Mediziner zu Infektionen und Reformen: „Dieses Jahr wird das nichts mehr“

Die aktuelle Corona-Lage lässt den Intensivmediziner Christian Karagiannidis entspannt. Bei der Krankenhausreform aber drohe die Stimmung zu kippen.

Blick in die Intensivstation der Essener Uni-Klinik

Gab härtere Zeiten: Blick in die Intensivstation des Universitätsklinikums Essen Foto: Lars Heidrich

taz: Herr Karagiannidis, was macht eigentlich Corona?

Christian Karagiannidis: Die Zahlen aus dem Abwasser­monitoring bei uns hier in Nordrhein-Westfalen zeigen, dass die Anzahl der Infektionen deutlich nach oben geht.

Der Intensivmediziner leitet ein Spezial­zentrum der Lungenklinik Köln-Merheim und ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin. Er ist Teil der Regierungskommission, die Vorschläge zur Reform des Krankenhauswesens erarbeitet.

Das deckt sich mit Berichten aus dem Bekanntenkreis. Sind auch schwere Verläufe darunter?

Im Klinikalltag haben wir jetzt doch wieder ein paar mehr Fälle auf den Intensivstationen. Das sind aber allesamt Menschen aus den Risikokollektiven – zum Beispiel transplantierte Patienten.

Für die meisten Menschen scheint das Thema Corona jedoch durch zu sein. Ist das berechtigt?

Ich bin insgesamt entspannt. Die Immunität der Bevölkerung ist weiterhin gut. Aber die Risikogruppen müssen sich nochmal impfen. Und sie müssen sich jetzt auch schützen. Meinen chronisch kranken Pa­tienten sage ich, dass sie in dieser Phase wirklich auch wieder Maske tragen und aufpassen müssen.

Die Auffrischungsimpfung ist für Menschen ab 60 und Risikogruppen empfohlen. Aber es gibt eine gewisse Impfmüdigkeit, oder?

Ja, das beobachte ich auch. Ich bin auch nicht der Meinung, dass man jetzt jeden völlig fitten 60- oder 70-Jährigen impfen muss, der bereits ausreichend grundimmunisiert ist. Wir müssen uns konzentrieren auf die, die jetzt am meisten von der Impfung profitieren: die chronisch Kranken und die Hochaltrigen.

Wenn die Infektionszahlen steigen, betrifft das auch das Personal. Haben Sie noch genug Mit­ar­bei­te­r*in­nen an den Betten?

Im Sommer 2022 hatten wir einen starken Personalausfall durch Corona. So schlimm war und ist es im Moment nicht. Wir sehen aber, dass andere respiratorische Erkrankungen auch eine Rolle spielen. Deswegen finde ich besonders wichtig, dass sich alle noch mal drauf konzentrieren, dass die Influenza vor der Tür steht. Die Saison wird irgendwann jetzt im Dezember beginnen. Die Impfung ist gerade für die Mitarbeiter enorm wichtig. Und da sind wir nicht gut, das muss man sagen.

Das war aber schon vor Corona so, oder?

Im Osten waren die Influenza-Impfquoten besser als im Westen. Wir haben schon immer Schwierigkeiten gehabt, die Leute ausreichend zu motivieren. Als wir 2018 diese starke Welle hatten, haben noch mal alle gemerkt, ach, das ist ja eine schwere Erkrankung – und haben sich dann im nächsten Jahr impfen lassen. Aber da ist ganz klar noch Luft nach oben. Da würde ich echt noch mal darauf aufmerksam machen, dass sich auch die über 60-Jährigen und alle chronisch Kranken gegen Grippe impfen lassen. Asthma reicht da – in meinen Augen – als Grund schon aus.

Aus den Kinderkliniken kommt die Warnung: Wir stehen eher noch schlechter da als im letzten Jahr, was die Personalsituation betrifft. Gilt das auch für die Erwachsenen­medizin?

Ich glaube, ganz so schlimm ist es nicht. Wir haben in der Erwachsenenmedizin deutlich mehr Kapazitäten als bei den Kindern. Es ist jetzt nicht so, dass wir hier unendlich viele freie Betten hätten, aber es sind ausreichend Kapazitäten da.

Das könnte in Zukunft anders aussehen. Die als so dringend empfundene Krankenhausreform ist noch einmal ganz schön ins Stocken gekommen.

Man merkt, dass die Stimmung so langsam anfängt zu kippen. Wir müssen jetzt wahnsinnig aufpassen, dass wir aus Angst nicht den Kurs der gesellschaftlichen Mitte verlieren. Wenn die Bundesländer oder die Krankenhausgesellschaft jedes Mal den Weltuntergang herbeireden, wenn irgendwo ein 100-Betten-Haus schließt, dann treibt das der AfD und anderen extremistischen Kräften nur noch mehr Wähler zu.

… weil die AfD mit den ­Ängsten der Menschen spielt. Aber: Kann die Krankenhausreform noch scheitern?

Das ist keine Option, und ich glaube, das wissen alle.

Ist der Zeitplan – das Reformgesetz sollte noch in diesem Jahr beschlossen werden – überhaupt noch zu halten?

Nein, dieses Jahr wird das, glaube ich, nichts mehr. Aus meiner Sicht müssen wir im April, spätestens Mai durch den Bundesrat durch sein. Wenn das mit den Wahlen im Osten und dem Bundestagswahlkampf zusammenfällt, dann haben wir keine Chance mehr. Das Zeitfenster für eine tiefgreifende Reform schließt sich dann.

Das klingt dramatisch.

Ganz so pessimistisch bin ich auch nicht, weil allen klar ist, dass eine Reform seit Jahren überfällig und der Istzustand nicht mehr haltbar ist. Was man auch nicht unterschätzen darf, sind die Digitalgesetze.

Damit sollen vor allem die elektronische Patientenakte und das E-Rezept Standard werden.

Nächste Woche ist die An­hörung im Bundestag. Diese Reform ist für uns mindestens genauso wichtig wie die Krankenhausreform. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: In dieser Woche kam ein Mann mit schwerer Lungenerkrankung in unsere Notaufnahme, bei dem nicht klar war, ob er schon zur ­Transplantation gelistet ist. In solchen Situationen, wenn der Zustand des Patienten so schlecht ist, muss man schnell entscheiden. Aber wir haben sechs Telefonate gebraucht, bis nach drei Stunden ein Fax mit den lebenswichtigen Infor­mationen kam. Deswegen ist für uns die elektronische Patientenakte so zentral. Gerade weil die Ressourcen immer weniger werden.

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