarländischen Rundfunk 245.000 Euro. Ein tagesaktueller 3-Minuten-Beitrag für die Berliner „Abendschau“ wird mit 331 Euro honoriert, beim WDR sind es laut Honorarrahmen 725 Euro. Bei Deutschlandfunk und ZDF – beide unterhalten Studios in allen Bundesländern – gibt es derartige Differenzen nicht.

Die großen Unterschiede sind historische Zufälle: Die Amerikaner wollten nach dem Krieg in ihrer Besatzungszone ohne Meereszugang einen Überseehafen. So kamen Bremerhaven und Bremen zur amerikanischen Zone und zu einem eigenen Sender. Ähnlich im Saarland, das erst durch Volksentscheid 1955 zur Bundesrepublik stieß und selbstbewusst einen eigenen Sender etablierte für gerade mal eine Million Einwohner. Hamburg fiel der Verzicht auf ein eigenes Funkhaus leicht, wurde es doch Sitz des Senders für die gesamte britische Zone, des Nordwestdeutschen Rundfunks, später aufgeteilt in NDR und WDR. Der NWDR versorgte zunächst auch Westberlin, bis dort 1953 der Wunsch nach einem eigenen Sender übermächtig und in Form des Senders Freies Berlin Realität wurde.

Politischer Wille führte auch zum ZDF. Das Bundesverfassungsgericht hatte Kanzler Adenauers Plan, einen bundesweiten Sender zu gründen, gestoppt, weil Rundfunk laut Grundgesetz Ländersache ist. Also übernahmen die Länder die Gründung einer neuen Rundfunkanstalt für das zweite Programm. Die dritten Programme wurde dann wieder den ARD-Häusern zugewiesen. Allerdings waren diese erst einmal nur im jeweiligen Sendegebiet zu sehen. In Kabel- und Satellitenzeiten aber sind alle Dritten überall zu sehen und die fehlende Profilbildung jenseits des Regionalen fällt ins Auge: „Tatort“ rund um die Uhr und überall.

Radio an der Grenze

Der Deutschlandfunk durfte zunächst nicht für die Bundesbürger senden, sondern fast nur entlang der Zonengrenze in die DDR und nach Osteuropa. Mit der DDR endete auch diese Mission, nicht aber der Deutschlandfunk. Die Länder verständigten sich auf die bundesweite Fortsetzung des Betriebs und eine eigenständige Anstalt mit Sitz in Köln. Und es kam gleich noch ein Kanal hinzu: Aus dem abgewickelten US-Sender RIAS Berlin und dem abgewickelten Deutschland-Sender der DDR wurde mit Sitz in Berlin der heutige Deutschlandfunk Kultur.

Nach der Wende wurde auch der übrige DDR-Funk abgewickelt, wobei in erheblichem Maß Programme und Personal bei den neuen ostdeutschen ARD-Anstalten ORB (für Brandenburg) und MDR (für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) wieder auftauchten. Der Versuch, damals mit Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg eine Nordostdeutsche Rundfunkanstalt (NORA) zu gründen, scheiterte – wohl am besseren Angebot, das der NDR der Landespolitik in Schwerin unterbreitete.

Die DW war 1960 zur eigenständigen Anstalt erwachsen. Drei Jahrzehnte lang war sie ein reiner Radiosender mit Sitz am Rhein und Programmen für das Ausland. Im Jahr 1992 wurde RIAS-TV übernommen, sodass heute DW-TV von Berlin aus in Arabisch, Englisch, Spanisch und teilweise auch in Deutsch für die weite Welt sendet. Während die BBC all ihre Radio- und Fernsehprogramme, auch jene fürs Ausland, unter dem Dach eines einzigen Unternehmens produziert, mit einem einzigen (hochbezahlten) Generaldirektor und einer einzigen Verwaltung, sind in Deutschland zwölf Anstalten mit zwölf Intendanten und zwölf Verwaltungen unterwegs.

Die letzte Fusion (aus SFB und ORB wurde der RBB) ist fast 20 Jahre her. Eine ernsthafte Evaluation von Programmen und Profil aller Sender hat es noch nie gegeben. Rundfunkpolitik in Deutschland ist extrem strukturkonservativ – auch weil die Länder, vertreten durch ihre Ministerpräsidenten, sich nur im Konsens bewegen können. Dabei schreit der öffentliche Rundfunk geradezu nach radikalen Reformen. Doch die bleiben aus: Skandale und die lächerliche Debatte über den Rundfunkbeitrag lenken von den zentralen Themen ab: bessere Programme, effizientere Strukturen, wirksame Kontrolle.

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arbeitet seit 1983 – mit Unterbrechungen – frei für den SFB/RBB. Von 2016 bis 2020 war er Vorsitzender des Journalistenverbands Berlin-Brandenburg.

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