Volksinitiative „Hamburg enteignet“: Die Verfassungsklage kann kommen

„Hamburg enteignet“ freut sich: Die Berliner Senatskom­mis­si­on kommt zum Ergebnis, dass eine Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen rechtens ist.

Fassade des Hamburger Verfassungsgerichts

Entscheidung von großer Tragweite möglich: Hamburgisches Verfassungsgericht Foto: Lukas Schulze/dpa

HAMBURG taz | Für die Ak­ti­vis­t:in­nen der Volksini­tiative „Hamburg enteignet“ ist es eine 156-seitige juristische Analyse, die sie mit großer Freude gelesen haben: Der Ende Juni in Berlin vorgestellte „Abschlussbericht der Expertenkommission zum Volksentscheid ‚Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen‘“ kommt zu dem Schluss, dass Enteignungen nicht nur möglich, sondern auch ein effizientes Mittel sind.

Doch was folgt aus den Ergebnissen des Berliner Abschlussberichts für die Hamburger Debatte um Lösungen für einen überteuerten Wohnungsmarkt?

„Der Kommissionsbericht bestätigt und ermutigt uns, weil er grünes Licht für die Vergesellschaftung von Immobilienbeständen auch in Hamburg gibt“, sagt Initiativensprecher Hanno Hinrichs. Der Berliner Abschlussbericht dürfte nach der parlamentarischen Sommerpause eine besondere Rolle spielen: Dann wird der Hamburger Senat entscheiden, ob er gegen die Volksinitiative vor das Verfassungsgericht ziehen will.

Rund ein Jahr lang hatte die 13-köpfige Ex­per­t:in­nen­kom­mis­si­on unter dem Vorsitz der früheren Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) beraten, um „Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen“ zur Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ zu erörtern. Die Kommission sollte vor allem die zentrale Frage klären, ob ein dem Volksentscheid entsprechendes Gesetz „im Einklang“ mit dem noch nie zuvor angewendeten Vergesellschaftungsartikel 15 des Grundgesetzes steht.

Grundgesetz gilt auch in Hamburg

Die Kommission beantwortet in ihrem Bericht die Frage eindeutig: „Ein Vergesellschaftungsgesetz steht tatbestandlich im Einklang mit den in Art. 15 GG ausdrücklich genannten Voraussetzungen“, heißt es dort etwa. Ein solches Gesetz könnte das Land Berlin tatsächlich für die Immobilienbestände großer Wohnungsunternehmen verabschieden.

Die Hamburger Enteignungsinitiative orientiert sich mit ihren Forderungen eng an dem Berliner Vorbild und sieht den Abschlussbericht deshalb als relevant nicht nur für Berlin. „Aus dem Bericht geht klar hervor, dass auch Hamburg berechtigt ist, große Immobilienbestände zu vergesellschaften“, sagt Hinrichs. „Denn auch hier gilt Artikel 15 des Grundgesetzes.“

Darüber hinaus sieht die Hamburger Ini sich in weiteren zentralen Punkten bestätigt: Die Kommission sieht keine adäquate Alternative zur Vergesellschaftung, die „bei gleichem Ertrag für die Zwecke des Allgemeinwohls offensichtlich milder ist“. Und anders als Kri­ti­ke­r*in­nen der Volksinitiativen behaupteten, müsse die Entschädigung der Wohnungsunternehmen für die öffentliche Hand nicht übermäßig teuer werden.

Weil eine Vergesellschaftung etwas anderes ist als eine Enteignung, könne in diesem Fall die Entschädigungssumme unter dem Marktwert der Immobilien liegen. Grundlage für die Entschädigungshöhe könne demnach sein, was für das Land finanzierbar sei und welche Erträge die gemeinnützige Bewirtschaftung erbringe.

Klagt der Senat?

„Der Bericht widerlegt den Mythos, dass die großen Immobilieneigentümer auf Basis der Immobilienmarktwerte entschädigt werden müssen“, sagt Hinrichs. „Es wird für die Stadt Hamburg also deutlich günstiger, als viele behaupteten.“

Doch weder beim Senat noch bei den Regierungsfraktionen von SPD und Grünen ist zu erkennen, dass der Bericht zu einen Sinneswandel in der politischen Bewertung führt. Nur die Linkspartei reagierte bislang freudig auf die Aussagen der Expert:innen.

Dabei muss der Hamburger Senat bald entscheiden, ob er den Weg der Volksinitiative zu einem Volksentscheid in Hamburg verbarrikadieren will: Nachdem die Volksinitiative im Frühjahr mehr als 18.000 Unterschriften in Rathaus eingereicht und ihre Ziele im Bürgerschaftsausschuss für Stadtentwicklung vorgestellt hat, steht im Spätsommer der Antrag auf ein Volksbegehren als nächster Schritt zu einem Volksentscheid an.

Bei vorangegangenen Volksinitiativen war das der Moment, in dem der Senat Klage vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht einreichte und „erhebliche Zweifel“ an der Verfassungsmäßigkeit von Initiativenzielen geltend machte.

… und wer bezahlt das?

Dass er klagt, gilt einerseits als naheliegend, da eben auch in Hamburg noch keine Vergesellschaftung stattgefunden hat, also besagte, erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer solchen Maßnahme nachvollziehbar wären. Indes: Die Berliner Ex­per­t:in­nen­kom­mis­si­on hat genau das geprüft und keine Zweifel aufkommen lassen.

„Dem Hamburger Senat fehlt mit dem Kommissionsbericht jegliche juristische Grundlage, um Klage vor dem Verfassungsgericht einzureichen“, sagt deshalb Hinrichs. „Sollte er es dennoch tun, wäre das an Absurdität nicht zu überbieten und nur als Verzögerungsstrategie zu erklären.“

Allerdings argumentierte Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD) jüngst, dass in Hamburg Volksinitiativen unzulässig sind, wenn sie den Haushalt übermäßig belasteten – die Entschädigungszahlungen an die Wohnungskonzerne könnten der Vorgabe folglich zuwiderlaufen.

Sollte der Senat das Verfassungsgericht anrufen, dürfte es wohl deutlich mehr als ein Jahr dauern, ehe mit einem Urteil zu rechnen ist.

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