Gewalt gegen Frauen: Die Täter sind überall

Auf einer Konferenz werden innovative Ansätze zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen gesucht. Besonders digitales Nachstellen erfordert ein Umdenken.

Demonstrantin mit pinker Mütze vor dem Brandenburger Tor

Tanzen gegen Gewalt: Aktion von One Billion Rising vor dem Brandenburger Tor Foto: Amelie Losier

Was utopisch ist – „das hängt stark davon ab, was wir als normal akzeptieren“, sagt Asha Hedayati. Die Rechtsanwältin und Autorin gibt gleich ein Beispiel. „Wir wissen: Jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet“, sagt sie. „Stellt euch mal vor, was hier los wäre, wenn Frauen das täten: jeden dritten Tag Männer töten.“ Hedayati berät und vertritt von Gewalt betroffene Frauen. Am Mittwoch ist sie Hauptrednerin bei einer Konferenz über „Innovative Ansätze zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ in der Senatsverwaltung für Inneres.

Wohnungen, in denen Frauen Zuflucht vor prügelnden, gewalttätigen Männern finden, – „selbstorganisiert, autonom und solidarisch“ – das sei bei der Gründung der ersten Frauenhäuser sehr innovativ gewesen, sagt Hedayati. „In den 50ern muss das utopisch gewirkt haben.“ Es gehe aber darum, dass Politik und Gesellschaft endlich die Gewalt bekämpften, bevor sie ausgeübt würde. Denn immer noch müssten betroffene Frauen untertauchen und verschwinden, um sich zu schützen. „Es wird nie genug Frauenhausplätze geben, wenn wir nicht in echte Prävention investieren.“

Männer sind gefordert

Mehr Prävention – das fordern fast alle Red­ne­r*in­nen bei der Konferenz. Klar wird aber auch: Dafür müssten Männer viel mehr mitarbeiten, denn es sind Vorstellungen von Männlichkeit sowie Frauenhass, aus denen Gewalt hervorgeht.

Noch liegt die meiste Verantwortung aber bei den Frauen, und viele Angebote versuchen, auf ihre Bedürfnisse zu reagieren: Etwa Programme gegen Stalking, die in der Mehrzahl (5.350 Beratungen) noch immer die Betroffenen beraten, und nur in geringerer Zahl (1.330) mit Tätern arbeiten. Oder eine auch in Berlin schon eingesetzte App, in der Betroffene Gewalterfahrungen mit Fotos und Text dokumentieren können, um sie später einem Gericht vorzulegen. Oder der in Österreich entwickelte „stille Notruf“, bei dem der Rettungswagen ohne Blaulicht vorfährt und den Frauen ohne sprechen zu müssen absetzen können.

Demos Zum internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am Samstag rufen mehrere Initiativen zu Demos auf: Frauenprojekte laufen bereits am Freitag ab 10 Uhr vom Roten Rathaus zum Abgeordnetenhaus nach Mitte. Women in Exile will am Samstag um 12:30 in Hohenleipisch auf den ungelösten Mord an der Geflüchteten Rita O. aufmerksam machen.

Kampagne Unter dem Motto #dasistgewalt stellt Berlins Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung Cansel Kiziltepe am Samstag um 10 Uhr auf dem Alexanderplatz eine multimediale Anti-Gewalt Kampagne vor.

Opfer 2022 registrierte die Polizei in Berlin im Schnitt pro Tag 34 Frauen, die Opfer von partnerschaftlicher und innerfamiliärer Gewalt wurden – insgesamt waren rund 17.500 Personen betroffen. 14 Frauen wurden im selben Jahr in Berlin von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet.

Hotline Hilfe erhalten von Gewalt betroffene Frauen unter der Hotline 030 – 611 03 00 von BIG e.V.

Digital Ines Karl, Leiterin der Zentralstelle Hasskriminalität der Berliner Staatsanwaltschaft, ermutigt dazu, auch digitale Gewalt anzuzeigen: Die meisten Fälle, mit denen sie zu tun hätte, erfüllten den Straftatbestand, und es sei oft möglich, die Täter zu ermitteln, sagt sie (usch)

„Einstiegsdroge“ Airtag

Beatrice Moreno, die an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Informatik lehrt, berichtet von 43 Arten IT-gestützter Nachstellungen, die sie in ihrem Team herausgearbeitet haben. Etwa das Tracking, also das Verfolgen von Personen und das Nachvollziehen ihrer Wege und Aufenthaltsorte. Das ginge sehr einfach, etwas über Airtags oder andere bluetooth-gestützte Schlüsselfinder. „Die Einstiegsdroge, um Frauen zu kontrollieren“, sagt Moreno.

Die Anhänger sind etwa so groß wie ein 2-Euro-Stück – und kosten nur wenig mehr. „Es ist sehr leicht, die in eine Tasche gleiten zu lassen oder in einem Spielzeug zu platzieren“, sagt Moreno. „Die Frauen wundern sich dann, woher der Mann weiß, was sie machen, wann sie wo eintreffen oder dass sie die Kinder bereits abgeholt haben.“

Orte nicht mehr geheim

Sie hätten direkt die Senatsverwaltung informiert, als die Anhänger auf den Markt kamen „und wir gesehen haben, dass Männer sie sehr bald schon zur Überwachung eingesetzt haben“, sagt Moreno. Sie seien „eine Gefahr für bisherige Strategien im Umgang mit gewaltbetroffenen Frauen“. Denn die Orte von Frauenhäusern seien damit nicht mehr – wie bisher – geheim. „Da müssten alle, die in dem Feld arbeiten, eigentlich komplett umdenken“, sagt Moreno.

„Das Problem ist, dass immer noch meistens die Männer Handys konfigurieren, sie haben Admin-Rechte und können alles machen, auch Chats mitlesen“, sagt Moreno. Anleitungen fänden sich zuhauf bei Youtube. Auch Apps für die Dokumentation von Gewalt oder Notrufe könnten die Täter ausschalten. Morenos Team zeigt Frauen Gegenstrategien – und schreibt Gutachten, in denen sie auflisten, welche Geräte und Software sie bei Tätern gefunden haben. Eine Strafbarkeit sei aber für Richter nicht immer klar, da sich die Täter nicht in fremde Systeme hineinhacken. „Wir versuchen immer, ganz klar darauf hinzuweisen, was für Frauen akut gefährlich sein kann“, sagt sie.

Anliegen für Inneres

Ein innovativer Ansatz ist im Prinzip auch, dass es die Innensenatorin ist, die zum Austausch eingeladen hat. Denn bisher ist das Problem der Gewalt gegen Frauen meistens bei den Frauen- und Familienministerien angesiedelt – obwohl es Straftatbestände sind, die unter die Begriffe häusliche, partnerschaftliche und innerfamiliäre Gewalt fallen. Iris Spranger (SPD) betont, dass ihr der Kampf dagegen ein „Herzensanliegen“ ist, das sie auch bei der Innenministerkonferenz Anfang Dezember besprechen will.

Die Innensenatorin lässt es sich nicht nehmen, auf eigene Lieblingsprojekte hinzuweisen: Eine Verlängerung des Präventivgewahrsam werde „meist im Zusammenhang mit Kli­ma­ak­ti­vis­mus diskutiert“. Wichtig sei das aber auch bei Partnerschaftsgewalt. Genauso wie der Einsatz von Polizisten mit Bodycams in Wohnungen – eine Forderung, die bisher an der Privatsphäre scheiterte.

Inwiefern das hilft, bleibt offen. Spranger betont auch, dass mehrere Senatsverwaltungen an dem Thema dran bleiben müssten. Sie sehe die Veranstaltung nur als Auftakt. „Aber nächstes Mal“, sagt sie in Richtung der Senatsverwaltung für Gleichstellung, „da seid ihr wieder dran“.

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