Behinderte Ermittlungen in Beirut: Die Herrschenden wussten es

Drei Jahre danach: Die Ermittlungen nach der Explosionskatastrophe in Libanon stehen still. Doch Gerechtigkeit wäre eine Chance auf Heilung.

Eine Frau in Beirut hält ein Bild ihres Sohnes hoch, der bei der Explosionskatastrophe starb

Demonstration in Beirut drei Jahre nach der Katastrophe Foto: Marwan Naamani / dpa

Der UN-Menschenrechtsrat muss dringend eine Resolution verabschieden, damit eine unabhängige Untersuchungskommission die Hintergründe der Explosionskatastrophe von Beirut aufklärt. Seit drei Jahren warten die Angehörigen der Explosionsopfer darauf, zu erfahren, warum ihre Liebsten sterben mussten.

Eine riesige Menge der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat lagerte mehr als sechs Jahre ohne Sicherheitsvorkehrungen in einem Speicher am Hafen. Ihre Wucht entlud sich am 4. August 2020: Durch die Detonation starben mehr als 220 Menschen, rund 6.000 wurden körperlich verletzt. Die seelischen Folgen sind kaum messbar.

Seit zwei Jahren stehen die Ermittlungen still. Ehemalige Minister behindern den verantwortlichen Untersuchungsrichter Tarek Bitar durch Klagen. Das Parlament hebt die Immunität seiner Abgeordneten nicht auf, sodass Bitar sie nicht verhören kann. Der Generalstaatsanwalt entließ alle 17 Verdächtigen aus dem Gefängnis. Die libanesische Justiz ist bis aufs Mark korrupt.

Durch Recherchen von Jour­na­lis­t*in­nen und Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t*in­nen ist belegt, dass der Staat von der gefährlichen Fracht wusste: Die Hafenaufsicht, die Zollbehörden, die innere Sicherheit, das Ministerium für öffentliche Arbeiten, der damalige Regierungschef, der damalige Präsident. Regierungsbeamte haben das Risiko stillschweigend akzeptiert. Nach innerstaatlichem Recht ist das eine Straftat der mutmaßlich vorsätzlichen oder fahrlässigen Tötung. Nach internationalen Menschenrechtsnormen ist es eine Verletzung des Rechts auf Leben.

Alle, die psychische und physische Narben der Explosion tragen, brauchen Gerechtigkeit. Ohne Aufklärung und Konsequenzen für die Verantwortlichen wird das Trauma im kollektiven Gedächtnis bleiben. Aufarbeitung, Gerechtigkeit und Strafe für die Verantwortlichen wären eine Chance für Heilung. In einem Land, in dem die Privilegierten Strafverfolgung nicht fürchten müssen, braucht es ein kollektives Umdenken: Gerechtigkeit ist nichts, worauf zu hoffen bleibt, sondern ein Menschenrecht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Auslandskorrespondentin für Westasien mit Sitz in Beirut. Hat 2013/14 bei der taz volontiert, Journalismus sowie Geschichte und Soziologie des Vorderen Orients studiert. Sie berichtet aus dem Libanon, Syrien, Iran und Irak, vor allem über Kultur und Gesellschaft, Gender und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Für das taz Wasserprojekt recherchiert sie im Libanon, Jordanien und Ägypten zu Entwicklungsgeldern.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.