Bundesverfassungsgerichtsurteil: Sondervermögen und Rasierklingeritt

Während Finanzsenator Evers keine Auswirkungen des Urteils für Berlin sieht, gehen andere von einem Ende der geplanten Milliarden-Klimakredite aus.

Das Bild zeigt drei Mitglieder des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts

Urteile können manchmal vielfach auslegbar sein – wie am Mittwoch beim Bundesverfassunsgericht Foto: dpa

BERLIN taz | So ist das, wenn rund 520 Kilometer Luftlinie weit weg von Berlin das Bundesverfassungsgericht urteilt: Da können die Interpretationen schon mal höchst unterschiedlich ausfallen. So war es auch wieder am Mittwochmorgen. Da war für 10 Uhr angekündigt, dass das Gericht zu einer Klage der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion urteilt, bei der es darum ging, wie Sondervermögen aus der Coronakrise zu verwenden sind.

Sondervermögen, da war doch was auch hier in Berlin? Noch was außer diesen 100 Milliarden, die der Bundeskanzler vor eineinhalb Jahren für die Bundeswehr ankündigte wegen der „Zeitenwende“. Genau: Ein Sondervermögen von erst fünf, vielleicht später zehn Milliarden Euro soll helfen, dem Klimawandel und seinen Folgen in Berlin entgegenzuwirken. Vergangene Woche war das dafür nötige Gesetz schon Thema im Abgeordnetenhaus.

Aus Sicht der Gewerkschaft der Polizei, betroffen wegen geplanten Klimainvestitionen in Polizeiwachen, könnten die Abgeordneten jetzt mit der Beratung des Gesetzentwurfs aufhören. „Die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zeigt, welch unglaubliches Risiko der Senat mit dem angedachten Sondervermögen eingeht“, kommentierte ihr Landeschef Stephan Weh in der ersten nach dem Urteil eingehenden Pressemitteilung, „wir brauchen einen sofortigen Stopp der Haushaltsberatungen und einen neuen Entwurf für 2024/25“. Man wisse „spätestens heute, dass das Klima-Sondervermögen ein Ritt auf der Rasierklinge ist“.

Steffen Zillich von der Linkspartei hingegen, einer der erfahrensten Finanzpolitiker im Berliner Landesparlament, fasste das Urteil der taz gegenüber ganz anders auf: Aus seiner Sicht hat das Gericht deutlich gemacht, dass eine Klimanotlage eine Ausnahme von der Schuldenbremse und damit ein Sondervermögen ermöglicht.

Die SPD-Landesparlamentarierin und Klimaexpertin Linda Vierecke wiederum zieht aus dem Urteil die Lehre: Das Geld aus einem Sondervermögen darf nicht für andere Bereiche verwendet werden – darauf müsse man auch in Berlin beim Sondervermögen für den Klimaschutz achten. Ist das auch eine Ansage an die eigenen Leute in der schwarz-roten Koalition? Die Grünen hatten die Regierungsfraktionen vergangene Woche schon davor gewarnt, ein Sondervermögen als „Wunschkonzert“ für alles Mögliche zu betrachten.

Doch was würde nun von der qua Amt seriösesten Stimme zu hören sein, der von Landesrechnungshofchefin Karin Klingen? Die hatte jüngst nicht allzu viel Gutes an den geplanten Krediten gelassen und vor allem auf die geltende Schuldenbremse verwiesen. „Der Rechnungshof sieht sich in seiner Kritik am geplanten Berliner Sondervermögen Klimaschutz, Resilienz und Transformation durch das Urteil bestätigt“, so Klingen auf taz-Anfrage. Die seit Februar in Berlin außerparlamentarische FDP formulierte krachender: „Das Sondervermögen ist verfassungswidrig und so nicht umsetzbar.“

Es könnte also nichts werden nach diesem Urteil mit den Klimakrediten? Nicht für die Verwaltung von Finanzsenator Stefan Evers (CDU). Dort gab man sich ganz entspannt: „Das Urteil kann nicht auf die Regelungen im Land Berlin übertragen werden.“ Es gebe grundlegende Unterschiede.

Ist nicht irgendwo festgelegt, dass Urteile eindeutig zu sein haben? So lässt sich nun abschließend bloß lateinisch schlaumeiern: Quot capita tot census – so viele Köpfe, so viele Meinungen. Quod erat demonstrandum.

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