Künstliche Befruchtung: Diskriminierung bei Kinderwunsch

Ungleiche Behandlung: Von zwölf Bundesländern, die künstliche Befruchtungen fördern, unterstützen nur sechs Länder auch homosexuelle Paare.

Ein leerer Stand bei einer Kinderwunschmesse in Berlin. Zu sehen ist ein Plakat mit einem Mann, einer Frau und einem Baby

Kinderwunschmesse Berlin: Fast jedes zehnte Paar im Land zwischen 25 und 59 ist ungewollt kinderlos Foto: Andreas Pein/laif

LEIPZIG taz | Sechs Jahre nach Einführung der Ehe für alle haben hetero- und homosexuelle Paare in Deutschland noch immer nicht dieselben Rechte. Bekommt ein lesbisches Ehepaar zum Beispiel ein Kind, dann ist die Ehefrau der Mutter nicht automatisch die Co-Mutter, sondern muss das Kind erst adoptieren. Bei einer heterosexuellen Ehe hingegen ist der Mann automatisch der Vater – ganz unabhängig davon, ob er auch der genetische Vater ist.

Auch bei der künstlichen Befruchtung werden hetero- und homosexuelle Paare ungleich behandelt. Ein solcher Eingriff kostet pro Versuch mehrere tausend Euro. Die gesetzliche Krankenkasse erstattet heterosexuellen Eheleuten die Hälfte der Kosten, gleichgeschlechtliche Ehepaare bekommen keinen Cent.

Zwar können Paare noch staatliche Zuschüsse für eine künstliche Befruchtung beantragen – Bund und Länder übernehmen gemeinsam bis zu 50 Prozent der Kosten, die nach der Abrechnung mit der Kasse übrig bleiben. Doch auch hier sind homosexuelle Paare benachteiligt.

Von zwölf Bundesländern, die künstliche Befruchtungen überhaupt fördern, unterstützen nur sechs Länder auch gleichgeschlechtliche Paare: Rheinland-Pfalz, Berlin, Bremen, Thüringen, Hessen und das Saarland. Vom Bund erhalten homosexuelle Paare keine Förderung, diese steht nur heterosexuellen zu.

Ein Versuch kostet zwischen 3.000 und 7.000 Euro

Während lesbische Mütter ihre eigenen Kinder laut Bundesjustizministerium bald endlich nicht mehr adoptieren müssen, wird es wohl noch eine Weile dauern, bis gleichgeschlechtliche Paare bei Kinderwunschbehandlungen nicht mehr benachteiligt werden.

Mit welcher Begründung fördert die Bundesregierung künstliche Befruchtungen bei heterosexuellen Paaren, bei homosexuellen aber nicht? Warum unterstützen manche Bundesländer auch gleichgeschlechtliche Paare bei dieser Behandlung, manche nur veschiedengeschlechtliche? Und was bedeutet das für die Betroffenen?

In Deutschland ist fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos und daher auf medizinische Hilfe angewiesen. Das ist nicht nur psychisch belastend, sondern auch finanziell. Menschen mit niedrigem oder mittlerem Einkommen können die hohen Behandlungskosten oft nicht stemmen.

„Eine künstliche Befruchtung kostet pro Versuch zwischen 3.000 und 7.000 Euro“, sagt Jens-Peter Reiher, Gynäkologe am Kinderwunschzentrum Leipzig-Chemnitz. „Die Spanne ist deswegen so groß, weil wir vorher nie wissen, wie hoch der Medikamenteneinsatz wird, wie häufig wir einen Ultraschall machen müssen oder wie viele Laboruntersuchungen wir brauchen. Jede einzelne dieser Maßnahmen erhöht die Rechnung.“

Künstliche Befruchtungen bei Homosexuellen lange verboten

Seit knapp 30 Jahren behandelt der Gynäkologe Paare mit unerfülltem Kinderwunsch in Sachsen. Sachsen ist eines der Bundesländer, das ausschließlich heterosexuelle Paare bei der künstlichen Befruchtung unterstützt. Homosexuelle bekommen dort keinen Zuschuss.

Bis 2019 war es Ärz­t:in­nen in Sachsen sogar verboten, Kinderwunschbehandlungen bei Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften durchzuführen. „Wir haben immer neidisch nach Berlin geschaut, denn dort war die künstliche Befruchtung bei gleichgeschlechtlichen Paaren stets erlaubt“, sagt Reiher.

Das Kinderwunschzentrum, in dem der Gynäkologe arbeitet, führt pro Jahr rund 1.000 künstliche Befruchtungen durch, davon 50 bis 100 bei gleichgeschlechtlichen Paaren. Viele der Pa­ti­en­t:in­nen litten unter den hohen Behandlungskosten. „Manchmal müssen wir mit der Behandlung warten, weil das Geld nicht ausreicht“, sagt Reiher. „Unsere Pa­ti­en­t:in­nen sind in der Regel junge Leute und nicht alle verdienen gut, wir sind hier schließlich in Leipzig.“ Bis zur Gesundheitsreform 2004 hat die gesetzliche Krankenkasse die Kosten für vier Versuche einer künstlichen Befruchtung komplett übernommen. Seitdem erstattet die Kasse nur noch 50 Prozent der Kosten für maximal drei Versuche. Anspruch haben aber nur verheiratete heterosexuelle Paare. Außerdem muss die Frau zwischen 25 und 40 Jahre alt sein, der Mann zwischen 25 und 50. Eine weitere Bedingung ist, dass die eigenen Ei- und Samenzellen verwendet werden. So steht es in Paragraf 27a im fünften Sozialgesetzbuch.

Eine Frage des politischen Willens

Durch die Reform hat sich die Zahl der künstlichen Befruchtungen damals mehr als halbiert: von 80.434 im Jahr 2003 auf 37.633 im Jahr 2004. Das hatte zur Folge, dass weniger Kinder geboren wurden – auch in Sachsen. Um den Geburtenrückgang zu stoppen, hat Sachsen 2009 als erstes Bundesland damit begonnen, die künstliche Befruchtung finanziell zu fördern. „Das war eine gute Entscheidung“, sagt Reiher, der Gynäkologe von der Kinderwunschklinik Leipzig-Chemnitz.

Dass Sachsen bis heute nur heterosexuelle Paare unterstützt, kann der Arzt jedoch nicht nachvollziehen. „Warum sollte man gleichgeschlechtlichen Paaren mehr aus der Familienkasse nehmen als verschiedengeschlechtlichen? Dafür gibt es keine Berechtigung, das ist althergebrachtes Denken.“

Fragt man beim sächsischen Sozialministerium nach den Beweggründen, wird auf die Richtlinie des Bundesfamilienministeriums „zur Förderung von Maßnahmen der assistierten Reproduktion“ verwiesen. Diese besagt, dass nur heterosexuelle Paare Anspruch auf eine Förderung vom Bund haben und keine Samenspende verwendet werden darf. Laut Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (SPD) müsse zuerst die Bundesrichtlinie entsprechend angepasst werden, vorher sei Änderung der sächsischen Förderrichtlinie „nicht möglich bzw. nicht sinnvoll“.

Das allerdings stimmt nicht. Wie das Bundesfamilienministerium der taz bestätigte, können die Länder in ihren Landesförderrichtlinien „eigene Regelungen“ festlegen, die von der „Bundesförderrichtlinie abweichen“. In diesen Fällen würde der Zuschuss dann ausschließlich aus Landesmitteln finanziert und nicht auch aus Bundesmitteln.

Grüne und SPD fordern Ende der Diskriminierung

Das heißt, Sachsen könnte sehr wohl künstliche Befruchtungen bei homosexuellen Paaren fördern. Die schwarz-rot-grüne Landesregierung müsste es nur wollen. Beziehungsweise die CDU. „Im 21. Jahrhundert ist es nicht mehr zu erklären, warum gleichgeschlechtliche Paare von der Förderung ausgeschlossen werden. Diese Diskriminierung muss endlich der Vergangenheit angehören“, teilte Lucie Hammecke von den Grünen mit.

Von der SPD hieß es, dass Sachsen „natürlich“ auch gleichgeschlechtliche Paare mit unerfülltem Kinderwunsch finanziell unterstützt solle. Die CDU allerdings teile diese Auffassung nicht, „vermutlich aus ideologischen Gründen“, sagte die gleichstellungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Hanka Kliese. Auf Anfrage der taz antwortete die CDU nicht.

Dass es rechtlich möglich ist, künstliche Befruchtungen bei gleichgeschlechtlichen Paaren zu fördern, zeigen Beispiele aus anderen Ländern. Das erste Bundesland, das diesen Schritt gegangen ist, ist Rheinland-Pfalz. Seit 2021 können gleichgeschlechtliche weibliche Paare dort Zuschüsse für eine künstliche Befruchtung erhalten. Danach folgten Berlin, Bremen, Thüringen, Hessen und das Saarland.

Wie viel Geld die Betroffenen bekommen, variiert von Land zu Land. Rheinland-Pfalz zum Beispiel übernimmt bei gleichgeschlechtlichen Paaren bei den ersten drei Versuchen bis zu 12,5 Prozent der Kosten, beim vierten Versuch bis zu 25 Prozent.

Bremen erstattet homosexuellen Paaren bis zu 50 Prozent der Kosten

Bremen hingegen bezuschusst bei den ersten vier Versuchen jeweils bis zu 50 Prozent. Damit erhalten homosexuelle Paare in Bremen eine höhere Fördersumme vom Land als heterosexuelle, die nur bis zu 25 Prozent pro Versuch erstattet bekommen. Wie das Bremer Frauenministerium auf Anfrage mitteilte, gleicht das Land so „die Benachteiligung gleichgeschlechtlicher Paare aus, die keine Förderung durch den Bund erhalten. Somit ist für alle Paare die Fördersumme gleich.“

Die Bremer Frauenministerin Claudia Bernhard (Linke) wünscht sich, dass andere Länder und der Bund nachziehen. „Ein Kinderwunsch hat nichts mit dem Geschlecht zu tun und auch gleichgeschlechtlichen Paaren sollte dieser Wunsch nicht verwehrt bleiben“, sagte Linken-Politikerin der taz. „Paare mit unerfülltem Kinderwunsch haben häufig einen langen und schmerzvollen Weg hinter sich und die Förderung der Kinderwunschbehandlung kann zumindest den finanziellen Belastungen begegnen.“

Ein Großteil der Bundesländer, die ausschließlich heterosexuelle Paare bei der künstlichen Befruchtung unterstützen, begründen dies ähnlich wie Sachsen. Das zeigt einer Umfrage der taz unter allen Ländern. „Die Förderbedingungen des Bundes dienen als Orientierung für die Förderrichtlinien der Länder. Derzeit ist eine Förderung für gleichgeschlechtliche Paare in Mecklenburg-Vorpommern danach nicht möglich“, hieß es etwa aus dem dortigen Sozialministerium.

Vier Länder bezuschussen künstliche Befruchtungen grundsätzlich nicht, weder bei hetero- noch bei homosexuellen Paaren. Dazu zählen Brandenburg, Baden-Württemberg, Hamburg und Schleswig-Holstein. Diese Länder wünschen sich eine bundeseinheitliche Regelung.

Änderung auf Bundesebene wird noch dauern

Auf die Frage, warum der Bund keine Kinderwunschbehandlungen bei gleichgeschlechtlichen fördert, antwortete das zuständige Bundesfamilienministerium, dass sich die Bundesrichtlinie „eng“ an den „bundesgesetzlichen Regelungen“ des Paragrafen 27a im fünften Sozialgesetzbuch orientiere. „Auf Grund der Voraussetzung der ausschließlichen Verwendung von Ei- und Samenzellen des zu behandelnden Paares ist eine bundesseitige Förderung derzeit nur für heterosexuelle Paare möglich.“

Allerdings möchte die Ampel-Regierung die gesetzlichen Regelungen zur künstlichen Befruchtung im Fünften Buch Sozialgesetzbuch ändern. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass die künstliche Befruchtung „diskriminierungsfrei“ auch bei einer Samenspende förderfähig sein soll – „unabhängig von Familienstand und sexueller Identität“. Außerdem plant die Regierung, irgendwann zu einer vollständigen Kostenübernahme zurückkehren.

Wann die Regelungen im fünften Buch Sozialgesetzbuch reformiert werden, ist allerdings ungewiss. „Die gesetzliche Umsetzung zu den im Koalitionsvertrag festgelegten Punkten bleibt abzuwarten. Einen konkreten Zeitplan kann ich Ihnen nicht nennen“, teilte das zuständige Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage mit. Was so viel heißt wie: Es wird noch dauern.

Bis es soweit ist, können gleichgeschlechtliche Paare mit unerfülltem Kinderwunsch nur hoffen, dass doch noch ein paar Bundesländer ihre Förderrichtlinie ändern. Dann bekämen sie immerhin einen kleinen Zuschuss. Die Linksfraktion in Sachsen rechnet allerdings nicht damit, dass die sächsische Regierung „in dieser Sache noch Veränderungen hinbekommt“.

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