Homophobe evangelische Christen: Freikirche rät Queers zum Zölibat

Der Bund freier evangelischer Gemeinden will homofeindliche Leitlinien festlegen. Der Lesben- und Schwulenverband sieht einen Widerspruch zum Grundgesetz.

Der Wagen der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg mit slogan Trauch Dich Trauung fuer Alle in unseren Kirchen

Queeren Menschen in den freien Gemeinden wird der Verzicht auf Sex empfohlen Foto: Boness/imago

BERLIN taz | Jonas Schmidt* ist entsetzt, wenn er hört, wie seine ehemaligen Glaubensgeschwister über ihn denken. Als Jugendlicher war er jahrelang in einer freien evangelischen Gemeinde. Als er am Ende seiner Pubertät erkannte, dass er queer und bisexuell ist, suchte er Hilfe bei seinem Pastor. Der erklärte ihm, dass Homosexualität eine freie Entscheidung sei, eine Sünde und eine Neigung, die er nicht ausleben dürfe.

„Ich fühlte mich meiner geistigen Heimat beraubt“, sagt Schmidt. „Dabei sollte die Liebe Gottes für alle da sein.“ Heute ist er nicht mehr Mitglied der Gemeinde.

Wie schwer es queeren Menschen weiterhin in einer der freien evangelischen Gemeinden gehen muss, wird klar, wenn man sich die aktuelle Diskussion in deren Dachorganisation anschaut. Am Samstag trifft sich der Bund Freier evangelischer Gemeinden (FeG) zu seiner Bundestagung und will dort eine homophobe Ausrichtung bekräftigen.

Laut einem internen Entwurf zu den künftigen Leitlinien der Gemeinden, der der taz vorliegt, heißt es in einer Empfehlung der Bundesleitung: „Homosexuelle Partnerschaften finden aus biblischer Sicht keine Zustimmung.“ Weder Traugottesdienste noch Segnungen sollen möglich sein, ebenso wenig die Rolle als Gemeindeleitung oder als Pastor oder Pastorin.

Mehr noch: Homosexuellen Menschen wird empfohlen, auf Sexualität zu verzichten. So heißt es in Punkt 4 des Leitlinien-Entwurfs: „Aufgrund des biblischen Leitbildes der Ehe von Mann und Frau ergibt sich die Herausforderung, auf sexuelle Gemeinschaft mit Menschen gleichen Geschlechts zu verzichten […]. Eine zölibatäre Lebensform kann allerdings nur mit einer individuellen Bejahung gelebt werden.“

Lesben- und Schwulenverband kritisiert Diskriminierung

Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) kritisiert den Vorstoß der Gemeinden scharf: „Homosexuellen Menschen Enthaltsamkeit und ein zölibatäres Leben zu empfehlen widerspricht ihrem Grundrecht auf Selbstbestimmung“, erklärte Sarah Ponti, Referentin beim LSVD. Geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung gehörten genauso zur Person wie religiöse Identität und Orientierung. „Wenn die evangelikalen Kirchen für sich reklamieren, Menschen in ihrem Leben zu begleiten und ihnen die Liebe Gottes zu vermitteln, müssen sie sich fragen lassen, warum sie das Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Menschen verweigern.“

Ein Sprecher des Bunds Freier evangelischer Gemeinden (FeG) wies den Vorwurf zurück: Man lehne jede Form von Herabwürdigung und Diffamierung ab. „Jedem Menschen gilt Gottes Gnade in Jesus Christus, völlig unabhängig von persönlichen Merkmalen wie Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung oder sozialer Status.“ Seit Jahrtausenden sei das „biblische Leitbild der Ehe zwischen Mann und Frau auf Lebenszeit“ bekannt, aber allen, die von diesem Ideal abwichen, werde mit Liebe und Annahme begegnet.

Der Entwurf der Leitlinien zum Umgang mit Homosexualität sei in den letzten Monaten in einem Gesprächsprozess diskutiert worden. Auf dem Bundestag der freien evangelischen Gemeinden werde nun am Samstag um Rückmeldung des obersten Gremiums gebeten.

Diskussion um Konversionstherapie

In den Leitlinien bekräftigt die Bundesleitung auch die Inhalte einer Broschüre zum Thema Homosexualität aus dem Jahr 2019. Die „Orientierungshilfe“ mit dem Titel „Mit Spannungen umgehen“ war bereits vor vier Jahren in die Kritik geraten. Das Politikmagazin Panorama hatte den freien evangelischen Gemeinden vorgeworfen, sie würden darin die sogenannte Konversionstherapie empfehlen, mit der Homosexualität vermeintlich geheilt würde. Laut Panorama hieß es in einer Ursprungsversion der Broschüre: „Homosexuell geprägte Menschen, die den Versuch einer Veränderung ihrer sexuellen Orientierung anstreben, sollten sich einem professionell begleiteten therapeutischen Prozess stellen.“

Die Passage wurde laut Panorama später verändert. In der Broschüre heißt es heute: „Homosexuell empfindende Menschen, die ihre sexuelle Identität jedoch als unsicher oder konflikthaft erleben, können sich einem professionell begleiteten Klärungsprozess stellen.“ Das Bewerben, Anbieten oder Vermitteln von Konversionsbehandlungen ist seit 2020 in Deutschland verboten.

Der Bund Freier evangelischer Gemeinden (FeG) hatte der Darstellung von Panorama damals widersprochen. Auch gegenüber der taz verwies ein Sprecher nun erneut auf ein Interview des Präses Ansgar Hörsting von 2019 in der WELT, in dem dieser erklärt: „Wir empfehlen keine Konversionstherapie“. Hörsting sagt weiter: „Wir gebrauchen diesen Begriff und die damit verbundene Vorstellung nicht. Wir stellen lediglich fest, dass ein Mensch, der seine sexuelle Orientierung als unsicher und konflikthaft erfährt, das nicht im Rahmen unserer Gemeindeseelsorge angehen sollte. Bei diesen Fragen braucht man therapeutische Begleitung durch Profis.“

Schwuler Baptistenpastor heißt Queers willkommen

Dass der Umgang mit Homosexualität auch in Freikirchen anders laufen kann, zeigt das Beispiel von Dennis Sommer. Er ist offen homosexuell – und Pastor in der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Wetter-Grundschöttel in Nordrhein-Westfalen, die in einem anderen Verband organisiert ist. „Für mich ist das biblische Leitbild und Homosexualität definitiv vereinbar“, sagt Sommer.

Sommers Baptistengemeinde versteht sich als „Willkommensgemeinde“, die queere Menschen gern in ihren Reihen sieht. „Ich muss sagen, dass ich darunter leide, wenn ich höre, dass Homosexuelle in einer Gemeinde keine Leitungsposition innehaben sollen“, sagt Sommer. Er kenne viele Menschen, die in der Kirche arbeiteten oder gearbeitet hätten und die an solchen Auseinandersetzungen gescheitert seien, die verletzt wurden und das als Diskriminierung empfunden hätten.

„Letztendlich beruht die ablehnende Haltung auf einem sehr konservativen Schriftverständnis“, sagt Sommer. Er bevorzugt eine historisch-kontextualisierte Lesart der Bibel und verweist darauf, dass diese an vielen Stellen nicht konsistent ist und beispielsweise unterschiedliche Formen des ehelichen Zusammenlebens anführe – etwa auch mit mehreren Frauen. „Es bräuchte da eine größere Offenheit mit Widersprüchen innerhalb der Bibel umzugehen“, sagt Sommer. Er ist froh, in seiner Gemeinde eine Heimat für queere Menschen bieten zu können.

Katholiken wollen homosexuelle Paare segnen

Der Bund freier evangelischer Gemeinden ist dagegen mit seiner Haltung sogar konservativer als die deutschen Katholiken. Zwar verurteilt der Vatikan das Ausleben von Homosexualität bis heute, allerdings gibt es in Deutschland mittlerweile eine offenere Haltung bei dem Thema. In einzelnen katholischen Bistümern werden homosexuelle Paare gesegnet, etwa in Berlin und Essen. Zuletzt hatte auch der Münchner Kardinal Reinhard Marx erklärt, dass er damit kein Problem hätte.

Im Frühjahr beschloss zudem die Synodalversammlung zur Reform der katholischen Kirche (Synodaler Weg), dass Segensfeiern für homosexuelle Paare ermöglicht werden sollen – zu über Zweidritteln stimmten auch die Bischöfe dafür. In der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hingegen wird Homosexualität seit Jahren akzeptiert. Es gibt homosexuelle Pastorinnen und Pastoren, die auch in Pfarrhäusern zusammenleben.

Freikirchen sind nicht Mitglieder der Landeskirchen, die in der EKD zusammengeschlossen sind. Sie erhalten keine Einnahmen aus Kirchensteuern und sind in Glaubensfragen unabhängig. In Deutschland gibt es Baptisten, Methodisten, Mennoniten, Pfingstler und viele andere. Sie sind in zahlreichen unabhängigen Verbände organisiert. Zum Bund freier evangelischer Gemeinden (FeG) gehören nach eigenen Angaben 503 Gemeinden mit insgesamt über 43.000 Mitgliedern.

*Name von der Redaktion geändert

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