Die Wahrheit: Blutrünstige Masseurinnen

Tagebuch einer Unterbringerin: Warum nur gehört die Schlagfertigkeit gegenüber den Störenfrieden dieser Welt nicht zum persönlichen Repertoire?

Wenn mich eines zur Verzweiflung bringt, dann die letzten Sekunden vor einer Abgabefrist, in denen ich hektisch durch Wortschatzportale und Onlineforen scrolle, auf der Suche nach dem einen, noch fehlenden perfekten Ausdruck, der mir doch schon die ganze Zeit auf der Zunge liegt! Nach der dritten Mahnung der Redaktion gebe ich auf. Mist, mal wieder nur den zweitbesten gefunden.

Kaum ist der Text gedruckt, tritt das perfekte Wort höhnisch grinsend aus dem vernebelten Backstagebereich meines Hirns ins Scheinwerferlicht und fordert alttestamentarisch unerbittlich: „Du sollst keine anderen Wörter neben mir haben!“ Von nun an will es eingesetzt werden, überall, egal wie. Blöderweise ist das Thema, zu dem es passte, inzwischen bearbeitet.

„Blutrünstig!“, durchzuckte es mich neulich im Dämmerschlaf, das wär’s gewesen! Seitdem verfolgt mein verspäteter Fund mich gnadenlos. Im Prinzip wäre er vielseitig kombinierbar, zum Beispiel mit Insekten, Despoten, Pitbulls, sogar Babys. Kleinkinder sind besonders blutrünstig, wie ich mich aus einem versunkenen Leben als Spielplatzmutter erinnere; ein paar von ihnen hätten es locker mit jedem Pitbull aufnehmen können.

An eines habe ich besonders lebhafte Erinnerungen, wir nannten es „Der Beißer“, weil es seine Milchzähne mit Vorliebe in den Familiendackel grub. Der Dackel schnappte etwas lustlos zu und fügte sich in sein Schicksal, er war das Gegenteil von blutrünstig, nämlich erstaunlich duldsam.

Noch schlimmer als nicht gefundene Worte sind verpasste Reaktionen. Wer kennt nicht das Gefühl der Niederlage, wenn einem Stunden später einfällt, was man im Augenblick fremder Übergriffigkeit alles hätte sagen können, besonders zu der mir unbekannten Frau, die mich neulich überraschend von hinten um die Taille packte und unsanft zur Seite räumte.

Meine Wunschkonversation wäre in etwa so verlaufen: „Ach, Sie sind Masseurin?“ Frau: „Äh, warum?“ – „Na, so hemmungslos wie Sie Ihre Pfoten in fremde Leute graben.“ Stattdessen gurgelte ein nörgelig-empörtes „Was soll das denn?!“ aus mir hervor und provozierte im Gegenzug ein muffiges „Na, wenn Sie hier im Weg rumstehen …“

Ähnlich läuft das bei Rad- und E-Rollerfahrern jedweden Geschlechts, die mit Nanomillimeterabstand von hinten auf dem Fußweg an einem vorbeibrettern, sodass die winzigste Abweichung vom eigenen Kurs mehrmonatigen Krankenhausaufenthalt mit anschließender jahrelanger Reha garantiert.

Leider bin ich in solchen Situationen nur noch zu einem herzhaften, geschlechtsneutralen „Arschloch!“ fähig, was weiter nichts als gereckte Mittelfinger hervorruft und ein Licht auf mein eher beschränktes verbales Reaktionspotenzial wirft. Das sind diese Momente, in denen ich mich ein wenig blutrünstig fühle – womit wenigstens das nervende perfekte Wort für heute ausreichend untergebracht wäre.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Lebt und arbeitet als Filmregisseurin, Drehbuch- und Romanautorin in Berlin. Schreibt in ihren Kolumnen über alles, was sie anregt, aufregt oder amüsiert

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.